Jch ward heruntergerufen. Es war zu Hen- richen, der eben von der Fräulein Howe, an wel- che er den Brief der Fräulein gebracht, zurück- gekommen war. Weil ihm befohlen war, damit zu eilen und so bald, als möglich, wiederzukom- men: so hatte der einfältige Kerl sich nicht so lan- ge aufgehalten, bis die Fräulein Howe, welche fünf Meilen von Hause gewesen, ihn empfangen, ob die Frau Howe gleich haben wollen, daß er bleiben sollte, und eignes Gewerbes einen Kerl zu Pferde mit dem Briefe an ihre Tochter geschickt hatte.
Mittwoch. Morgens, um zehn.
Die arme-Fräulein hat sich eben wieder aus ei- ner Ohnmacht erhohlet, die sie an die Pfor- ten des Todes gebracht hat. Jhre kurz zuvor empfundene Ruhe und Befreyung von Schmer- zen schien nur wie ein vorüberfahrender Blitz zu seyn, wie sich Fr. Lovick und Fr. Smithinn ausdrücken.
Bey meiner Treue, Lovelace, ich hätte mich lieber von allen meinen Freunden in der Welt ge- trennt gesehen, als von dieser Fräulein. Vorher habe ich niemals gewußt, was eine tugendhafte, eine heilige Freundschaft wäre: so aber mag ich die meinige gegen sie wohl nennen. Allein was ist das für ein Kummer, daß ich zu derselben noch so wenig gewohnt und ihrer so bald zu entbeh- ren genöthigt bin. Jedoch, den Himmel sey Dank, ich verliere sie nicht durch meine eigne
Schuld!
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Jch ward heruntergerufen. Es war zu Hen- richen, der eben von der Fraͤulein Howe, an wel- che er den Brief der Fraͤulein gebracht, zuruͤck- gekommen war. Weil ihm befohlen war, damit zu eilen und ſo bald, als moͤglich, wiederzukom- men: ſo hatte der einfaͤltige Kerl ſich nicht ſo lan- ge aufgehalten, bis die Fraͤulein Howe, welche fuͤnf Meilen von Hauſe geweſen, ihn empfangen, ob die Frau Howe gleich haben wollen, daß er bleiben ſollte, und eignes Gewerbes einen Kerl zu Pferde mit dem Briefe an ihre Tochter geſchickt hatte.
Mittwoch. Morgens, um zehn.
Die arme-Fraͤulein hat ſich eben wieder aus ei- ner Ohnmacht erhohlet, die ſie an die Pfor- ten des Todes gebracht hat. Jhre kurz zuvor empfundene Ruhe und Befreyung von Schmer- zen ſchien nur wie ein voruͤberfahrender Blitz zu ſeyn, wie ſich Fr. Lovick und Fr. Smithinn ausdruͤcken.
Bey meiner Treue, Lovelace, ich haͤtte mich lieber von allen meinen Freunden in der Welt ge- trennt geſehen, als von dieſer Fraͤulein. Vorher habe ich niemals gewußt, was eine tugendhafte, eine heilige Freundſchaft waͤre: ſo aber mag ich die meinige gegen ſie wohl nennen. Allein was iſt das fuͤr ein Kummer, daß ich zu derſelben noch ſo wenig gewohnt und ihrer ſo bald zu entbeh- ren genoͤthigt bin. Jedoch, den Himmel ſey Dank, ich verliere ſie nicht durch meine eigne
Schuld!
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Jch ward heruntergerufen. Es war zu Hen-
richen, der eben von der Fraͤulein Howe, an wel-
che er den Brief der Fraͤulein gebracht, zuruͤck-
gekommen war. Weil ihm befohlen war, damit
zu eilen und ſo bald, als moͤglich, wiederzukom-
men: ſo hatte der einfaͤltige Kerl ſich nicht ſo lan-
ge aufgehalten, bis die Fraͤulein Howe, welche
fuͤnf Meilen von Hauſe geweſen, ihn empfangen,
ob die Frau Howe gleich haben wollen, daß er
bleiben ſollte, und eignes Gewerbes einen Kerl zu
Pferde mit dem Briefe an ihre Tochter geſchickt
hatte.
Mittwoch. Morgens, um zehn.
Die arme-Fraͤulein hat ſich eben wieder aus ei-
ner Ohnmacht erhohlet, die ſie an die Pfor-
ten des Todes gebracht hat. Jhre kurz zuvor
empfundene Ruhe und Befreyung von Schmer-
zen ſchien nur wie ein voruͤberfahrender Blitz
zu ſeyn, wie ſich Fr. Lovick und Fr. Smithinn
ausdruͤcken.
Bey meiner Treue, Lovelace, ich haͤtte mich
lieber von allen meinen Freunden in der Welt ge-
trennt geſehen, als von dieſer Fraͤulein. Vorher
habe ich niemals gewußt, was eine tugendhafte,
eine heilige Freundſchaft waͤre: ſo aber mag ich
die meinige gegen ſie wohl nennen. Allein was
iſt das fuͤr ein Kummer, daß ich zu derſelben noch
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/413>, abgerufen am 25.11.2024.
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