Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite



zeigen oder in ihren Grundsätzen, nichts sehen zu
lassen, was sie selbst an andern nicht billigen
würden.

Bey dem allen aber sehe ich etwas so reizend
glänzendes und freyes in der Gemüthsart der
Fräulein Howe, ob es gleich itzo augenscheinlich
durch Kummer und Betrübniß umwölket und
verdunkelt ist, daß es unmöglich fällt, sie selbst ih-
rer Fehler wegen nicht zu lieben. Sie kann,
und ich hoffe, sie wird für Herrn Hickmann eine
angenehme Gattinn werden. Geschieht es: so
wird sie bey mir einen Vorzug mehr verdienen;
da sie keinen Zwang oder Einrede befürchten kann,
und also, nach ihrer Großmuth und Klugheit
durch die Vollbringung dessen, was nicht mehr
als ihre Schuldigkeit ist, ihrem Manne eine
Verbindlichkeit auflegen mag.

Jhre Mutter hat so wohl Liebe für sie als
Furcht vor ihr. Gleichwohl ist Fr. Howe eine
Frau von lebhafter Gemüthsart, und fertig ge-
nug, zu schreien, wenn ihr Verdruß geschiehet.
Aber leider! wie ich schon von weiten zu verste-
hen gegeben habe, sie hat ihr Ansehen durch
ihre unedle Gemüthsart
geschwächet.

Gleichwohl rühmte sie einmal gegen mich die
Großmuth und edle Gesinnung ihrer Tochter mit
so vieler Hitze, daß, wenn ich die Gemüthsart der
alten Dame nicht gekannt hätte, ich sie selbst für
großmüthig und edelgesinnt gehalten haben wür-
de. Und dennoch habe ich allezeit bemerket, daß
selbst Leute von unedlem Gemüthe bereit sind edel-

gesinnte
B b b 2



zeigen oder in ihren Grundſaͤtzen, nichts ſehen zu
laſſen, was ſie ſelbſt an andern nicht billigen
wuͤrden.

Bey dem allen aber ſehe ich etwas ſo reizend
glaͤnzendes und freyes in der Gemuͤthsart der
Fraͤulein Howe, ob es gleich itzo augenſcheinlich
durch Kummer und Betruͤbniß umwoͤlket und
verdunkelt iſt, daß es unmoͤglich faͤllt, ſie ſelbſt ih-
rer Fehler wegen nicht zu lieben. Sie kann,
und ich hoffe, ſie wird fuͤr Herrn Hickmann eine
angenehme Gattinn werden. Geſchieht es: ſo
wird ſie bey mir einen Vorzug mehr verdienen;
da ſie keinen Zwang oder Einrede befuͤrchten kann,
und alſo, nach ihrer Großmuth und Klugheit
durch die Vollbringung deſſen, was nicht mehr
als ihre Schuldigkeit iſt, ihrem Manne eine
Verbindlichkeit auflegen mag.

Jhre Mutter hat ſo wohl Liebe fuͤr ſie als
Furcht vor ihr. Gleichwohl iſt Fr. Howe eine
Frau von lebhafter Gemuͤthsart, und fertig ge-
nug, zu ſchreien, wenn ihr Verdruß geſchiehet.
Aber leider! wie ich ſchon von weiten zu verſte-
hen gegeben habe, ſie hat ihr Anſehen durch
ihre unedle Gemuͤthsart
geſchwaͤchet.

Gleichwohl ruͤhmte ſie einmal gegen mich die
Großmuth und edle Geſinnung ihrer Tochter mit
ſo vieler Hitze, daß, wenn ich die Gemuͤthsart der
alten Dame nicht gekannt haͤtte, ich ſie ſelbſt fuͤr
großmuͤthig und edelgeſinnt gehalten haben wuͤr-
de. Und dennoch habe ich allezeit bemerket, daß
ſelbſt Leute von unedlem Gemuͤthe bereit ſind edel-

geſinnte
B b b 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0761" n="755"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
zeigen oder in ihren Grund&#x017F;a&#x0364;tzen, nichts &#x017F;ehen zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, was &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t an andern nicht billigen<lb/>
wu&#x0364;rden.</p><lb/>
          <p>Bey dem allen aber &#x017F;ehe ich etwas &#x017F;o reizend<lb/>
gla&#x0364;nzendes und freyes in der Gemu&#x0364;thsart der<lb/>
Fra&#x0364;ulein Howe, ob es gleich itzo augen&#x017F;cheinlich<lb/>
durch Kummer und Betru&#x0364;bniß umwo&#x0364;lket und<lb/>
verdunkelt i&#x017F;t, daß es unmo&#x0364;glich fa&#x0364;llt, &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t ih-<lb/>
rer Fehler wegen nicht zu lieben. Sie <hi rendition="#fr">kann,</hi><lb/>
und ich hoffe, &#x017F;ie <hi rendition="#fr">wird</hi> fu&#x0364;r Herrn Hickmann eine<lb/>
angenehme Gattinn werden. Ge&#x017F;chieht es: &#x017F;o<lb/>
wird &#x017F;ie bey mir einen Vorzug mehr verdienen;<lb/>
da &#x017F;ie keinen Zwang oder Einrede befu&#x0364;rchten kann,<lb/>
und al&#x017F;o, nach ihrer <hi rendition="#fr">Großmuth</hi> und <hi rendition="#fr">Klugheit</hi><lb/>
durch die Vollbringung de&#x017F;&#x017F;en, was nicht mehr<lb/>
als ihre <hi rendition="#fr">Schuldigkeit</hi> i&#x017F;t, ihrem Manne eine<lb/>
Verbindlichkeit auflegen mag.</p><lb/>
          <p>Jhre Mutter hat &#x017F;o wohl <hi rendition="#fr">Liebe</hi> fu&#x0364;r &#x017F;ie als<lb/><hi rendition="#fr">Furcht</hi> vor ihr. Gleichwohl i&#x017F;t Fr. Howe eine<lb/>
Frau von lebhafter Gemu&#x0364;thsart, und fertig ge-<lb/>
nug, zu &#x017F;chreien, wenn ihr Verdruß ge&#x017F;chiehet.<lb/>
Aber leider! wie ich &#x017F;chon von weiten zu ver&#x017F;te-<lb/>
hen gegeben habe, &#x017F;ie hat <hi rendition="#fr">ihr An&#x017F;ehen durch<lb/>
ihre unedle Gemu&#x0364;thsart</hi> ge&#x017F;chwa&#x0364;chet.</p><lb/>
          <p>Gleichwohl ru&#x0364;hmte &#x017F;ie einmal gegen mich die<lb/>
Großmuth und edle Ge&#x017F;innung ihrer Tochter mit<lb/>
&#x017F;o vieler <hi rendition="#fr">Hitze,</hi> daß, wenn ich die Gemu&#x0364;thsart der<lb/>
alten Dame nicht gekannt ha&#x0364;tte, ich <hi rendition="#fr">&#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t</hi> fu&#x0364;r<lb/>
großmu&#x0364;thig und edelge&#x017F;innt gehalten haben wu&#x0364;r-<lb/>
de. Und dennoch habe ich allezeit bemerket, daß<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t Leute von unedlem Gemu&#x0364;the bereit &#x017F;ind edel-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B b b 2</fw><fw place="bottom" type="catch">ge&#x017F;innte</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[755/0761] zeigen oder in ihren Grundſaͤtzen, nichts ſehen zu laſſen, was ſie ſelbſt an andern nicht billigen wuͤrden. Bey dem allen aber ſehe ich etwas ſo reizend glaͤnzendes und freyes in der Gemuͤthsart der Fraͤulein Howe, ob es gleich itzo augenſcheinlich durch Kummer und Betruͤbniß umwoͤlket und verdunkelt iſt, daß es unmoͤglich faͤllt, ſie ſelbſt ih- rer Fehler wegen nicht zu lieben. Sie kann, und ich hoffe, ſie wird fuͤr Herrn Hickmann eine angenehme Gattinn werden. Geſchieht es: ſo wird ſie bey mir einen Vorzug mehr verdienen; da ſie keinen Zwang oder Einrede befuͤrchten kann, und alſo, nach ihrer Großmuth und Klugheit durch die Vollbringung deſſen, was nicht mehr als ihre Schuldigkeit iſt, ihrem Manne eine Verbindlichkeit auflegen mag. Jhre Mutter hat ſo wohl Liebe fuͤr ſie als Furcht vor ihr. Gleichwohl iſt Fr. Howe eine Frau von lebhafter Gemuͤthsart, und fertig ge- nug, zu ſchreien, wenn ihr Verdruß geſchiehet. Aber leider! wie ich ſchon von weiten zu verſte- hen gegeben habe, ſie hat ihr Anſehen durch ihre unedle Gemuͤthsart geſchwaͤchet. Gleichwohl ruͤhmte ſie einmal gegen mich die Großmuth und edle Geſinnung ihrer Tochter mit ſo vieler Hitze, daß, wenn ich die Gemuͤthsart der alten Dame nicht gekannt haͤtte, ich ſie ſelbſt fuͤr großmuͤthig und edelgeſinnt gehalten haben wuͤr- de. Und dennoch habe ich allezeit bemerket, daß ſelbſt Leute von unedlem Gemuͤthe bereit ſind edel- geſinnte B b b 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/761
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 755. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/761>, abgerufen am 23.11.2024.