scheinlich, daß eine so verhaßte Klageule niemals wieder schreyen oder heulen wird: es wäre denn, daß die Bestürzung, welche bey einer so betrübten Gelegenheit, nach aller Wahrscheinlichkeit, mei- nen ganzen Bau erschüttern und zerrütten wird, mich meines Ziels, seines Kopfes, Herzens, oder Eingeweides zu verfehlen nöthigte, indem sie mei- ner Hand ihre Festigkeit benähme; wofern nicht mein eigner Leib mein Ziel würde.
Aber, gewiß, sie wird nicht, sie kann noch nicht sterben! Ein so unvergleichlicher Ausbund aller Vollkommenheiten,
Sie, deren Geist in sich ein Weltenheer vereint, Und recht für alles gut und eingerichtet scheint,
könnte unmöglich dazu geliehen seyn, daß sie so bald wieder zurückgefordert würde.
Allein, kann es nicht seyn, daß du, Belford, mit der liebsten Fräulein, die mich nicht vor sich lassen will, mich selbst zu überzeugen, in einem ge- heimen Verständnisse wider mich stehest, um die empfindlichste Gewissensangst und Reue in mei- ner Seele zu wirken; und daß sie hernach, wenn sie von beyder Aufrichtigkeit überzeuget, und mein Gemüth zu einem solchen Wachse gemacht worden, das bequem ist, einen jeden Eindruck, den sie ihm mitzutheilen Belieben findet, anzunehmen, mich mit der frohen Zeitung aufrichten will, daß es sich mit ihrer Gesundheit bessert, und sie meine Hand an- nimmt?
Was
ſcheinlich, daß eine ſo verhaßte Klageule niemals wieder ſchreyen oder heulen wird: es waͤre denn, daß die Beſtuͤrzung, welche bey einer ſo betruͤbten Gelegenheit, nach aller Wahrſcheinlichkeit, mei- nen ganzen Bau erſchuͤttern und zerruͤtten wird, mich meines Ziels, ſeines Kopfes, Herzens, oder Eingeweides zu verfehlen noͤthigte, indem ſie mei- ner Hand ihre Feſtigkeit benaͤhme; wofern nicht mein eigner Leib mein Ziel wuͤrde.
Aber, gewiß, ſie wird nicht, ſie kann noch nicht ſterben! Ein ſo unvergleichlicher Ausbund aller Vollkommenheiten,
Sie, deren Geiſt in ſich ein Weltenheer vereint, Und recht fuͤr alles gut und eingerichtet ſcheint,
koͤnnte unmoͤglich dazu geliehen ſeyn, daß ſie ſo bald wieder zuruͤckgefordert wuͤrde.
Allein, kann es nicht ſeyn, daß du, Belford, mit der liebſten Fraͤulein, die mich nicht vor ſich laſſen will, mich ſelbſt zu uͤberzeugen, in einem ge- heimen Verſtaͤndniſſe wider mich ſteheſt, um die empfindlichſte Gewiſſensangſt und Reue in mei- ner Seele zu wirken; und daß ſie hernach, wenn ſie von beyder Aufrichtigkeit uͤberzeuget, und mein Gemuͤth zu einem ſolchen Wachſe gemacht worden, das bequem iſt, einen jeden Eindruck, den ſie ihm mitzutheilen Belieben findet, anzunehmen, mich mit der frohen Zeitung aufrichten will, daß es ſich mit ihrer Geſundheit beſſert, und ſie meine Hand an- nimmt?
Was
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0378"n="372"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>ſcheinlich, daß eine ſo verhaßte Klageule niemals<lb/>
wieder ſchreyen oder heulen wird: es waͤre denn,<lb/>
daß die Beſtuͤrzung, welche bey einer ſo betruͤbten<lb/>
Gelegenheit, nach aller Wahrſcheinlichkeit, mei-<lb/>
nen ganzen Bau erſchuͤttern und zerruͤtten wird,<lb/>
mich meines Ziels, ſeines Kopfes, Herzens, oder<lb/>
Eingeweides zu verfehlen noͤthigte, indem ſie mei-<lb/>
ner Hand <hirendition="#fr">ihre Feſtigkeit benaͤhme;</hi> wofern<lb/>
nicht mein eigner Leib mein Ziel wuͤrde.</p><lb/><p>Aber, gewiß, ſie wird nicht, ſie kann noch nicht<lb/>ſterben! Ein ſo unvergleichlicher Ausbund aller<lb/>
Vollkommenheiten,</p><lb/><lgtype="poem"><l>Sie, deren Geiſt in ſich ein Weltenheer vereint,</l><lb/><l>Und recht fuͤr alles gut und eingerichtet ſcheint,</l></lg><lb/><p>koͤnnte unmoͤglich dazu geliehen ſeyn, daß ſie ſo<lb/>
bald wieder zuruͤckgefordert wuͤrde.</p><lb/><p>Allein, kann es nicht ſeyn, daß du, Belford,<lb/>
mit der liebſten Fraͤulein, die mich nicht vor ſich<lb/>
laſſen will, mich ſelbſt zu uͤberzeugen, in einem ge-<lb/>
heimen Verſtaͤndniſſe wider mich ſteheſt, um die<lb/>
empfindlichſte Gewiſſensangſt und Reue in mei-<lb/>
ner Seele zu wirken; und daß ſie hernach, wenn<lb/>ſie von beyder Aufrichtigkeit uͤberzeuget, und mein<lb/>
Gemuͤth zu einem ſolchen Wachſe gemacht worden,<lb/>
das bequem iſt, einen jeden Eindruck, den ſie ihm<lb/>
mitzutheilen Belieben findet, anzunehmen, mich mit<lb/>
der frohen Zeitung aufrichten will, daß es ſich mit<lb/>
ihrer Geſundheit beſſert, und ſie meine Hand an-<lb/>
nimmt?</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Was</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[372/0378]
ſcheinlich, daß eine ſo verhaßte Klageule niemals
wieder ſchreyen oder heulen wird: es waͤre denn,
daß die Beſtuͤrzung, welche bey einer ſo betruͤbten
Gelegenheit, nach aller Wahrſcheinlichkeit, mei-
nen ganzen Bau erſchuͤttern und zerruͤtten wird,
mich meines Ziels, ſeines Kopfes, Herzens, oder
Eingeweides zu verfehlen noͤthigte, indem ſie mei-
ner Hand ihre Feſtigkeit benaͤhme; wofern
nicht mein eigner Leib mein Ziel wuͤrde.
Aber, gewiß, ſie wird nicht, ſie kann noch nicht
ſterben! Ein ſo unvergleichlicher Ausbund aller
Vollkommenheiten,
Sie, deren Geiſt in ſich ein Weltenheer vereint,
Und recht fuͤr alles gut und eingerichtet ſcheint,
koͤnnte unmoͤglich dazu geliehen ſeyn, daß ſie ſo
bald wieder zuruͤckgefordert wuͤrde.
Allein, kann es nicht ſeyn, daß du, Belford,
mit der liebſten Fraͤulein, die mich nicht vor ſich
laſſen will, mich ſelbſt zu uͤberzeugen, in einem ge-
heimen Verſtaͤndniſſe wider mich ſteheſt, um die
empfindlichſte Gewiſſensangſt und Reue in mei-
ner Seele zu wirken; und daß ſie hernach, wenn
ſie von beyder Aufrichtigkeit uͤberzeuget, und mein
Gemuͤth zu einem ſolchen Wachſe gemacht worden,
das bequem iſt, einen jeden Eindruck, den ſie ihm
mitzutheilen Belieben findet, anzunehmen, mich mit
der frohen Zeitung aufrichten will, daß es ſich mit
ihrer Geſundheit beſſert, und ſie meine Hand an-
nimmt?
Was
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/378>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.