er wünschen, daß ich mir den Kopf nicht über ihre Familiensachen zerbräche, bis ich darum ge- beten wäre.
Allein wißt ihr nicht, Bruder, sprach die Fräulein Harlowe, daß der Fehltritt irgend einer Person, die zu einer Familie gehöret, die ganze Familie trenne, und nicht allein einen jeden gemein- schaftlichen Freund und Bekannten, sondern auch so gar Bediente, zu Richtern über beyde mache? - - Dieß ist eine von den gesegneten Folgen des Versehens meiner Schwester!
Es wäre niemals eine so strafwürdige Creatur gewesen, sagte Jhr Herr Vater, und sahe mich mit Misfallen an, die nicht einige Schwache gefunden hätte, welche sie beklaget und es mit ihr gehalten.
Jch weinte. Jhre Fr. Mutter war so gut und nahm mich bey der Hand. Kommen sie, meine gute Frau, waren ihre Worte, kommen sie mit mir weg. Sie haben zu viele Ursache, über das, was uns betrübet, betrübt zu seyn, daß sie noch Vergrößerungen ihres Kummers brauchen sollten.
Aber, meine liebste Fräulein, ich war mehr um Jhretwillen, als meinetwegen, bekümmert. Denn ich bin sehr viele Jahre in niedrigen Um- ständen in der Welt gewesen und muß folglich des Anfahrens und Zurückweisens von den Rei- chen gewohnt gewesen seyn. Jch hoffe aber, daß mir die Gedult eben so leserlich an dem Kopfe ge- schrieben stehet, als irgend einem meiner Wohl- thäter der Stolz und Uebermuth.
Jhre
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er wuͤnſchen, daß ich mir den Kopf nicht uͤber ihre Familienſachen zerbraͤche, bis ich darum ge- beten waͤre.
Allein wißt ihr nicht, Bruder, ſprach die Fraͤulein Harlowe, daß der Fehltritt irgend einer Perſon, die zu einer Familie gehoͤret, die ganze Familie trenne, und nicht allein einen jeden gemein- ſchaftlichen Freund und Bekannten, ſondern auch ſo gar Bediente, zu Richtern uͤber beyde mache? ‒ ‒ Dieß iſt eine von den geſegneten Folgen des Verſehens meiner Schweſter!
Es waͤre niemals eine ſo ſtrafwuͤrdige Creatur geweſen, ſagte Jhr Herr Vater, und ſahe mich mit Misfallen an, die nicht einige Schwache gefunden haͤtte, welche ſie beklaget und es mit ihr gehalten.
Jch weinte. Jhre Fr. Mutter war ſo gut und nahm mich bey der Hand. Kommen ſie, meine gute Frau, waren ihre Worte, kommen ſie mit mir weg. Sie haben zu viele Urſache, uͤber das, was uns betruͤbet, betruͤbt zu ſeyn, daß ſie noch Vergroͤßerungen ihres Kummers brauchen ſollten.
Aber, meine liebſte Fraͤulein, ich war mehr um Jhretwillen, als meinetwegen, bekuͤmmert. Denn ich bin ſehr viele Jahre in niedrigen Um- ſtaͤnden in der Welt geweſen und muß folglich des Anfahrens und Zuruͤckweiſens von den Rei- chen gewohnt geweſen ſeyn. Jch hoffe aber, daß mir die Gedult eben ſo leſerlich an dem Kopfe ge- ſchrieben ſtehet, als irgend einem meiner Wohl- thaͤter der Stolz und Uebermuth.
Jhre
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er wuͤnſchen, daß ich mir den Kopf nicht uͤber
ihre Familienſachen zerbraͤche, bis ich darum ge-
beten waͤre.
Allein wißt ihr nicht, Bruder, ſprach die
Fraͤulein Harlowe, daß der Fehltritt irgend einer
Perſon, die zu einer Familie gehoͤret, die ganze
Familie trenne, und nicht allein einen jeden gemein-
ſchaftlichen Freund und Bekannten, ſondern auch
ſo gar Bediente, zu Richtern uͤber beyde mache?
‒ ‒ Dieß iſt eine von den geſegneten Folgen des
Verſehens meiner Schweſter!
Es waͤre niemals eine ſo ſtrafwuͤrdige Creatur
geweſen, ſagte Jhr Herr Vater, und ſahe mich mit
Misfallen an, die nicht einige Schwache gefunden
haͤtte, welche ſie beklaget und es mit ihr gehalten.
Jch weinte. Jhre Fr. Mutter war ſo gut
und nahm mich bey der Hand. Kommen ſie,
meine gute Frau, waren ihre Worte, kommen ſie
mit mir weg. Sie haben zu viele Urſache, uͤber
das, was uns betruͤbet, betruͤbt zu ſeyn, daß ſie
noch Vergroͤßerungen ihres Kummers brauchen
ſollten.
Aber, meine liebſte Fraͤulein, ich war mehr
um Jhretwillen, als meinetwegen, bekuͤmmert.
Denn ich bin ſehr viele Jahre in niedrigen Um-
ſtaͤnden in der Welt geweſen und muß folglich
des Anfahrens und Zuruͤckweiſens von den Rei-
chen gewohnt geweſen ſeyn. Jch hoffe aber, daß
mir die Gedult eben ſo leſerlich an dem Kopfe ge-
ſchrieben ſtehet, als irgend einem meiner Wohl-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/345>, abgerufen am 22.11.2024.
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