daß die Lobeserhebungen, welche ihr von dem Pre- diger zugetheilet wurden, ein so allgemeines und so dankbares Zischeln zum Beyfall erhielten.
Einige, scheint es, waren da, welche ihre un- glückliche Geschichte wußten, und deswegen auf die niedergeschlagenen Blicke des Bruders, und die überschwemmten Augen der Schwester Achtung gaben. "O was würden sie nun dafür geben, "wollten sie wetten, daß sie nicht so hartherzig ge- "wesen wären!" - - Andre verfolgten, so zu sa- gen, den strengen Vater und die unglückliche Mutter bis in ihre Kammern zu Hause. - - "Sie "wollten dafür stehen, daß sie nunmehr nachlassen "würden, da es zu spät wäre! - - Wie groß "müßte ihre Betrübniß seyn! - - Kein Wun- "der, daß sie nicht gegenwärtig seyn könnten."
Verschiedne drückten ihr Erstaunen aus, wie alle Stunden Leute thun, "daß ein Mensch leben "könnte, den solche Vollkommenheiten nicht zu "bewegen vermögend wären, gerecht gegen sie zu "verfahren;" menschlich, möchte ich sagen. - - Und wer könnte wohl, in Betrachtung ihres Stan- des und Vermögens, so wenig auf seine eigne Vortheile bedacht seyn: wenn er auch sonst kei- ne Bewegungsgründe gehabt hätte, gerecht zu seyn! - -
Der gute Geistliche berührte, auf Veranlas- sung seines Spruchs, nur eben den unglücklichen Schritt, welcher die Ursache ihres frühzeitigen To- des war. Er schrieb es der Beschaffenheit der Dinge auf Erden zu, bey welchen keine gänzliche
Voll-
daß die Lobeserhebungen, welche ihr von dem Pre- diger zugetheilet wurden, ein ſo allgemeines und ſo dankbares Ziſcheln zum Beyfall erhielten.
Einige, ſcheint es, waren da, welche ihre un- gluͤckliche Geſchichte wußten, und deswegen auf die niedergeſchlagenen Blicke des Bruders, und die uͤberſchwemmten Augen der Schweſter Achtung gaben. „O was wuͤrden ſie nun dafuͤr geben, „wollten ſie wetten, daß ſie nicht ſo hartherzig ge- „weſen waͤren!“ ‒ ‒ Andre verfolgten, ſo zu ſa- gen, den ſtrengen Vater und die ungluͤckliche Mutter bis in ihre Kammern zu Hauſe. ‒ ‒ „Sie „wollten dafuͤr ſtehen, daß ſie nunmehr nachlaſſen „wuͤrden, da es zu ſpaͤt waͤre! ‒ ‒ Wie groß „muͤßte ihre Betruͤbniß ſeyn! ‒ ‒ Kein Wun- „der, daß ſie nicht gegenwaͤrtig ſeyn koͤnnten.“
Verſchiedne druͤckten ihr Erſtaunen aus, wie alle Stunden Leute thun, „daß ein Menſch leben „koͤnnte, den ſolche Vollkommenheiten nicht zu „bewegen vermoͤgend waͤren, gerecht gegen ſie zu „verfahren;“ menſchlich, moͤchte ich ſagen. ‒ ‒ Und wer koͤnnte wohl, in Betrachtung ihres Stan- des und Vermoͤgens, ſo wenig auf ſeine eigne Vortheile bedacht ſeyn: wenn er auch ſonſt kei- ne Bewegungsgruͤnde gehabt haͤtte, gerecht zu ſeyn! ‒ ‒
Der gute Geiſtliche beruͤhrte, auf Veranlaſ- ſung ſeines Spruchs, nur eben den ungluͤcklichen Schritt, welcher die Urſache ihres fruͤhzeitigen To- des war. Er ſchrieb es der Beſchaffenheit der Dinge auf Erden zu, bey welchen keine gaͤnzliche
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daß die Lobeserhebungen, welche ihr von dem Pre-
diger zugetheilet wurden, ein ſo allgemeines und
ſo dankbares Ziſcheln zum Beyfall erhielten.
Einige, ſcheint es, waren da, welche ihre un-
gluͤckliche Geſchichte wußten, und deswegen auf die
niedergeſchlagenen Blicke des Bruders, und die
uͤberſchwemmten Augen der Schweſter Achtung
gaben. „O was wuͤrden ſie nun dafuͤr geben,
„wollten ſie wetten, daß ſie nicht ſo hartherzig ge-
„weſen waͤren!“ ‒ ‒ Andre verfolgten, ſo zu ſa-
gen, den ſtrengen Vater und die ungluͤckliche
Mutter bis in ihre Kammern zu Hauſe. ‒ ‒ „Sie
„wollten dafuͤr ſtehen, daß ſie nunmehr nachlaſſen
„wuͤrden, da es zu ſpaͤt waͤre! ‒ ‒ Wie groß
„muͤßte ihre Betruͤbniß ſeyn! ‒ ‒ Kein Wun-
„der, daß ſie nicht gegenwaͤrtig ſeyn koͤnnten.“
Verſchiedne druͤckten ihr Erſtaunen aus, wie
alle Stunden Leute thun, „daß ein Menſch leben
„koͤnnte, den ſolche Vollkommenheiten nicht zu
„bewegen vermoͤgend waͤren, gerecht gegen ſie zu
„verfahren;“ menſchlich, moͤchte ich ſagen. ‒ ‒
Und wer koͤnnte wohl, in Betrachtung ihres Stan-
des und Vermoͤgens, ſo wenig auf ſeine eigne
Vortheile bedacht ſeyn: wenn er auch ſonſt kei-
ne Bewegungsgruͤnde gehabt haͤtte, gerecht zu
ſeyn! ‒ ‒
Der gute Geiſtliche beruͤhrte, auf Veranlaſ-
ſung ſeines Spruchs, nur eben den ungluͤcklichen
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 608. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/614>, abgerufen am 22.11.2024.
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