hatte, daß sie sie wenigstens sechs Monathe tra- gen wollte. Allein die Fräulein setzte ihre Sa- che durch - - "Es wäre wunderlich, sagte sie, "daß ich, die den schweren und unersetzlichen Ver- "lust bis an meine letzte Stunde betrauren wer- "de, der Welt nicht auf einige wenige Monathe "meine Betrübniß zeigen sollte."
Herr Hickmann war, für sein Theil, bey die- ser Gelegenheit so weit entfernt, ein einziges Wort dagegen zu äußern, daß er an eben dem Tage, da die Fräulein Howe ihre Trauer anlegte, ihr in ei- nem neuen Trauerkleide, als wenn es für einen nahen Verwandten wäre, aufwartete. Seine Bedienten, Pferde und Wagen erschienen in eben dem ehrerbietigen Aufzuge.
Ob die Mutter desfalls von ihm um Rath gefragt war, kann ich nicht sagen. Die Tochter aber wußte nichts davon, bis sie ihn darinn sahe. Sie warf mit bestürzungsvoller Verwunderung ihr Auge auf ihn und fragte, für wen er traurte.
Für die werthe und allezeit werthe Fräulein Harlowe, sagte er.
Sie war ganz verlegen, wie es scheint - - Endlich antwortete sie - - Alle Welt sollte billig um meine Clarissa trauren: aber wem, mein Herr - - so wandte sie sich zu ihm - - denkt ihr durch diesen Aufzug ein Gefallen zu thun?
Es ist mehr als ein äußerlicher Aufzug, gnädige Fräulein. Jch habe meine eigne Schwe- ster, so würdig sie auch ist, nicht lieber, als ich die Fräulein Clarissa Harlowe gehabt habe. Jch
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hatte, daß ſie ſie wenigſtens ſechs Monathe tra- gen wollte. Allein die Fraͤulein ſetzte ihre Sa- che durch ‒ ‒ „Es waͤre wunderlich, ſagte ſie, „daß ich, die den ſchweren und unerſetzlichen Ver- „luſt bis an meine letzte Stunde betrauren wer- „de, der Welt nicht auf einige wenige Monathe „meine Betruͤbniß zeigen ſollte.“
Herr Hickmann war, fuͤr ſein Theil, bey die- ſer Gelegenheit ſo weit entfernt, ein einziges Wort dagegen zu aͤußern, daß er an eben dem Tage, da die Fraͤulein Howe ihre Trauer anlegte, ihr in ei- nem neuen Trauerkleide, als wenn es fuͤr einen nahen Verwandten waͤre, aufwartete. Seine Bedienten, Pferde und Wagen erſchienen in eben dem ehrerbietigen Aufzuge.
Ob die Mutter desfalls von ihm um Rath gefragt war, kann ich nicht ſagen. Die Tochter aber wußte nichts davon, bis ſie ihn darinn ſahe. Sie warf mit beſtuͤrzungsvoller Verwunderung ihr Auge auf ihn und fragte, fuͤr wen er traurte.
Fuͤr die werthe und allezeit werthe Fraͤulein Harlowe, ſagte er.
Sie war ganz verlegen, wie es ſcheint ‒ ‒ Endlich antwortete ſie ‒ ‒ Alle Welt ſollte billig um meine Clariſſa trauren: aber wem, mein Herr ‒ ‒ ſo wandte ſie ſich zu ihm ‒ ‒ denkt ihr durch dieſen Aufzug ein Gefallen zu thun?
Es iſt mehr als ein aͤußerlicher Aufzug, gnaͤdige Fraͤulein. Jch habe meine eigne Schwe- ſter, ſo wuͤrdig ſie auch iſt, nicht lieber, als ich die Fraͤulein Clariſſa Harlowe gehabt habe. Jch
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hatte, daß ſie ſie wenigſtens ſechs Monathe tra-
gen wollte. Allein die Fraͤulein ſetzte ihre Sa-
che durch ‒ ‒ „Es waͤre wunderlich, ſagte ſie,
„daß ich, die den ſchweren und unerſetzlichen Ver-
„luſt bis an meine letzte Stunde betrauren wer-
„de, der Welt nicht auf einige wenige Monathe
„meine Betruͤbniß zeigen ſollte.“
Herr Hickmann war, fuͤr ſein Theil, bey die-
ſer Gelegenheit ſo weit entfernt, ein einziges Wort
dagegen zu aͤußern, daß er an eben dem Tage, da
die Fraͤulein Howe ihre Trauer anlegte, ihr in ei-
nem neuen Trauerkleide, als wenn es fuͤr einen
nahen Verwandten waͤre, aufwartete. Seine
Bedienten, Pferde und Wagen erſchienen in eben
dem ehrerbietigen Aufzuge.
Ob die Mutter desfalls von ihm um Rath
gefragt war, kann ich nicht ſagen. Die Tochter
aber wußte nichts davon, bis ſie ihn darinn ſahe.
Sie warf mit beſtuͤrzungsvoller Verwunderung
ihr Auge auf ihn und fragte, fuͤr wen er traurte.
Fuͤr die werthe und allezeit werthe Fraͤulein
Harlowe, ſagte er.
Sie war ganz verlegen, wie es ſcheint ‒ ‒
Endlich antwortete ſie ‒ ‒ Alle Welt ſollte billig
um meine Clariſſa trauren: aber wem, mein
Herr ‒ ‒ ſo wandte ſie ſich zu ihm ‒ ‒ denkt
ihr durch dieſen Aufzug ein Gefallen zu thun?
Es iſt mehr als ein aͤußerlicher Aufzug,
gnaͤdige Fraͤulein. Jch habe meine eigne Schwe-
ſter, ſo wuͤrdig ſie auch iſt, nicht lieber, als ich die
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 757. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/763>, abgerufen am 23.11.2024.
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