than werden konnte: trat der Vater schon wieder zurück. O meine Wertheste, sprach er, ich kann es nicht, ich finde, ich kann es nicht aushalten! - - Wäre ich - - Wäre ich - - Wäre ich doch niemals hartgesinnt gewesen! - - Darauf wand- te er sich um zu seiner Gemahlinn und hatte nur noch eben Zeit, sie in seine Arme zu fassen, damit sie nicht zu Boden sinken möchte, wie sie eben thun wollte. O mein liebstes Leben, waren seine Worte, dieß ist zu viel! - - Zu viel in Wahr- heit! - - Lassen sie uns, lassen sie uns weggehen. Fr. Norton, die durch das ehrfurchtswürdige Behältniß angelocket war und die gute Frau eben erst verlassen hatte, eilte zu ihr - - Liebe, liebe Fr. Norton, schrie die unglückliche Mutter, in- dem sie ihre Arme derselben um den Hals schlug, tragen sie mich, tragen sie mich von hier! - - O mein Kind! mein Kind! Meine eigne Cla- rissa Harlowe! Du, die noch vor so kurzer Zeit der Ruhm meines Lebens gewesen! - - Niemals, niemals muß ich dich mehr sehen!
Jch half dem unglücklichen Vater, Fr. Nor- ton der sinkenden Mutter zu dem nächsten Saal. Sie warf sich daselbst auf ein Sesselbett; er in einen Lehnstuhl neben ihr; die gute Frau zu ih- ren Füßen, und hatte sie mit beyden Armen um- fasset. So zärtlich beschäfftigten sich die beyden Mütter, wie ich sie wohl nennen mag, von mei- ner geliebten Base! - - Was für ein mannich- faltiger Jammer zeiget sich in diesen kläglichen Aufzügen.
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than werden konnte: trat der Vater ſchon wieder zuruͤck. O meine Wertheſte, ſprach er, ich kann es nicht, ich finde, ich kann es nicht aushalten! ‒ ‒ Waͤre ich ‒ ‒ Waͤre ich ‒ ‒ Waͤre ich doch niemals hartgeſinnt geweſen! ‒ ‒ Darauf wand- te er ſich um zu ſeiner Gemahlinn und hatte nur noch eben Zeit, ſie in ſeine Arme zu faſſen, damit ſie nicht zu Boden ſinken moͤchte, wie ſie eben thun wollte. O mein liebſtes Leben, waren ſeine Worte, dieß iſt zu viel! ‒ ‒ Zu viel in Wahr- heit! ‒ ‒ Laſſen ſie uns, laſſen ſie uns weggehen. Fr. Norton, die durch das ehrfurchtswuͤrdige Behaͤltniß angelocket war und die gute Frau eben erſt verlaſſen hatte, eilte zu ihr ‒ ‒ Liebe, liebe Fr. Norton, ſchrie die ungluͤckliche Mutter, in- dem ſie ihre Arme derſelben um den Hals ſchlug, tragen ſie mich, tragen ſie mich von hier! ‒ ‒ O mein Kind! mein Kind! Meine eigne Cla- riſſa Harlowe! Du, die noch vor ſo kurzer Zeit der Ruhm meines Lebens geweſen! ‒ ‒ Niemals, niemals muß ich dich mehr ſehen!
Jch half dem ungluͤcklichen Vater, Fr. Nor- ton der ſinkenden Mutter zu dem naͤchſten Saal. Sie warf ſich daſelbſt auf ein Seſſelbett; er in einen Lehnſtuhl neben ihr; die gute Frau zu ih- ren Fuͤßen, und hatte ſie mit beyden Armen um- faſſet. So zaͤrtlich beſchaͤfftigten ſich die beyden Muͤtter, wie ich ſie wohl nennen mag, von mei- ner geliebten Baſe! ‒ ‒ Was fuͤr ein mannich- faltiger Jammer zeiget ſich in dieſen klaͤglichen Aufzuͤgen.
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than werden konnte: trat der Vater ſchon wieder
zuruͤck. O meine Wertheſte, ſprach er, ich kann
es nicht, ich finde, ich kann es nicht aushalten!
‒ ‒ Waͤre ich ‒ ‒ Waͤre ich ‒ ‒ Waͤre ich doch
niemals hartgeſinnt geweſen! ‒ ‒ Darauf wand-
te er ſich um zu ſeiner Gemahlinn und hatte nur
noch eben Zeit, ſie in ſeine Arme zu faſſen, damit
ſie nicht zu Boden ſinken moͤchte, wie ſie eben
thun wollte. O mein liebſtes Leben, waren ſeine
Worte, dieß iſt zu viel! ‒ ‒ Zu viel in Wahr-
heit! ‒ ‒ Laſſen ſie uns, laſſen ſie uns weggehen.
Fr. Norton, die durch das ehrfurchtswuͤrdige
Behaͤltniß angelocket war und die gute Frau eben
erſt verlaſſen hatte, eilte zu ihr ‒ ‒ Liebe, liebe
Fr. Norton, ſchrie die ungluͤckliche Mutter, in-
dem ſie ihre Arme derſelben um den Hals ſchlug,
tragen ſie mich, tragen ſie mich von hier! ‒ ‒
O mein Kind! mein Kind! Meine eigne Cla-
riſſa Harlowe! Du, die noch vor ſo kurzer Zeit
der Ruhm meines Lebens geweſen! ‒ ‒ Niemals,
niemals muß ich dich mehr ſehen!
Jch half dem ungluͤcklichen Vater, Fr. Nor-
ton der ſinkenden Mutter zu dem naͤchſten Saal.
Sie warf ſich daſelbſt auf ein Seſſelbett; er in
einen Lehnſtuhl neben ihr; die gute Frau zu ih-
ren Fuͤßen, und hatte ſie mit beyden Armen um-
faſſet. So zaͤrtlich beſchaͤfftigten ſich die beyden
Muͤtter, wie ich ſie wohl nennen mag, von mei-
ner geliebten Baſe! ‒ ‒ Was fuͤr ein mannich-
faltiger Jammer zeiget ſich in dieſen klaͤglichen
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/605>, abgerufen am 22.11.2024.
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