Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite


Gegenwärtig kann ich weder essen, trinken,
noch schlafen. Dennoch ist meine Krankheit
nichts gegen das, was sie gewesen ist. Denn,
Bruder! mein Gehirn stand Tag und Nacht im
Feuer: und wenn es nicht von der unverbrenn-
lichen
Art gewesen wäre; so würde es ganz ver-
zehret seyn.

Jch hatte keine deutliche Begriffe, sondern
nur dunkle und verwirrte Vorstellung von Elend
und Jammer. Es war in der That lauter Ge-
wissensangst und Schrecken!
Gedanken von
Hängen, Ersaufen, Erschießen! Wuth, Gewalt-
thätigkeit, Unglück und Verzweifelung wechselten
bey mir ab. Meine heitern Augenblicke waren
noch ärger: da sie mir zu überlegen gaben, was
ich die Stunde vorher gewesen wäre, und was ich
wahrscheinlicher Weise die nächstfolgende, und
vielleicht meine Lebenszeit über seyn würde - -
Der Spott der Feinde! das Gelächter der Tho-
ren! und das Angehänge und herumlaufende Ei-
genthum gemietheter Sklaven, die vielleicht ihre
Rechnung dabey finden möchten, daß sie mich fes-
selten, und, abscheulicher Gedanke! mich persön-
lich mit Streichen und Schlägen mishandelten.

Wer kann solche Vorstellungen, als dieß find,
ertragen, daß ein Mensch, wie ich, dazu bestimmt
seyn soll, sich zu fürchten, und noch dazu vor sol-
chen nichtswürdigen Leuten! - - Was ist dieß
für eine Sache: wenn man sie nur von weiten
befürchtet! Und daß gleichwohl ein Mensch in ei-
nem solchen Zustande ist, der seinen liebsten Freun-

den


Gegenwaͤrtig kann ich weder eſſen, trinken,
noch ſchlafen. Dennoch iſt meine Krankheit
nichts gegen das, was ſie geweſen iſt. Denn,
Bruder! mein Gehirn ſtand Tag und Nacht im
Feuer: und wenn es nicht von der unverbrenn-
lichen
Art geweſen waͤre; ſo wuͤrde es ganz ver-
zehret ſeyn.

Jch hatte keine deutliche Begriffe, ſondern
nur dunkle und verwirrte Vorſtellung von Elend
und Jammer. Es war in der That lauter Ge-
wiſſensangſt und Schrecken!
Gedanken von
Haͤngen, Erſaufen, Erſchießen! Wuth, Gewalt-
thaͤtigkeit, Ungluͤck und Verzweifelung wechſelten
bey mir ab. Meine heitern Augenblicke waren
noch aͤrger: da ſie mir zu uͤberlegen gaben, was
ich die Stunde vorher geweſen waͤre, und was ich
wahrſcheinlicher Weiſe die naͤchſtfolgende, und
vielleicht meine Lebenszeit uͤber ſeyn wuͤrde ‒ ‒
Der Spott der Feinde! das Gelaͤchter der Tho-
ren! und das Angehaͤnge und herumlaufende Ei-
genthum gemietheter Sklaven, die vielleicht ihre
Rechnung dabey finden moͤchten, daß ſie mich feſ-
ſelten, und, abſcheulicher Gedanke! mich perſoͤn-
lich mit Streichen und Schlaͤgen mishandelten.

Wer kann ſolche Vorſtellungen, als dieß find,
ertragen, daß ein Menſch, wie ich, dazu beſtimmt
ſeyn ſoll, ſich zu fuͤrchten, und noch dazu vor ſol-
chen nichtswuͤrdigen Leuten! ‒ ‒ Was iſt dieß
fuͤr eine Sache: wenn man ſie nur von weiten
befuͤrchtet! Und daß gleichwohl ein Menſch in ei-
nem ſolchen Zuſtande iſt, der ſeinen liebſten Freun-

den
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0692" n="686"/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p>Gegenwa&#x0364;rtig kann ich weder e&#x017F;&#x017F;en, trinken,<lb/>
noch &#x017F;chlafen. Dennoch i&#x017F;t meine Krankheit<lb/>
nichts gegen das, was &#x017F;ie gewe&#x017F;en i&#x017F;t. Denn,<lb/>
Bruder! mein Gehirn &#x017F;tand Tag und Nacht im<lb/>
Feuer: und wenn es nicht von der <hi rendition="#fr">unverbrenn-<lb/>
lichen</hi> Art gewe&#x017F;en wa&#x0364;re; &#x017F;o wu&#x0364;rde es ganz ver-<lb/>
zehret &#x017F;eyn.</p><lb/>
            <p>Jch hatte keine deutliche Begriffe, &#x017F;ondern<lb/>
nur dunkle und verwirrte Vor&#x017F;tellung von Elend<lb/>
und Jammer. Es war in der That <hi rendition="#fr">lauter Ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;ensang&#x017F;t und Schrecken!</hi> Gedanken von<lb/>
Ha&#x0364;ngen, Er&#x017F;aufen, Er&#x017F;chießen! Wuth, Gewalt-<lb/>
tha&#x0364;tigkeit, Unglu&#x0364;ck und Verzweifelung wech&#x017F;elten<lb/>
bey mir ab. Meine heitern Augenblicke waren<lb/>
noch a&#x0364;rger: da &#x017F;ie mir zu u&#x0364;berlegen gaben, was<lb/>
ich die Stunde vorher gewe&#x017F;en wa&#x0364;re, und was ich<lb/>
wahr&#x017F;cheinlicher Wei&#x017F;e die na&#x0364;ch&#x017F;tfolgende, und<lb/>
vielleicht meine Lebenszeit u&#x0364;ber &#x017F;eyn wu&#x0364;rde &#x2012; &#x2012;<lb/>
Der Spott der Feinde! das Gela&#x0364;chter der Tho-<lb/>
ren! und das Angeha&#x0364;nge und herumlaufende Ei-<lb/>
genthum gemietheter Sklaven, die vielleicht ihre<lb/>
Rechnung dabey finden mo&#x0364;chten, daß &#x017F;ie mich fe&#x017F;-<lb/>
&#x017F;elten, und, ab&#x017F;cheulicher Gedanke! mich per&#x017F;o&#x0364;n-<lb/>
lich mit Streichen und Schla&#x0364;gen mishandelten.</p><lb/>
            <p>Wer kann &#x017F;olche Vor&#x017F;tellungen, als dieß find,<lb/>
ertragen, daß ein Men&#x017F;ch, wie ich, dazu be&#x017F;timmt<lb/>
&#x017F;eyn &#x017F;oll, &#x017F;ich zu <hi rendition="#fr">fu&#x0364;rchten,</hi> und noch dazu vor &#x017F;ol-<lb/>
chen nichtswu&#x0364;rdigen Leuten! &#x2012; &#x2012; Was i&#x017F;t dieß<lb/>
fu&#x0364;r eine Sache: wenn man &#x017F;ie nur <hi rendition="#fr">von weiten</hi><lb/>
befu&#x0364;rchtet! Und daß gleichwohl ein Men&#x017F;ch in ei-<lb/>
nem &#x017F;olchen Zu&#x017F;tande i&#x017F;t, der &#x017F;einen lieb&#x017F;ten Freun-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[686/0692] Gegenwaͤrtig kann ich weder eſſen, trinken, noch ſchlafen. Dennoch iſt meine Krankheit nichts gegen das, was ſie geweſen iſt. Denn, Bruder! mein Gehirn ſtand Tag und Nacht im Feuer: und wenn es nicht von der unverbrenn- lichen Art geweſen waͤre; ſo wuͤrde es ganz ver- zehret ſeyn. Jch hatte keine deutliche Begriffe, ſondern nur dunkle und verwirrte Vorſtellung von Elend und Jammer. Es war in der That lauter Ge- wiſſensangſt und Schrecken! Gedanken von Haͤngen, Erſaufen, Erſchießen! Wuth, Gewalt- thaͤtigkeit, Ungluͤck und Verzweifelung wechſelten bey mir ab. Meine heitern Augenblicke waren noch aͤrger: da ſie mir zu uͤberlegen gaben, was ich die Stunde vorher geweſen waͤre, und was ich wahrſcheinlicher Weiſe die naͤchſtfolgende, und vielleicht meine Lebenszeit uͤber ſeyn wuͤrde ‒ ‒ Der Spott der Feinde! das Gelaͤchter der Tho- ren! und das Angehaͤnge und herumlaufende Ei- genthum gemietheter Sklaven, die vielleicht ihre Rechnung dabey finden moͤchten, daß ſie mich feſ- ſelten, und, abſcheulicher Gedanke! mich perſoͤn- lich mit Streichen und Schlaͤgen mishandelten. Wer kann ſolche Vorſtellungen, als dieß find, ertragen, daß ein Menſch, wie ich, dazu beſtimmt ſeyn ſoll, ſich zu fuͤrchten, und noch dazu vor ſol- chen nichtswuͤrdigen Leuten! ‒ ‒ Was iſt dieß fuͤr eine Sache: wenn man ſie nur von weiten befuͤrchtet! Und daß gleichwohl ein Menſch in ei- nem ſolchen Zuſtande iſt, der ſeinen liebſten Freun- den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/692
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 686. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/692>, abgerufen am 16.07.2024.