zu gehörigem Gebrauch überlassen sind, geleget. Dieß Packet habe ich noch nicht Zeit gehabt zu öffnen.
Kein Wunder, daß sie allezeit geschrieben, so lange sie im Stande gewesen, es zu thun: da sie noch zuletzt die Zeit so hat anwenden können, wel- che vorher, wegen der langen Tage, die sie mach- te, so vielen schönen Werken von ihren Fingern den Ursprung gegeben hat. Jch bin der Mey- nung, daß niemals ein junges Frauenzimmer ge- wesen, das so viel und mit solcher Geschwindigkeit geschrieben habe. Weil ihre Gedanken, wie ich gesehen, mit ihrer Feder einen gleichen Lauf hiel- ten: so hielte sie kaum jemals inne, oder stockte; und strich sehr selten aus, oder änderte. Dieß war eine natürliche Gabe, die sie unter vielen an- dern außerordentlichen Vorzügen der Natur besaß.
Jch gab dem Obristen seinen Brief und be- fahl Henrichen alsobald, sich fertig zu machen und die übrigen wegzubringen.
Mittlerweile begaben wir uns in das nächste Zimmer und öffneten das Testament. Wir wur- den beyde bey Durchlesung desselben so gerühret, daß einmal der Obrist abbrach und es mir gab, weiter zu lesen; ein anderes mal ich es ihm zu- rückgab, damit fortzufahren: indem keiner von uns beyden im Stande war, es ohne solche Zei- chen der Empfindlichkeit, welche in die Sprache eines jeden einen Einfluß hatten, durchzulesen.
Fr.
zu gehoͤrigem Gebrauch uͤberlaſſen ſind, geleget. Dieß Packet habe ich noch nicht Zeit gehabt zu oͤffnen.
Kein Wunder, daß ſie allezeit geſchrieben, ſo lange ſie im Stande geweſen, es zu thun: da ſie noch zuletzt die Zeit ſo hat anwenden koͤnnen, wel- che vorher, wegen der langen Tage, die ſie mach- te, ſo vielen ſchoͤnen Werken von ihren Fingern den Urſprung gegeben hat. Jch bin der Mey- nung, daß niemals ein junges Frauenzimmer ge- weſen, das ſo viel und mit ſolcher Geſchwindigkeit geſchrieben habe. Weil ihre Gedanken, wie ich geſehen, mit ihrer Feder einen gleichen Lauf hiel- ten: ſo hielte ſie kaum jemals inne, oder ſtockte; und ſtrich ſehr ſelten aus, oder aͤnderte. Dieß war eine natuͤrliche Gabe, die ſie unter vielen an- dern außerordentlichen Vorzuͤgen der Natur beſaß.
Jch gab dem Obriſten ſeinen Brief und be- fahl Henrichen alſobald, ſich fertig zu machen und die uͤbrigen wegzubringen.
Mittlerweile begaben wir uns in das naͤchſte Zimmer und oͤffneten das Teſtament. Wir wur- den beyde bey Durchleſung deſſelben ſo geruͤhret, daß einmal der Obriſt abbrach und es mir gab, weiter zu leſen; ein anderes mal ich es ihm zu- ruͤckgab, damit fortzufahren: indem keiner von uns beyden im Stande war, es ohne ſolche Zei- chen der Empfindlichkeit, welche in die Sprache eines jeden einen Einfluß hatten, durchzuleſen.
Fr.
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zu gehoͤrigem Gebrauch uͤberlaſſen ſind, geleget.
Dieß Packet habe ich noch nicht Zeit gehabt zu
oͤffnen.
Kein Wunder, daß ſie allezeit geſchrieben, ſo
lange ſie im Stande geweſen, es zu thun: da ſie
noch zuletzt die Zeit ſo hat anwenden koͤnnen, wel-
che vorher, wegen der langen Tage, die ſie mach-
te, ſo vielen ſchoͤnen Werken von ihren Fingern
den Urſprung gegeben hat. Jch bin der Mey-
nung, daß niemals ein junges Frauenzimmer ge-
weſen, das ſo viel und mit ſolcher Geſchwindigkeit
geſchrieben habe. Weil ihre Gedanken, wie ich
geſehen, mit ihrer Feder einen gleichen Lauf hiel-
ten: ſo hielte ſie kaum jemals inne, oder ſtockte;
und ſtrich ſehr ſelten aus, oder aͤnderte. Dieß
war eine natuͤrliche Gabe, die ſie unter vielen an-
dern außerordentlichen Vorzuͤgen der Natur
beſaß.
Jch gab dem Obriſten ſeinen Brief und be-
fahl Henrichen alſobald, ſich fertig zu machen
und die uͤbrigen wegzubringen.
Mittlerweile begaben wir uns in das naͤchſte
Zimmer und oͤffneten das Teſtament. Wir wur-
den beyde bey Durchleſung deſſelben ſo geruͤhret,
daß einmal der Obriſt abbrach und es mir gab,
weiter zu leſen; ein anderes mal ich es ihm zu-
ruͤckgab, damit fortzufahren: indem keiner von
uns beyden im Stande war, es ohne ſolche Zei-
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Fr.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/488>, abgerufen am 22.11.2024.
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