werden sollte; so war es kein Wunder, daß ihre Betrübniß mehr als eine gemeine Traurigkeit war.
Sie hatten, wie es scheint, die Mutter zurück- halten wollen, nicht hinein zu kommen. Als sie es aber nicht konnten: so leisteten sie ihr alle Ge- sellschaft, ob sie gleich vorher unschlüßig waren; und wurden durch einen Trieb, dem sie nicht wi- derstehen konnten, geleitet. Die arme Frau ließ ihr Auge nur eben auf den Sarg fallen. Alsdenn zog sie es plötzlich davon ab und begab sich mit empfindlichem Kummer an das Fenster. Jedoch wandte sie sich mit zusammengeschlagenen Händen gleichsam an ihre geliebte Tochter. O mein Kind! mein Kind! rief sie: Du meine beste Hoffnung! Warum ward mir nicht erlaubet, dir Verzeihung und Friede zuzusprechen! - - O vergieb dei- ner grausamen Mutter!
Jhr Sohn, dessen Herz nunmehr besänftigt war, wie seine Augen zeigten, ersuchte sie, sich wegzubegeben: und weil ihre Kammerfrau eben den Augenblick hereinsahe; so rief er dieser, daß sie ihm ihre gnädige Frau in den mittlern Saal führen hülfe. Darauf kam er wieder zurück und begegnete seinem Vater, da er aus der Thüre ging, welcher auch nur eben ein Auge auf den Sarg geworfen hatte und sich durch mein inständiges Bitten bewegen ließ, wegzugehen.
Seine Traurigkeit war allzu groß, daß sie sich äußern konnte: bis er seinen Sohn herein kom- men sahe. Alsdenn stieß er einen schweren Seuf- zer aus und sagte: Niemals ist ein Schmerz
ge-
werden ſollte; ſo war es kein Wunder, daß ihre Betruͤbniß mehr als eine gemeine Traurigkeit war.
Sie hatten, wie es ſcheint, die Mutter zuruͤck- halten wollen, nicht hinein zu kommen. Als ſie es aber nicht konnten: ſo leiſteten ſie ihr alle Ge- ſellſchaft, ob ſie gleich vorher unſchluͤßig waren; und wurden durch einen Trieb, dem ſie nicht wi- derſtehen konnten, geleitet. Die arme Frau ließ ihr Auge nur eben auf den Sarg fallen. Alsdenn zog ſie es ploͤtzlich davon ab und begab ſich mit empfindlichem Kummer an das Fenſter. Jedoch wandte ſie ſich mit zuſammengeſchlagenen Haͤnden gleichſam an ihre geliebte Tochter. O mein Kind! mein Kind! rief ſie: Du meine beſte Hoffnung! Warum ward mir nicht erlaubet, dir Verzeihung und Friede zuzuſprechen! ‒ ‒ O vergieb dei- ner grauſamen Mutter!
Jhr Sohn, deſſen Herz nunmehr beſaͤnftigt war, wie ſeine Augen zeigten, erſuchte ſie, ſich wegzubegeben: und weil ihre Kammerfrau eben den Augenblick hereinſahe; ſo rief er dieſer, daß ſie ihm ihre gnaͤdige Frau in den mittlern Saal fuͤhren huͤlfe. Darauf kam er wieder zuruͤck und begegnete ſeinem Vater, da er aus der Thuͤre ging, welcher auch nur eben ein Auge auf den Sarg geworfen hatte und ſich durch mein inſtaͤndiges Bitten bewegen ließ, wegzugehen.
Seine Traurigkeit war allzu groß, daß ſie ſich aͤußern konnte: bis er ſeinen Sohn herein kom- men ſahe. Alsdenn ſtieß er einen ſchweren Seuf- zer aus und ſagte: Niemals iſt ein Schmerz
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werden ſollte; ſo war es kein Wunder, daß ihre
Betruͤbniß mehr als eine gemeine Traurigkeit war.
Sie hatten, wie es ſcheint, die Mutter zuruͤck-
halten wollen, nicht hinein zu kommen. Als ſie
es aber nicht konnten: ſo leiſteten ſie ihr alle Ge-
ſellſchaft, ob ſie gleich vorher unſchluͤßig waren;
und wurden durch einen Trieb, dem ſie nicht wi-
derſtehen konnten, geleitet. Die arme Frau ließ
ihr Auge nur eben auf den Sarg fallen. Alsdenn
zog ſie es ploͤtzlich davon ab und begab ſich mit
empfindlichem Kummer an das Fenſter. Jedoch
wandte ſie ſich mit zuſammengeſchlagenen Haͤnden
gleichſam an ihre geliebte Tochter. O mein Kind!
mein Kind! rief ſie: Du meine beſte Hoffnung!
Warum ward mir nicht erlaubet, dir Verzeihung
und Friede zuzuſprechen! ‒ ‒ O vergieb dei-
ner grauſamen Mutter!
Jhr Sohn, deſſen Herz nunmehr beſaͤnftigt
war, wie ſeine Augen zeigten, erſuchte ſie, ſich
wegzubegeben: und weil ihre Kammerfrau eben
den Augenblick hereinſahe; ſo rief er dieſer, daß
ſie ihm ihre gnaͤdige Frau in den mittlern Saal
fuͤhren huͤlfe. Darauf kam er wieder zuruͤck und
begegnete ſeinem Vater, da er aus der Thuͤre ging,
welcher auch nur eben ein Auge auf den Sarg
geworfen hatte und ſich durch mein inſtaͤndiges
Bitten bewegen ließ, wegzugehen.
Seine Traurigkeit war allzu groß, daß ſie ſich
aͤußern konnte: bis er ſeinen Sohn herein kom-
men ſahe. Alsdenn ſtieß er einen ſchweren Seuf-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 578. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/584>, abgerufen am 22.11.2024.
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