waren mit hellem und scharfem Verstand, mit gründlicher Einsicht begabt, und sahen von ihrer ersten Bekanntschaft an; ich habe vieles von mei- nen Nachrichten der Fr. Norton zu danken, mein Herr! eine jede an der andern, so wohl etwas, das zu fürchten, als das zu lieben war. Je- doch machten sie es zu einer unauflöslichen Be- dingung ihrer Freundschaft, einander ihre Fehler zu entdecken und für diese genommene Freyheit dankbar zu seyn. Die eine war von Natur sanft und gelinde: die andere ward es, aus Lie- be und Bewunderung gegen ihre erhabne Freundinn - - Es war unmöglich, daß eine Freundschaft besser auf die Dauer eingerichtet seyn konnte.
Jch muß mir inzwischen die Freyheit nehmen, die Fräulein Howe wegen ihrer Aufführung ge- gen Herrn Hickmann zu tadeln: und ich ziehe den Schluß daraus, daß selbst verständigen Frauen- zimmern keine Gewalt und Macht anzuver- trauen ist.
Beyläufig, bin ich versichert, darf ich nicht ein- mal bitten, dieser hitzigen Fräulein die Freyheiten, welche ich mir mit ihrem Namen nehme, nicht zu eröffnen.
Jch darf wohl sagen, meine Base konnte die Aufführung der Fräulein Howe gegen diesen Herrn nicht billigen: eine Aufführung, davon so viele Leute reden, als Herrn Hickmann und sie kennen. Kann ein weises junges Frauenzimmer
sich
waren mit hellem und ſcharfem Verſtand, mit gruͤndlicher Einſicht begabt, und ſahen von ihrer erſten Bekanntſchaft an; ich habe vieles von mei- nen Nachrichten der Fr. Norton zu danken, mein Herr! eine jede an der andern, ſo wohl etwas, das zu fuͤrchten, als das zu lieben war. Je- doch machten ſie es zu einer unaufloͤslichen Be- dingung ihrer Freundſchaft, einander ihre Fehler zu entdecken und fuͤr dieſe genommene Freyheit dankbar zu ſeyn. Die eine war von Natur ſanft und gelinde: die andere ward es, aus Lie- be und Bewunderung gegen ihre erhabne Freundinn ‒ ‒ Es war unmoͤglich, daß eine Freundſchaft beſſer auf die Dauer eingerichtet ſeyn konnte.
Jch muß mir inzwiſchen die Freyheit nehmen, die Fraͤulein Howe wegen ihrer Auffuͤhrung ge- gen Herrn Hickmann zu tadeln: und ich ziehe den Schluß daraus, daß ſelbſt verſtaͤndigen Frauen- zimmern keine Gewalt und Macht anzuver- trauen iſt.
Beylaͤufig, bin ich verſichert, darf ich nicht ein- mal bitten, dieſer hitzigen Fraͤulein die Freyheiten, welche ich mir mit ihrem Namen nehme, nicht zu eroͤffnen.
Jch darf wohl ſagen, meine Baſe konnte die Auffuͤhrung der Fraͤulein Howe gegen dieſen Herrn nicht billigen: eine Auffuͤhrung, davon ſo viele Leute reden, als Herrn Hickmann und ſie kennen. Kann ein weiſes junges Frauenzimmer
ſich
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waren mit hellem und ſcharfem Verſtand, mit
gruͤndlicher Einſicht begabt, und ſahen von ihrer
erſten Bekanntſchaft an; ich habe vieles von mei-
nen Nachrichten der Fr. Norton zu danken, mein
Herr! eine jede an der andern, ſo wohl etwas,
das zu fuͤrchten, als das zu lieben war. Je-
doch machten ſie es zu einer unaufloͤslichen Be-
dingung ihrer Freundſchaft, einander ihre Fehler
zu entdecken und fuͤr dieſe genommene Freyheit
dankbar zu ſeyn. Die eine war von Natur
ſanft und gelinde: die andere ward es, aus Lie-
be und Bewunderung gegen ihre erhabne
Freundinn ‒ ‒ Es war unmoͤglich, daß eine
Freundſchaft beſſer auf die Dauer eingerichtet
ſeyn konnte.
Jch muß mir inzwiſchen die Freyheit nehmen,
die Fraͤulein Howe wegen ihrer Auffuͤhrung ge-
gen Herrn Hickmann zu tadeln: und ich ziehe den
Schluß daraus, daß ſelbſt verſtaͤndigen Frauen-
zimmern keine Gewalt und Macht anzuver-
trauen iſt.
Beylaͤufig, bin ich verſichert, darf ich nicht ein-
mal bitten, dieſer hitzigen Fraͤulein die Freyheiten,
welche ich mir mit ihrem Namen nehme, nicht zu
eroͤffnen.
Jch darf wohl ſagen, meine Baſe konnte die
Auffuͤhrung der Fraͤulein Howe gegen dieſen
Herrn nicht billigen: eine Auffuͤhrung, davon ſo
viele Leute reden, als Herrn Hickmann und ſie
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 752. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/758>, abgerufen am 23.11.2024.
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