Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite



Diese sind schon allein genug, uns das Leben, wel-
ches wir wünschten, zu der größten Last unter al-
len zu machen. Besinnen Sie sich nicht auf die
Zeilen von Howard, die Sie mir einmal in meiner
Sommerlaube vorlasen (*)?

Bey
(*) Die Zeilen, worauf sich die Fräulein beruft, sind
folgende:
Vom Tode sind wir erst zum Leben eingegangen:
Durch dieses wiederum dahin zurückgelangen,
Jst nichts, als eben das. Wir müssen schaam-
roth stehn,
Wenn wir da die Gewalt der Leidenschaften sehn,
Wo uns Gewißheit nicht, wo uns Vernunft nicht
ziehet,
Ja wo die Tugend selbst vergebens sich bemühet.
Die Ehre, leeres Wort! hat es so weit gebracht,
Daß sie die Todesfurcht bey uns geringe macht.
Die Liebe lässet sich nie durch Verachtung
quälen:
Sie suchet bald den Tod zur Zuflucht zu erwählen.
Und ein geschärfter Schmerz bey Noth und
Ungemach,
Sieht sehnsuchtsvoll herum und jagt dem Tode
nach.
Die Hoffnung aber siegt und kann uns siegreich
lenken,
An Tod, an Nacht und Grab nicht weiter zu
gedenken:
Und das Verhängniß ist dem Thoren zum
Betrug,

Dem



Dieſe ſind ſchon allein genug, uns das Leben, wel-
ches wir wuͤnſchten, zu der groͤßten Laſt unter al-
len zu machen. Beſinnen Sie ſich nicht auf die
Zeilen von Howard, die Sie mir einmal in meiner
Sommerlaube vorlaſen (*)?

Bey
(*) Die Zeilen, worauf ſich die Fraͤulein beruft, ſind
folgende:
Vom Tode ſind wir erſt zum Leben eingegangen:
Durch dieſes wiederum dahin zuruͤckgelangen,
Jſt nichts, als eben das. Wir muͤſſen ſchaam-
roth ſtehn,
Wenn wir da die Gewalt der Leidenſchaften ſehn,
Wo uns Gewißheit nicht, wo uns Vernunft nicht
ziehet,
Ja wo die Tugend ſelbſt vergebens ſich bemuͤhet.
Die Ehre, leeres Wort! hat es ſo weit gebracht,
Daß ſie die Todesfurcht bey uns geringe macht.
Die Liebe laͤſſet ſich nie durch Verachtung
quaͤlen:
Sie ſuchet bald den Tod zur Zuflucht zu erwaͤhlen.
Und ein geſchaͤrfter Schmerz bey Noth und
Ungemach,
Sieht ſehnſuchtsvoll herum und jagt dem Tode
nach.
Die Hoffnung aber ſiegt und kann uns ſiegreich
lenken,
An Tod, an Nacht und Grab nicht weiter zu
gedenken:
Und das Verhaͤngniß iſt dem Thoren zum
Betrug,

Dem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0321" n="315"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Die&#x017F;e &#x017F;ind &#x017F;chon allein genug, uns das Leben, wel-<lb/>
ches wir wu&#x0364;n&#x017F;chten, zu der gro&#x0364;ßten La&#x017F;t unter al-<lb/>
len zu machen. Be&#x017F;innen Sie &#x017F;ich nicht auf die<lb/>
Zeilen von Howard, die Sie mir einmal in meiner<lb/>
Sommerlaube vorla&#x017F;en <note xml:id="a01" next="#a02" place="foot" n="(*)">Die Zeilen, worauf &#x017F;ich die Fra&#x0364;ulein beruft, &#x017F;ind<lb/>
folgende:<lb/><cit><quote><lg type="poem"><l>Vom Tode &#x017F;ind wir er&#x017F;t zum Leben eingegangen:</l><lb/><l>Durch die&#x017F;es wiederum dahin zuru&#x0364;ckgelangen,</l><lb/><l>J&#x017F;t nichts, als eben das. Wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chaam-</l><lb/><l><hi rendition="#et">roth &#x017F;tehn,</hi></l><lb/><l>Wenn wir da die Gewalt der Leiden&#x017F;chaften &#x017F;ehn,</l><lb/><l>Wo uns Gewißheit nicht, wo uns Vernunft nicht</l><lb/><l><hi rendition="#et">ziehet,</hi></l><lb/><l>Ja wo die Tugend &#x017F;elb&#x017F;t vergebens &#x017F;ich bemu&#x0364;het.</l><lb/><l>Die <hi rendition="#fr">Ehre</hi>, leeres Wort! hat es &#x017F;o weit gebracht,</l><lb/><l>Daß &#x017F;ie die Todesfurcht bey uns geringe macht.</l><lb/><l>Die <hi rendition="#fr">Liebe</hi> la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ich nie durch <hi rendition="#fr">Verachtung</hi></l><lb/><l><hi rendition="#et">qua&#x0364;len:</hi></l><lb/><l>Sie &#x017F;uchet bald den Tod zur Zuflucht zu erwa&#x0364;hlen.</l><lb/><l>Und ein <hi rendition="#fr">ge&#x017F;cha&#x0364;rfter Schmerz</hi> bey Noth und</l><lb/><l><hi rendition="#et">Ungemach,</hi></l><lb/><l>Sieht &#x017F;ehn&#x017F;uchtsvoll herum und jagt dem Tode</l><lb/><l><hi rendition="#et">nach.</hi></l><lb/><l>Die <hi rendition="#fr">Hoffnung</hi> aber &#x017F;iegt und kann uns &#x017F;iegreich</l><lb/><l><hi rendition="#et">lenken,</hi></l><lb/><l>An Tod, an Nacht und Grab nicht weiter zu</l><lb/><l><hi rendition="#et">gedenken:</hi></l><lb/><l>Und das <hi rendition="#fr">Verha&#x0364;ngniß</hi> i&#x017F;t dem Thoren zum</l><lb/><l><hi rendition="#et">Betrug,</hi></l></lg></quote></cit><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Dem</fw></note>?</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Bey</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[315/0321] Dieſe ſind ſchon allein genug, uns das Leben, wel- ches wir wuͤnſchten, zu der groͤßten Laſt unter al- len zu machen. Beſinnen Sie ſich nicht auf die Zeilen von Howard, die Sie mir einmal in meiner Sommerlaube vorlaſen (*)? Bey (*) Die Zeilen, worauf ſich die Fraͤulein beruft, ſind folgende: Vom Tode ſind wir erſt zum Leben eingegangen: Durch dieſes wiederum dahin zuruͤckgelangen, Jſt nichts, als eben das. Wir muͤſſen ſchaam- roth ſtehn, Wenn wir da die Gewalt der Leidenſchaften ſehn, Wo uns Gewißheit nicht, wo uns Vernunft nicht ziehet, Ja wo die Tugend ſelbſt vergebens ſich bemuͤhet. Die Ehre, leeres Wort! hat es ſo weit gebracht, Daß ſie die Todesfurcht bey uns geringe macht. Die Liebe laͤſſet ſich nie durch Verachtung quaͤlen: Sie ſuchet bald den Tod zur Zuflucht zu erwaͤhlen. Und ein geſchaͤrfter Schmerz bey Noth und Ungemach, Sieht ſehnſuchtsvoll herum und jagt dem Tode nach. Die Hoffnung aber ſiegt und kann uns ſiegreich lenken, An Tod, an Nacht und Grab nicht weiter zu gedenken: Und das Verhaͤngniß iſt dem Thoren zum Betrug, Dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/321
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/321>, abgerufen am 25.11.2024.