Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite



so betrübt, als sie. Fr. Lovick hatte sie beyde kurz
vorher gleichfalls mit Thränen verlassen. Denn
sie hatten sich einander beklaget, weil sie einerley
Meynung gewesen, daß die bewundernswürdige
Fräulein die Nacht nicht überleben würde. Die
Fräulein selbst hatte ihnen gesagt, sie glaubte es
auch, wegen einiger Benebelungen, die sie die Vor-
bothen des Todes nannte, und wegen einer zuneh-
menden Neigung zu schlummern.

Der Obrist fragte, wie mir Fr. Smithinn
nachher erzählte, den Augenblick, da er vom Pfer-
de stieg, mit großer Ungedult, wie es mit der Fräu-
lein Harlowe wäre? Sie wäre noch am Leben,
antwortete sie, aber ihr wäre bange, daß es ge-
schwinde mit ihr auswerden möchte. Lieber
Gott! sprach er mit aufgehabenen Händen und
Augen. Kann ich sie sehen? Mein Name ist
Morden. Jch habe die Ehre, nahe mit ihr ver-
wandt zu seyn. Gehen sie hinauf, ich bitte, und
melden ihr; sie hat noch Empfindung, hoffe ich;
daß ich hier bin. Wer ist bey ihr?

Niemand, als ihre Wärterinn und Fr. Lo-
vick, eine edle Witwe, die so viel Sorge für sie
trägt, als wenn sie ihre Mutter wäre: - -

Ja noch mehr Sorge, fiel er ihr ins Wort:
sonst trägt sie gar keine Sorge für sie - -

Es wäre dann, fuhr Fr. Smithinn fort, daß
ein Cavallier, ein gewisser Herr Belford, der der
beste Freund gewesen ist, den sie gehabt hat, bey
ihr wäre.

Wo
D d 3



ſo betruͤbt, als ſie. Fr. Lovick hatte ſie beyde kurz
vorher gleichfalls mit Thraͤnen verlaſſen. Denn
ſie hatten ſich einander beklaget, weil ſie einerley
Meynung geweſen, daß die bewundernswuͤrdige
Fraͤulein die Nacht nicht uͤberleben wuͤrde. Die
Fraͤulein ſelbſt hatte ihnen geſagt, ſie glaubte es
auch, wegen einiger Benebelungen, die ſie die Vor-
bothen des Todes nannte, und wegen einer zuneh-
menden Neigung zu ſchlummern.

Der Obriſt fragte, wie mir Fr. Smithinn
nachher erzaͤhlte, den Augenblick, da er vom Pfer-
de ſtieg, mit großer Ungedult, wie es mit der Fraͤu-
lein Harlowe waͤre? Sie waͤre noch am Leben,
antwortete ſie, aber ihr waͤre bange, daß es ge-
ſchwinde mit ihr auswerden moͤchte. Lieber
Gott! ſprach er mit aufgehabenen Haͤnden und
Augen. Kann ich ſie ſehen? Mein Name iſt
Morden. Jch habe die Ehre, nahe mit ihr ver-
wandt zu ſeyn. Gehen ſie hinauf, ich bitte, und
melden ihr; ſie hat noch Empfindung, hoffe ich;
daß ich hier bin. Wer iſt bey ihr?

Niemand, als ihre Waͤrterinn und Fr. Lo-
vick, eine edle Witwe, die ſo viel Sorge fuͤr ſie
traͤgt, als wenn ſie ihre Mutter waͤre: ‒ ‒

Ja noch mehr Sorge, fiel er ihr ins Wort:
ſonſt traͤgt ſie gar keine Sorge fuͤr ſie ‒ ‒

Es waͤre dann, fuhr Fr. Smithinn fort, daß
ein Cavallier, ein gewiſſer Herr Belford, der der
beſte Freund geweſen iſt, den ſie gehabt hat, bey
ihr waͤre.

Wo
D d 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0427" n="421"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x017F;o betru&#x0364;bt, als &#x017F;ie. Fr. Lovick hatte &#x017F;ie beyde kurz<lb/>
vorher gleichfalls mit Thra&#x0364;nen verla&#x017F;&#x017F;en. Denn<lb/>
&#x017F;ie hatten &#x017F;ich einander beklaget, weil &#x017F;ie einerley<lb/>
Meynung gewe&#x017F;en, daß die bewundernswu&#x0364;rdige<lb/>
Fra&#x0364;ulein die Nacht nicht u&#x0364;berleben wu&#x0364;rde. Die<lb/>
Fra&#x0364;ulein &#x017F;elb&#x017F;t hatte ihnen ge&#x017F;agt, &#x017F;ie glaubte es<lb/>
auch, wegen einiger Benebelungen, die &#x017F;ie die Vor-<lb/>
bothen des Todes nannte, und wegen einer zuneh-<lb/>
menden Neigung zu &#x017F;chlummern.</p><lb/>
            <p>Der Obri&#x017F;t fragte, wie mir Fr. Smithinn<lb/>
nachher erza&#x0364;hlte, den Augenblick, da er vom Pfer-<lb/>
de &#x017F;tieg, mit großer Ungedult, wie es mit der Fra&#x0364;u-<lb/>
lein Harlowe wa&#x0364;re? Sie wa&#x0364;re noch am Leben,<lb/>
antwortete &#x017F;ie, aber ihr wa&#x0364;re bange, daß es ge-<lb/>
&#x017F;chwinde mit ihr auswerden mo&#x0364;chte. Lieber<lb/>
Gott! &#x017F;prach er mit aufgehabenen Ha&#x0364;nden und<lb/>
Augen. Kann ich &#x017F;ie &#x017F;ehen? Mein Name i&#x017F;t<lb/>
Morden. Jch habe die Ehre, nahe mit ihr ver-<lb/>
wandt zu &#x017F;eyn. Gehen &#x017F;ie hinauf, ich bitte, und<lb/>
melden ihr; &#x017F;ie hat noch Empfindung, hoffe ich;<lb/>
daß ich hier bin. Wer i&#x017F;t bey ihr?</p><lb/>
            <p>Niemand, als ihre Wa&#x0364;rterinn und Fr. Lo-<lb/>
vick, eine edle Witwe, die &#x017F;o viel Sorge fu&#x0364;r &#x017F;ie<lb/>
tra&#x0364;gt, als wenn &#x017F;ie ihre Mutter wa&#x0364;re: &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
            <p>Ja noch <hi rendition="#fr">mehr</hi> Sorge, fiel er ihr ins Wort:<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t tra&#x0364;gt &#x017F;ie gar keine Sorge fu&#x0364;r &#x017F;ie &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
            <p>Es wa&#x0364;re dann, fuhr Fr. Smithinn fort, daß<lb/>
ein Cavallier, ein gewi&#x017F;&#x017F;er Herr Belford, der der<lb/>
be&#x017F;te Freund gewe&#x017F;en i&#x017F;t, den &#x017F;ie gehabt hat, bey<lb/>
ihr wa&#x0364;re.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">D d 3</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Wo</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[421/0427] ſo betruͤbt, als ſie. Fr. Lovick hatte ſie beyde kurz vorher gleichfalls mit Thraͤnen verlaſſen. Denn ſie hatten ſich einander beklaget, weil ſie einerley Meynung geweſen, daß die bewundernswuͤrdige Fraͤulein die Nacht nicht uͤberleben wuͤrde. Die Fraͤulein ſelbſt hatte ihnen geſagt, ſie glaubte es auch, wegen einiger Benebelungen, die ſie die Vor- bothen des Todes nannte, und wegen einer zuneh- menden Neigung zu ſchlummern. Der Obriſt fragte, wie mir Fr. Smithinn nachher erzaͤhlte, den Augenblick, da er vom Pfer- de ſtieg, mit großer Ungedult, wie es mit der Fraͤu- lein Harlowe waͤre? Sie waͤre noch am Leben, antwortete ſie, aber ihr waͤre bange, daß es ge- ſchwinde mit ihr auswerden moͤchte. Lieber Gott! ſprach er mit aufgehabenen Haͤnden und Augen. Kann ich ſie ſehen? Mein Name iſt Morden. Jch habe die Ehre, nahe mit ihr ver- wandt zu ſeyn. Gehen ſie hinauf, ich bitte, und melden ihr; ſie hat noch Empfindung, hoffe ich; daß ich hier bin. Wer iſt bey ihr? Niemand, als ihre Waͤrterinn und Fr. Lo- vick, eine edle Witwe, die ſo viel Sorge fuͤr ſie traͤgt, als wenn ſie ihre Mutter waͤre: ‒ ‒ Ja noch mehr Sorge, fiel er ihr ins Wort: ſonſt traͤgt ſie gar keine Sorge fuͤr ſie ‒ ‒ Es waͤre dann, fuhr Fr. Smithinn fort, daß ein Cavallier, ein gewiſſer Herr Belford, der der beſte Freund geweſen iſt, den ſie gehabt hat, bey ihr waͤre. Wo D d 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/427
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 421. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/427>, abgerufen am 22.11.2024.