leichterung gegönnet worden: so würde mein Herz von einander geborsten seyn. - - Mehr, viel mehr Thränen, als dieß sind, bin ich meiner Cla- rissa schuldig, deren guter Rath das für mich gethan hat, was der meinige für sie nicht thun konnte! - - Aber warum - - Nun sahe sie die Leiche, mit zusammengeschlagenen und aufgehobe- nen Händen, ernstlich an - - Aber warum be- klage ich die Glückselige? Und daß du es bist, ist mein Trost. Es ist es, es ist es, meine liebe Freundinn! - - Hierbey küßte sie dieselbe wieder.
Entschuldigen sie mich, mein Herr; so wand- te sie sich zu mir, der ich eben so gerühret war, als sie selbst; ich habe die liebe Fräulein so gelie- bet, als wohl niemals ein Frauenzimmer das an- dere geliebet hat. Entschuldigen sie meinen Kum- mer, der mich mir selbst geraubet. Wie ist die Zierde ihres Geschlechtes zu einem Opfer der Bos- heit und der Unbarmherzigkeit geworden!
Gnädige Fräulein, versetzte ich, sie fühlen es alle! - - Nun fühlen sie es in der That - -
Sie mögen es immer fühlen - - Jch wür- de meine Liebe gegen meine Herzensfreundinn ver- leugnen: wenn ich sie bedauren sollte. - - Al- lein, wie unglücklich bin ich - - Hiebey sahe sie auf die Leiche - - daß ich sie nicht gesehen habe, ehe diese Augen geschlossen, ehe diese Lippen auf ewig verschlossen wurden! - - O mein Herr! sie wissen nicht, was für Weisheit beständig von diesen Lippen floß, wenn sie redete! - - Sie
wissen
leichterung gegoͤnnet worden: ſo wuͤrde mein Herz von einander geborſten ſeyn. ‒ ‒ Mehr, viel mehr Thraͤnen, als dieß ſind, bin ich meiner Cla- riſſa ſchuldig, deren guter Rath das fuͤr mich gethan hat, was der meinige fuͤr ſie nicht thun konnte! ‒ ‒ Aber warum ‒ ‒ Nun ſahe ſie die Leiche, mit zuſammengeſchlagenen und aufgehobe- nen Haͤnden, ernſtlich an ‒ ‒ Aber warum be- klage ich die Gluͤckſelige? Und daß du es biſt, iſt mein Troſt. Es iſt es, es iſt es, meine liebe Freundinn! ‒ ‒ Hierbey kuͤßte ſie dieſelbe wieder.
Entſchuldigen ſie mich, mein Herr; ſo wand- te ſie ſich zu mir, der ich eben ſo geruͤhret war, als ſie ſelbſt; ich habe die liebe Fraͤulein ſo gelie- bet, als wohl niemals ein Frauenzimmer das an- dere geliebet hat. Entſchuldigen ſie meinen Kum- mer, der mich mir ſelbſt geraubet. Wie iſt die Zierde ihres Geſchlechtes zu einem Opfer der Bos- heit und der Unbarmherzigkeit geworden!
Gnaͤdige Fraͤulein, verſetzte ich, ſie fuͤhlen es alle! ‒ ‒ Nun fuͤhlen ſie es in der That ‒ ‒
Sie moͤgen es immer fuͤhlen ‒ ‒ Jch wuͤr- de meine Liebe gegen meine Herzensfreundinn ver- leugnen: wenn ich ſie bedauren ſollte. ‒ ‒ Al- lein, wie ungluͤcklich bin ich ‒ ‒ Hiebey ſahe ſie auf die Leiche ‒ ‒ daß ich ſie nicht geſehen habe, ehe dieſe Augen geſchloſſen, ehe dieſe Lippen auf ewig verſchloſſen wurden! ‒ ‒ O mein Herr! ſie wiſſen nicht, was fuͤr Weisheit beſtaͤndig von dieſen Lippen floß, wenn ſie redete! ‒ ‒ Sie
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leichterung gegoͤnnet worden: ſo wuͤrde mein Herz
von einander geborſten ſeyn. ‒ ‒ Mehr, viel
mehr Thraͤnen, als dieß ſind, bin ich meiner Cla-
riſſa ſchuldig, deren guter Rath das fuͤr mich
gethan hat, was der meinige fuͤr ſie nicht thun
konnte! ‒ ‒ Aber warum ‒ ‒ Nun ſahe ſie die
Leiche, mit zuſammengeſchlagenen und aufgehobe-
nen Haͤnden, ernſtlich an ‒ ‒ Aber warum be-
klage ich die Gluͤckſelige? Und daß du es biſt,
iſt mein Troſt. Es iſt es, es iſt es, meine liebe
Freundinn! ‒ ‒ Hierbey kuͤßte ſie dieſelbe
wieder.
Entſchuldigen ſie mich, mein Herr; ſo wand-
te ſie ſich zu mir, der ich eben ſo geruͤhret war,
als ſie ſelbſt; ich habe die liebe Fraͤulein ſo gelie-
bet, als wohl niemals ein Frauenzimmer das an-
dere geliebet hat. Entſchuldigen ſie meinen Kum-
mer, der mich mir ſelbſt geraubet. Wie iſt die
Zierde ihres Geſchlechtes zu einem Opfer der Bos-
heit und der Unbarmherzigkeit geworden!
Gnaͤdige Fraͤulein, verſetzte ich, ſie fuͤhlen es
alle! ‒ ‒ Nun fuͤhlen ſie es in der That ‒ ‒
Sie moͤgen es immer fuͤhlen ‒ ‒ Jch wuͤr-
de meine Liebe gegen meine Herzensfreundinn ver-
leugnen: wenn ich ſie bedauren ſollte. ‒ ‒ Al-
lein, wie ungluͤcklich bin ich ‒ ‒ Hiebey ſahe ſie
auf die Leiche ‒ ‒ daß ich ſie nicht geſehen habe,
ehe dieſe Augen geſchloſſen, ehe dieſe Lippen auf
ewig verſchloſſen wurden! ‒ ‒ O mein Herr!
ſie wiſſen nicht, was fuͤr Weisheit beſtaͤndig von
dieſen Lippen floß, wenn ſie redete! ‒ ‒ Sie
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/600>, abgerufen am 22.11.2024.
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