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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

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Hiernächst bedenket, lieber Bruder, was es
für Eure werthe Eltern für Folgen haben würde,
wenn der böse Mensch, der ihnen den Verlust ei-
ner Tochter zuwege gebracht hat, sie auch ihrer
besten Hoffnung, eines einigen Sohnes, der in
Betrachtung der Familiensachen mehr werth ist,
als verschiedne Töchter, berauben sollte?

Wolltet Jhr, lieber Bruder, das Herzeleid
noch vermehren, weswegen Jhr Eure Schwester
für so wenig zu entschuldigen haltet, weil sie es,
ob gleich wider Willen und ohne Vorsatz verur-
sachet hat?

Suchet also nicht, ich bitte Euch, suchet nicht
die üblen Folgen von dem Vergehen Eurer Schwe-
ster noch weiter auszubreiten. Sein Gewissen
wird schärfer seyn, als Euer Schwerdt, wenn es
Gott gefallen wird, dasselbe zu rühren.

Jch habe noch einen Bewegungsgrund, war-
um ich auf diese feyerliche Art an Euch schreibe.
Es ist dieser, daß ich Euch ersuchen möge, über
Eure Leidenschaften zu wachen. Der vornehm-
ste Fehler, dessen ich Euch schuldig weiß, ist Eure
Heftigkeit, wenn Jhr Recht zu haben glaubet:
wie Jhr öfterer haben würdet, wenn eben diese
Heftigkeit nicht im Wege stünde.

Jhr habt zu verschiednen malen Euer Leben
dadurch in Gefahr gebracht.

Jst derjenige nicht einer parteyischen Eigen-
liebe in einem hohen Grade schuldig, der weniger
im Stande ist, Widerspruch zu ertragen, als ge-
schickt, ihn zu thun? - - Wie oft hat eine un-

gestüme


Hiernaͤchſt bedenket, lieber Bruder, was es
fuͤr Eure werthe Eltern fuͤr Folgen haben wuͤrde,
wenn der boͤſe Menſch, der ihnen den Verluſt ei-
ner Tochter zuwege gebracht hat, ſie auch ihrer
beſten Hoffnung, eines einigen Sohnes, der in
Betrachtung der Familienſachen mehr werth iſt,
als verſchiedne Toͤchter, berauben ſollte?

Wolltet Jhr, lieber Bruder, das Herzeleid
noch vermehren, weswegen Jhr Eure Schweſter
fuͤr ſo wenig zu entſchuldigen haltet, weil ſie es,
ob gleich wider Willen und ohne Vorſatz verur-
ſachet hat?

Suchet alſo nicht, ich bitte Euch, ſuchet nicht
die uͤblen Folgen von dem Vergehen Eurer Schwe-
ſter noch weiter auszubreiten. Sein Gewiſſen
wird ſchaͤrfer ſeyn, als Euer Schwerdt, wenn es
Gott gefallen wird, daſſelbe zu ruͤhren.

Jch habe noch einen Bewegungsgrund, war-
um ich auf dieſe feyerliche Art an Euch ſchreibe.
Es iſt dieſer, daß ich Euch erſuchen moͤge, uͤber
Eure Leidenſchaften zu wachen. Der vornehm-
ſte Fehler, deſſen ich Euch ſchuldig weiß, iſt Eure
Heftigkeit, wenn Jhr Recht zu haben glaubet:
wie Jhr oͤfterer haben wuͤrdet, wenn eben dieſe
Heftigkeit nicht im Wege ſtuͤnde.

Jhr habt zu verſchiednen malen Euer Leben
dadurch in Gefahr gebracht.

Jſt derjenige nicht einer parteyiſchen Eigen-
liebe in einem hohen Grade ſchuldig, der weniger
im Stande iſt, Widerſpruch zu ertragen, als ge-
ſchickt, ihn zu thun? ‒ ‒ Wie oft hat eine un-

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[498/0504] Hiernaͤchſt bedenket, lieber Bruder, was es fuͤr Eure werthe Eltern fuͤr Folgen haben wuͤrde, wenn der boͤſe Menſch, der ihnen den Verluſt ei- ner Tochter zuwege gebracht hat, ſie auch ihrer beſten Hoffnung, eines einigen Sohnes, der in Betrachtung der Familienſachen mehr werth iſt, als verſchiedne Toͤchter, berauben ſollte? Wolltet Jhr, lieber Bruder, das Herzeleid noch vermehren, weswegen Jhr Eure Schweſter fuͤr ſo wenig zu entſchuldigen haltet, weil ſie es, ob gleich wider Willen und ohne Vorſatz verur- ſachet hat? Suchet alſo nicht, ich bitte Euch, ſuchet nicht die uͤblen Folgen von dem Vergehen Eurer Schwe- ſter noch weiter auszubreiten. Sein Gewiſſen wird ſchaͤrfer ſeyn, als Euer Schwerdt, wenn es Gott gefallen wird, daſſelbe zu ruͤhren. Jch habe noch einen Bewegungsgrund, war- um ich auf dieſe feyerliche Art an Euch ſchreibe. Es iſt dieſer, daß ich Euch erſuchen moͤge, uͤber Eure Leidenſchaften zu wachen. Der vornehm- ſte Fehler, deſſen ich Euch ſchuldig weiß, iſt Eure Heftigkeit, wenn Jhr Recht zu haben glaubet: wie Jhr oͤfterer haben wuͤrdet, wenn eben dieſe Heftigkeit nicht im Wege ſtuͤnde. Jhr habt zu verſchiednen malen Euer Leben dadurch in Gefahr gebracht. Jſt derjenige nicht einer parteyiſchen Eigen- liebe in einem hohen Grade ſchuldig, der weniger im Stande iſt, Widerſpruch zu ertragen, als ge- ſchickt, ihn zu thun? ‒ ‒ Wie oft hat eine un- geſtuͤme

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/504>, abgerufen am 22.11.2024.