nes Großvaters von der Zeit an, da es in ihren Händen gewesen ist, hergeben wollen. Denn weil ich wußte, daß sie mir von Rechtswegen zu- gehörten, und daß sie dieselben nicht nöthig haben könnten: so hatte ich schon wegen eines guten Theils davon meine Verordnung gemacht, und konnte nur hoffen, daß sie geneigt seyn würden, auf mei- ne letzte Bitte sie fahren zu lassen. Wie reich wer- de ich mich nun in dieser meiner letzten Station achten! - - Jedoch habe ich auch vorher keinen Mangel gehabt - - Nein in der That nicht - - Denn wie kann man sagen, daß jemand einen Mangel leidet, der viel Ueberflüßiges hat?
Betrüben Sie sich nicht, meine wertheste Freundinn, daß ich es meine letzte Station nen- ne. Denn was heißt selbst das lange Leben, wor- auf bey guter Gesundheit unsere Wünsche gehen? Was anders, als in dem ganzen Verlauf ein Le- ben voller Furcht, bisweilen für unsere Freunde, noch öfterer für uns selbst? Zuletzt aber, wenn wir zu dem hohen Alter, das wir begierig wünschen, ge- kommen sind; nachdem ein schwerer Verlust dem andern, eine schmerzliche Beraubung der andern gefolget ist: sehen wir uns von allen und jeden, die wir liebten, so zu sagen entblößet, und finden uns, als ungesellige elende Geschöpfe, der Gering- schätzung, der Verachtung übermüthig spielender Jugend ausgesetzet, die uns gern von dem Posten stoßen möchte, in Hoffnung das, was wir haben, zu besitzen - - Und zu dem allen kommen noch unsere eigne Schwachheiten, die täglich zunehmen.
Diese
nes Großvaters von der Zeit an, da es in ihren Haͤnden geweſen iſt, hergeben wollen. Denn weil ich wußte, daß ſie mir von Rechtswegen zu- gehoͤrten, und daß ſie dieſelben nicht noͤthig haben koͤnnten: ſo hatte ich ſchon wegen eines guten Theils davon meine Verordnung gemacht, und konnte nur hoffen, daß ſie geneigt ſeyn wuͤrden, auf mei- ne letzte Bitte ſie fahren zu laſſen. Wie reich wer- de ich mich nun in dieſer meiner letzten Station achten! ‒ ‒ Jedoch habe ich auch vorher keinen Mangel gehabt ‒ ‒ Nein in der That nicht ‒ ‒ Denn wie kann man ſagen, daß jemand einen Mangel leidet, der viel Ueberfluͤßiges hat?
Betruͤben Sie ſich nicht, meine wertheſte Freundinn, daß ich es meine letzte Station nen- ne. Denn was heißt ſelbſt das lange Leben, wor- auf bey guter Geſundheit unſere Wuͤnſche gehen? Was anders, als in dem ganzen Verlauf ein Le- ben voller Furcht, bisweilen fuͤr unſere Freunde, noch oͤfterer fuͤr uns ſelbſt? Zuletzt aber, wenn wir zu dem hohen Alter, das wir begierig wuͤnſchen, ge- kommen ſind; nachdem ein ſchwerer Verluſt dem andern, eine ſchmerzliche Beraubung der andern gefolget iſt: ſehen wir uns von allen und jeden, die wir liebten, ſo zu ſagen entbloͤßet, und finden uns, als ungeſellige elende Geſchoͤpfe, der Gering- ſchaͤtzung, der Verachtung uͤbermuͤthig ſpielender Jugend ausgeſetzet, die uns gern von dem Poſten ſtoßen moͤchte, in Hoffnung das, was wir haben, zu beſitzen ‒ ‒ Und zu dem allen kommen noch unſere eigne Schwachheiten, die taͤglich zunehmen.
Dieſe
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nes Großvaters von der Zeit an, da es in ihren
Haͤnden geweſen iſt, hergeben wollen. Denn
weil ich wußte, daß ſie mir von Rechtswegen zu-
gehoͤrten, und daß ſie dieſelben nicht noͤthig haben
koͤnnten: ſo hatte ich ſchon wegen eines guten Theils
davon meine Verordnung gemacht, und konnte
nur hoffen, daß ſie geneigt ſeyn wuͤrden, auf mei-
ne letzte Bitte ſie fahren zu laſſen. Wie reich wer-
de ich mich nun in dieſer meiner letzten Station
achten! ‒ ‒ Jedoch habe ich auch vorher keinen
Mangel gehabt ‒ ‒ Nein in der That nicht ‒ ‒
Denn wie kann man ſagen, daß jemand einen
Mangel leidet, der viel Ueberfluͤßiges hat?
Betruͤben Sie ſich nicht, meine wertheſte
Freundinn, daß ich es meine letzte Station nen-
ne. Denn was heißt ſelbſt das lange Leben, wor-
auf bey guter Geſundheit unſere Wuͤnſche gehen?
Was anders, als in dem ganzen Verlauf ein Le-
ben voller Furcht, bisweilen fuͤr unſere Freunde,
noch oͤfterer fuͤr uns ſelbſt? Zuletzt aber, wenn wir
zu dem hohen Alter, das wir begierig wuͤnſchen, ge-
kommen ſind; nachdem ein ſchwerer Verluſt dem
andern, eine ſchmerzliche Beraubung der andern
gefolget iſt: ſehen wir uns von allen und jeden,
die wir liebten, ſo zu ſagen entbloͤßet, und finden
uns, als ungeſellige elende Geſchoͤpfe, der Gering-
ſchaͤtzung, der Verachtung uͤbermuͤthig ſpielender
Jugend ausgeſetzet, die uns gern von dem Poſten
ſtoßen moͤchte, in Hoffnung das, was wir haben,
zu beſitzen ‒ ‒ Und zu dem allen kommen noch
unſere eigne Schwachheiten, die taͤglich zunehmen.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/320>, abgerufen am 22.11.2024.
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