"dem sie verflossen sind? - - Was für Freun- "de hätte ich nicht schon in der Hälfte so wohl ei- "nes als des andern von diesen Zeiten zu betrauren "haben können? Mit was für Versuchungen "von zeitlicher Glückseligkeit hätte ich nicht zu "streiten haben mögen? Und wie wenig Wahr- "scheinlichkeit hat es in einem solchen Fall, wenn "ich in irdischen Vergnügungen versunken gewe- "sen wäre, daß ich bey dem Ziel meines Lebens- "laufs mit einer solchen Vorbereitung und Er- "gebung in den göttlichen Willen beglückt gewor- "den seyn würde, als ich itzo zu meinem Segen "gehabt habe?
Sie fährt folgendergestalt fort: "So viel, "gnädige Frau, Sie und mich selbst durch diese "Regierung der Vorsehung zu trösten. Was "meine werthe Eltern betrifft: so hoffe ich, sie wer- "den sich selbst damit trösten, daß ihnen noch vieler "Segen übrig gelassen ist, welcher billig den Un- "ruhen, die ihnen mein Vergehen verursachet hat, "zu einem Gegengewichte dienen müssen; daß, "so unglücklich ich auch gewesen bin, ihre Glück- "seligkeit zu stören, sie doch niemals, bis auf die- "sen meinen Fehltritt, ein schweres Uebel em- "pfunden haben; daß die Trübsal sich in Segen "verkehren kann, wenn man sie mit Gedult erträ- "get; daß keine ununterbrochne Glückseligkeit in "diesem Leben zu erwarten stehet; daß sie doch "by dem allen, wie ich mir in demüthiger Zuversicht "Hoffnung mache, nicht Ursache haben, die Wahr- "scheinlichkeit des ewigen Verderbens bey ihrem
"Kinde
„dem ſie verfloſſen ſind? ‒ ‒ Was fuͤr Freun- „de haͤtte ich nicht ſchon in der Haͤlfte ſo wohl ei- „nes als des andern von dieſen Zeiten zu betrauren „haben koͤnnen? Mit was fuͤr Verſuchungen „von zeitlicher Gluͤckſeligkeit haͤtte ich nicht zu „ſtreiten haben moͤgen? Und wie wenig Wahr- „ſcheinlichkeit hat es in einem ſolchen Fall, wenn „ich in irdiſchen Vergnuͤgungen verſunken gewe- „ſen waͤre, daß ich bey dem Ziel meines Lebens- „laufs mit einer ſolchen Vorbereitung und Er- „gebung in den goͤttlichen Willen begluͤckt gewor- „den ſeyn wuͤrde, als ich itzo zu meinem Segen „gehabt habe?
Sie faͤhrt folgendergeſtalt fort: „So viel, „gnaͤdige Frau, Sie und mich ſelbſt durch dieſe „Regierung der Vorſehung zu troͤſten. Was „meine werthe Eltern betrifft: ſo hoffe ich, ſie wer- „den ſich ſelbſt damit troͤſten, daß ihnen noch vieler „Segen uͤbrig gelaſſen iſt, welcher billig den Un- „ruhen, die ihnen mein Vergehen verurſachet hat, „zu einem Gegengewichte dienen muͤſſen; daß, „ſo ungluͤcklich ich auch geweſen bin, ihre Gluͤck- „ſeligkeit zu ſtoͤren, ſie doch niemals, bis auf die- „ſen meinen Fehltritt, ein ſchweres Uebel em- „pfunden haben; daß die Truͤbſal ſich in Segen „verkehren kann, wenn man ſie mit Gedult ertraͤ- „get; daß keine ununterbrochne Gluͤckſeligkeit in „dieſem Leben zu erwarten ſtehet; daß ſie doch „by dem allen, wie ich mir in demuͤthiger Zuverſicht „Hoffnung mache, nicht Urſache haben, die Wahr- „ſcheinlichkeit des ewigen Verderbens bey ihrem
„Kinde
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„dem ſie verfloſſen ſind? ‒ ‒ Was fuͤr Freun-
„de haͤtte ich nicht ſchon in der Haͤlfte ſo wohl ei-
„nes als des andern von dieſen Zeiten zu betrauren
„haben koͤnnen? Mit was fuͤr Verſuchungen
„von zeitlicher Gluͤckſeligkeit haͤtte ich nicht zu
„ſtreiten haben moͤgen? Und wie wenig Wahr-
„ſcheinlichkeit hat es in einem ſolchen Fall, wenn
„ich in irdiſchen Vergnuͤgungen verſunken gewe-
„ſen waͤre, daß ich bey dem Ziel meines Lebens-
„laufs mit einer ſolchen Vorbereitung und Er-
„gebung in den goͤttlichen Willen begluͤckt gewor-
„den ſeyn wuͤrde, als ich itzo zu meinem Segen
„gehabt habe?
Sie faͤhrt folgendergeſtalt fort: „So viel,
„gnaͤdige Frau, Sie und mich ſelbſt durch dieſe
„Regierung der Vorſehung zu troͤſten. Was
„meine werthe Eltern betrifft: ſo hoffe ich, ſie wer-
„den ſich ſelbſt damit troͤſten, daß ihnen noch vieler
„Segen uͤbrig gelaſſen iſt, welcher billig den Un-
„ruhen, die ihnen mein Vergehen verurſachet hat,
„zu einem Gegengewichte dienen muͤſſen; daß,
„ſo ungluͤcklich ich auch geweſen bin, ihre Gluͤck-
„ſeligkeit zu ſtoͤren, ſie doch niemals, bis auf die-
„ſen meinen Fehltritt, ein ſchweres Uebel em-
„pfunden haben; daß die Truͤbſal ſich in Segen
„verkehren kann, wenn man ſie mit Gedult ertraͤ-
„get; daß keine ununterbrochne Gluͤckſeligkeit in
„dieſem Leben zu erwarten ſtehet; daß ſie doch
„by dem allen, wie ich mir in demuͤthiger Zuverſicht
„Hoffnung mache, nicht Urſache haben, die Wahr-
„ſcheinlichkeit des ewigen Verderbens bey ihrem
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 506. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/512>, abgerufen am 22.11.2024.
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