Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite



worden und doch ihrer Hoffnung, mich auf besse-
re Wege zu bringen, so unwürdig gewesen bin!

Wie edel sind ihre Bewegungsgründe! Nicht
bloß um ihretwillen, nicht gänzlich um meinet-
willen hoffete sie mich auf bessere Wege zu brin-
gen: sondern eben so viel auch um der Unschuldi-
gen willen, die sonst von mir unglücklich gemacht
werden möchten.

Und warum schrieb sie nun diesen Brief,
und warum befahl sie, daß er mir eingehändigt
würde, nachdem der beweinenswürdigste Erfolg
zur Wirklichkeit gekommen wäre? Warum an-
ders, als zu meinem Besten, und mit einer Ab-
sicht auf die Sicherheit der Unschuldigen, die sie
nicht gekannt hat? - - Und wann ward dieser
Brief geschrieben? War es nicht zu der Zeit, eben
zu der Zeit, da ich sie, so zu sagen, von einem Or-
te zum andern verfolgt hatte; da ihre Seele durch
Trübsal und Verfolgung niedergedrückt; und ihr
selbst von den unversöhnlichsten Verwandten alle
Vergebung versaget wurde?

Erhabene Seele! - - Konntest du zu einer
solchen Zeit,
und so frühe und unter solchen
Umständen
deinen gerechten Zorn so weit über-
wältigt haben, daß du dem vornehmsten Urheber
aller deiner Unglücksfälle die Glückseligkeit wün-
schen konntest? Dem, der dich aller "deiner lieb-
"sten Hoffnung in diesem Leben beraubet hatte?"
Dem, der die Ursache gewesen war, "daß du in
"der Blüte deiner Jugend hingerissen wor-
"den?"

Himm-



worden und doch ihrer Hoffnung, mich auf beſſe-
re Wege zu bringen, ſo unwuͤrdig geweſen bin!

Wie edel ſind ihre Bewegungsgruͤnde! Nicht
bloß um ihretwillen, nicht gaͤnzlich um meinet-
willen hoffete ſie mich auf beſſere Wege zu brin-
gen: ſondern eben ſo viel auch um der Unſchuldi-
gen willen, die ſonſt von mir ungluͤcklich gemacht
werden moͤchten.

Und warum ſchrieb ſie nun dieſen Brief,
und warum befahl ſie, daß er mir eingehaͤndigt
wuͤrde, nachdem der beweinenswuͤrdigſte Erfolg
zur Wirklichkeit gekommen waͤre? Warum an-
ders, als zu meinem Beſten, und mit einer Ab-
ſicht auf die Sicherheit der Unſchuldigen, die ſie
nicht gekannt hat? ‒ ‒ Und wann ward dieſer
Brief geſchrieben? War es nicht zu der Zeit, eben
zu der Zeit, da ich ſie, ſo zu ſagen, von einem Or-
te zum andern verfolgt hatte; da ihre Seele durch
Truͤbſal und Verfolgung niedergedruͤckt; und ihr
ſelbſt von den unverſoͤhnlichſten Verwandten alle
Vergebung verſaget wurde?

Erhabene Seele! ‒ ‒ Konnteſt du zu einer
ſolchen Zeit,
und ſo fruͤhe und unter ſolchen
Umſtaͤnden
deinen gerechten Zorn ſo weit uͤber-
waͤltigt haben, daß du dem vornehmſten Urheber
aller deiner Ungluͤcksfaͤlle die Gluͤckſeligkeit wuͤn-
ſchen konnteſt? Dem, der dich aller „deiner lieb-
„ſten Hoffnung in dieſem Leben beraubet hatte?“
Dem, der die Urſache geweſen war, „daß du in
„der Bluͤte deiner Jugend hingeriſſen wor-
„den?“

Himm-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0688" n="682"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
worden und doch ihrer Hoffnung, mich auf be&#x017F;&#x017F;e-<lb/>
re Wege zu bringen, &#x017F;o unwu&#x0364;rdig gewe&#x017F;en bin!</p><lb/>
            <p>Wie edel &#x017F;ind ihre Bewegungsgru&#x0364;nde! Nicht<lb/>
bloß um <hi rendition="#fr">ihret</hi>willen, nicht ga&#x0364;nzlich um <hi rendition="#fr">meinet-</hi><lb/>
willen hoffete &#x017F;ie mich auf be&#x017F;&#x017F;ere Wege zu brin-<lb/>
gen: &#x017F;ondern eben &#x017F;o viel auch um der Un&#x017F;chuldi-<lb/>
gen willen, die &#x017F;on&#x017F;t von mir unglu&#x0364;cklich gemacht<lb/>
werden mo&#x0364;chten.</p><lb/>
            <p>Und <hi rendition="#fr">warum</hi> &#x017F;chrieb &#x017F;ie nun die&#x017F;en Brief,<lb/>
und <hi rendition="#fr">warum</hi> befahl &#x017F;ie, daß er mir eingeha&#x0364;ndigt<lb/>
wu&#x0364;rde, nachdem der beweinenswu&#x0364;rdig&#x017F;te Erfolg<lb/>
zur Wirklichkeit gekommen wa&#x0364;re? Warum an-<lb/>
ders, als zu meinem Be&#x017F;ten, und mit einer Ab-<lb/>
&#x017F;icht auf die Sicherheit der Un&#x017F;chuldigen, die &#x017F;ie<lb/>
nicht gekannt hat? &#x2012; &#x2012; Und <hi rendition="#fr">wann</hi> ward die&#x017F;er<lb/>
Brief ge&#x017F;chrieben? War es nicht zu der Zeit, eben<lb/>
zu der Zeit, da ich &#x017F;ie, &#x017F;o zu &#x017F;agen, von einem Or-<lb/>
te zum andern verfolgt hatte; da ihre Seele durch<lb/>
Tru&#x0364;b&#x017F;al und Verfolgung niedergedru&#x0364;ckt; und ihr<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t von den unver&#x017F;o&#x0364;hnlich&#x017F;ten Verwandten alle<lb/>
Vergebung ver&#x017F;aget wurde?</p><lb/>
            <p>Erhabene Seele! &#x2012; &#x2012; Konnte&#x017F;t du zu <hi rendition="#fr">einer<lb/>
&#x017F;olchen Zeit,</hi> und <hi rendition="#fr">&#x017F;o fru&#x0364;he</hi> und unter <hi rendition="#fr">&#x017F;olchen<lb/>
Um&#x017F;ta&#x0364;nden</hi> deinen gerechten Zorn &#x017F;o weit u&#x0364;ber-<lb/>
wa&#x0364;ltigt haben, daß du dem vornehm&#x017F;ten Urheber<lb/>
aller deiner Unglu&#x0364;cksfa&#x0364;lle die Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit wu&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;chen konnte&#x017F;t? Dem, der dich aller &#x201E;deiner lieb-<lb/>
&#x201E;&#x017F;ten Hoffnung in die&#x017F;em Leben beraubet hatte?&#x201C;<lb/>
Dem, der die Ur&#x017F;ache gewe&#x017F;en war, &#x201E;daß du in<lb/>
&#x201E;der Blu&#x0364;te deiner Jugend hingeri&#x017F;&#x017F;en wor-<lb/>
&#x201E;den?&#x201C;</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Himm-</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[682/0688] worden und doch ihrer Hoffnung, mich auf beſſe- re Wege zu bringen, ſo unwuͤrdig geweſen bin! Wie edel ſind ihre Bewegungsgruͤnde! Nicht bloß um ihretwillen, nicht gaͤnzlich um meinet- willen hoffete ſie mich auf beſſere Wege zu brin- gen: ſondern eben ſo viel auch um der Unſchuldi- gen willen, die ſonſt von mir ungluͤcklich gemacht werden moͤchten. Und warum ſchrieb ſie nun dieſen Brief, und warum befahl ſie, daß er mir eingehaͤndigt wuͤrde, nachdem der beweinenswuͤrdigſte Erfolg zur Wirklichkeit gekommen waͤre? Warum an- ders, als zu meinem Beſten, und mit einer Ab- ſicht auf die Sicherheit der Unſchuldigen, die ſie nicht gekannt hat? ‒ ‒ Und wann ward dieſer Brief geſchrieben? War es nicht zu der Zeit, eben zu der Zeit, da ich ſie, ſo zu ſagen, von einem Or- te zum andern verfolgt hatte; da ihre Seele durch Truͤbſal und Verfolgung niedergedruͤckt; und ihr ſelbſt von den unverſoͤhnlichſten Verwandten alle Vergebung verſaget wurde? Erhabene Seele! ‒ ‒ Konnteſt du zu einer ſolchen Zeit, und ſo fruͤhe und unter ſolchen Umſtaͤnden deinen gerechten Zorn ſo weit uͤber- waͤltigt haben, daß du dem vornehmſten Urheber aller deiner Ungluͤcksfaͤlle die Gluͤckſeligkeit wuͤn- ſchen konnteſt? Dem, der dich aller „deiner lieb- „ſten Hoffnung in dieſem Leben beraubet hatte?“ Dem, der die Urſache geweſen war, „daß du in „der Bluͤte deiner Jugend hingeriſſen wor- „den?“ Himm-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/688
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 682. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/688>, abgerufen am 16.07.2024.