wählen, die nicht eben so traurig seyn, und eben dahin führen wird?
Jch könnte mit der ganzen Welt zanken: mit dir so wohl, als mit den Uebrigen; so gefällig du auch zu seyn glaubest, weil du alle Stunden an mich schreibest. Wie hast du dich, wenn gleich ohne ihr Wissen, unterstehen dürfen, ein Zimmer unter eben demselben Dache mit ihr zu beziehen? - - Es ist mir unerträglich zu gedenken, daß man dich, alle Stunden, nach und von ihren Zimmern gehen sehen soll: da ich unterdessen, der ich so vie- le Ursache habe, sie die meinige zu nennen, und ehemals von ihr aller Welt vorgezogen ward, ge- nöthigt bin, ferne zu bleiben, und kaum in die Stadt kommen darf, wo sie ist!
Wo etwas in Brands Briefe ist, das mir die schwermüthigen Gedanken vertreiben wird: so übersende mir ihn eiligst. Allein es wird nun- mehr nichts mich jemals aufmuntern, nichts mir jemals Freude oder Vergnügen wieder machen! Jch kann weder essen, trinken, noch schlafen. Die ganze Welt ist mir zuwider.
Gewiß es wird besser seyn, wenn alles vor- bey ist - - wenn ich das Aergste weiß, was die Schicksale wider mich thun können. - - Jedoch wie soll ich dieß Aergste ertragen? - - O Bel- ford, Belford! schreibe es nicht an mich: son- dern, wo es seyn muß, so schaffe sonst jemand, der es schreibe. Denn ich werde die Feder, die Hand, den Kopf und das Herz verfluchen, das gebrauchet wird, mir die unglückliche Zeitung zu
hinter-
waͤhlen, die nicht eben ſo traurig ſeyn, und eben dahin fuͤhren wird?
Jch koͤnnte mit der ganzen Welt zanken: mit dir ſo wohl, als mit den Uebrigen; ſo gefaͤllig du auch zu ſeyn glaubeſt, weil du alle Stunden an mich ſchreibeſt. Wie haſt du dich, wenn gleich ohne ihr Wiſſen, unterſtehen duͤrfen, ein Zimmer unter eben demſelben Dache mit ihr zu beziehen? ‒ ‒ Es iſt mir unertraͤglich zu gedenken, daß man dich, alle Stunden, nach und von ihren Zimmern gehen ſehen ſoll: da ich unterdeſſen, der ich ſo vie- le Urſache habe, ſie die meinige zu nennen, und ehemals von ihr aller Welt vorgezogen ward, ge- noͤthigt bin, ferne zu bleiben, und kaum in die Stadt kommen darf, wo ſie iſt!
Wo etwas in Brands Briefe iſt, das mir die ſchwermuͤthigen Gedanken vertreiben wird: ſo uͤberſende mir ihn eiligſt. Allein es wird nun- mehr nichts mich jemals aufmuntern, nichts mir jemals Freude oder Vergnuͤgen wieder machen! Jch kann weder eſſen, trinken, noch ſchlafen. Die ganze Welt iſt mir zuwider.
Gewiß es wird beſſer ſeyn, wenn alles vor- bey iſt ‒ ‒ wenn ich das Aergſte weiß, was die Schickſale wider mich thun koͤnnen. ‒ ‒ Jedoch wie ſoll ich dieß Aergſte ertragen? ‒ ‒ O Bel- ford, Belford! ſchreibe es nicht an mich: ſon- dern, wo es ſeyn muß, ſo ſchaffe ſonſt jemand, der es ſchreibe. Denn ich werde die Feder, die Hand, den Kopf und das Herz verfluchen, das gebrauchet wird, mir die ungluͤckliche Zeitung zu
hinter-
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waͤhlen, die nicht eben ſo traurig ſeyn, und eben
dahin fuͤhren wird?
Jch koͤnnte mit der ganzen Welt zanken: mit
dir ſo wohl, als mit den Uebrigen; ſo gefaͤllig du
auch zu ſeyn glaubeſt, weil du alle Stunden an
mich ſchreibeſt. Wie haſt du dich, wenn gleich
ohne ihr Wiſſen, unterſtehen duͤrfen, ein Zimmer
unter eben demſelben Dache mit ihr zu beziehen?
‒ ‒ Es iſt mir unertraͤglich zu gedenken, daß man
dich, alle Stunden, nach und von ihren Zimmern
gehen ſehen ſoll: da ich unterdeſſen, der ich ſo vie-
le Urſache habe, ſie die meinige zu nennen, und
ehemals von ihr aller Welt vorgezogen ward, ge-
noͤthigt bin, ferne zu bleiben, und kaum in die
Stadt kommen darf, wo ſie iſt!
Wo etwas in Brands Briefe iſt, das mir die
ſchwermuͤthigen Gedanken vertreiben wird: ſo
uͤberſende mir ihn eiligſt. Allein es wird nun-
mehr nichts mich jemals aufmuntern, nichts mir
jemals Freude oder Vergnuͤgen wieder machen!
Jch kann weder eſſen, trinken, noch ſchlafen. Die
ganze Welt iſt mir zuwider.
Gewiß es wird beſſer ſeyn, wenn alles vor-
bey iſt ‒ ‒ wenn ich das Aergſte weiß, was die
Schickſale wider mich thun koͤnnen. ‒ ‒ Jedoch
wie ſoll ich dieß Aergſte ertragen? ‒ ‒ O Bel-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/394>, abgerufen am 22.11.2024.
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