Mittlerweile will ich gestehen, daß ich die Gründe von meiner Base für unbeantwortlich halte. Ein jeder Frommer muß dadurch über- zeuget und zu einer festen Entschließung gebracht werden - - Aber, ach! mein Herr, wer ist voll- kommen fromm?
Was Jhre Gründe betrifft: so hoffe ich, Sie werden mir glauben, wenn ich Sie versiche- re, wie ich itzo thue, daß Jhre Meynung und Jh- re Schlüsse ein großes und gehöriges Gewicht bey mir haben und allezeit haben werden; und daß ich Sie wegen Jhrer Vorstellungen, die Ab- sicht der gottseligen Verordnungen meiner Base zu befördern, noch mehr, wo möglich, als vorher, achte. Sie kommen von Jhnen, mein Herr, so daß sie sich vollkommen für Sie schicken, als eben denjenigen der ihr Testament zu vollziehen und ihre Person vorzustellen hat: Da Sie über dieß auch noch auf Menschenliebe halten, und beyden Parteyen wohlwollen.
Jch bin eben so wenig, als Jhr Freund, mein Herr, von heftigen Leidenschaften frey: allein da- bey hoffe ich, daß sie nur durch anderer Leute Ue- bermuth, und nicht durch meinen eignen Stolz, erregt werden können. Wenn ich jemals durch meine Unvollkommenheiten und meinen Zorn ge- reizet werde, wider mein Urtheil und wider das- jenige, was uns meine Base aufs sorgfältigste em- pfohlen hat, zu handeln: so werden einige von solchen Vorstellungen, als folgen, meinen Verstand
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Mittlerweile will ich geſtehen, daß ich die Gruͤnde von meiner Baſe fuͤr unbeantwortlich halte. Ein jeder Frommer muß dadurch uͤber- zeuget und zu einer feſten Entſchließung gebracht werden ‒ ‒ Aber, ach! mein Herr, wer iſt voll- kommen fromm?
Was Jhre Gruͤnde betrifft: ſo hoffe ich, Sie werden mir glauben, wenn ich Sie verſiche- re, wie ich itzo thue, daß Jhre Meynung und Jh- re Schluͤſſe ein großes und gehoͤriges Gewicht bey mir haben und allezeit haben werden; und daß ich Sie wegen Jhrer Vorſtellungen, die Ab- ſicht der gottſeligen Verordnungen meiner Baſe zu befoͤrdern, noch mehr, wo moͤglich, als vorher, achte. Sie kommen von Jhnen, mein Herr, ſo daß ſie ſich vollkommen fuͤr Sie ſchicken, als eben denjenigen der ihr Teſtament zu vollziehen und ihre Perſon vorzuſtellen hat: Da Sie uͤber dieß auch noch auf Menſchenliebe halten, und beyden Parteyen wohlwollen.
Jch bin eben ſo wenig, als Jhr Freund, mein Herr, von heftigen Leidenſchaften frey: allein da- bey hoffe ich, daß ſie nur durch anderer Leute Ue- bermuth, und nicht durch meinen eignen Stolz, erregt werden koͤnnen. Wenn ich jemals durch meine Unvollkommenheiten und meinen Zorn ge- reizet werde, wider mein Urtheil und wider das- jenige, was uns meine Baſe aufs ſorgfaͤltigſte em- pfohlen hat, zu handeln: ſo werden einige von ſolchen Vorſtellungen, als folgen, meinen Verſtand
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Mittlerweile will ich geſtehen, daß ich die
Gruͤnde von meiner Baſe fuͤr unbeantwortlich
halte. Ein jeder Frommer muß dadurch uͤber-
zeuget und zu einer feſten Entſchließung gebracht
werden ‒ ‒ Aber, ach! mein Herr, wer iſt voll-
kommen fromm?
Was Jhre Gruͤnde betrifft: ſo hoffe ich,
Sie werden mir glauben, wenn ich Sie verſiche-
re, wie ich itzo thue, daß Jhre Meynung und Jh-
re Schluͤſſe ein großes und gehoͤriges Gewicht
bey mir haben und allezeit haben werden; und
daß ich Sie wegen Jhrer Vorſtellungen, die Ab-
ſicht der gottſeligen Verordnungen meiner Baſe
zu befoͤrdern, noch mehr, wo moͤglich, als vorher,
achte. Sie kommen von Jhnen, mein Herr, ſo
daß ſie ſich vollkommen fuͤr Sie ſchicken, als eben
denjenigen der ihr Teſtament zu vollziehen und
ihre Perſon vorzuſtellen hat: Da Sie uͤber dieß
auch noch auf Menſchenliebe halten, und beyden
Parteyen wohlwollen.
Jch bin eben ſo wenig, als Jhr Freund, mein
Herr, von heftigen Leidenſchaften frey: allein da-
bey hoffe ich, daß ſie nur durch anderer Leute Ue-
bermuth, und nicht durch meinen eignen Stolz,
erregt werden koͤnnen. Wenn ich jemals durch
meine Unvollkommenheiten und meinen Zorn ge-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 739. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/745>, abgerufen am 24.11.2024.
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