Meine lieben Freunde wissen nicht, daß ich wirklich so lange gelitten habe, bis weniger, als ein Daumenbreit von meinem Leben übrig gewesen ist.
Der arme Herr Brand! Er hat es gut ge- meynet, glaube ich - - Mir ist bange, daß alles schwer auf ihn zurückfallen werde, da er vermuth- lich gedacht hat, daß er die beste Art wählte, ge- fällig zu werden. Allein wäre er auch nicht so leicht- gläubig, und auf eine so strafbare Art dienstfertig gewesen; sondern hätte einen vortheilhaftern, und, es würde etwas seltsames seyn, wenn ich nicht sa- gen könnte, einen gerechtern Bericht abgestatet: so würden die Sachen doch, nichts desto weniger, vollkommen eben so gewesen seyn, als sie sind.
Jch muß meine Feder niederlegen. Jch be- finde mich sehr übel. Jch hoffe, mir wird bald besser seyn. Die schlecht geschriebenen Zeilen würden mich verrathen: wenn ich gleich willens wäre, Jhnen zu verbergen, was der Erfolg noth- wendig bald - -
Nun nehme ich meine bebende Feder wieder. Halten Sie mir meine wankelhafte Schreibart zu gute. Es will nicht anders seyn - -
Mir hat es nicht an Gelde gefehlet: daher zürnen Sie um eine solche Kleinigkeit, als das Geld ist, nicht mit mir. Jnzwischen ist mir das doch lieb, wozu Sie mir Hoffnung machen, daß meine Freunde die Einkünfte aus dem Gut mei-
nes
U 5
Meine lieben Freunde wiſſen nicht, daß ich wirklich ſo lange gelitten habe, bis weniger, als ein Daumenbreit von meinem Leben uͤbrig geweſen iſt.
Der arme Herr Brand! Er hat es gut ge- meynet, glaube ich ‒ ‒ Mir iſt bange, daß alles ſchwer auf ihn zuruͤckfallen werde, da er vermuth- lich gedacht hat, daß er die beſte Art waͤhlte, ge- faͤllig zu werden. Allein waͤre er auch nicht ſo leicht- glaͤubig, und auf eine ſo ſtrafbare Art dienſtfertig geweſen; ſondern haͤtte einen vortheilhaftern, und, es wuͤrde etwas ſeltſames ſeyn, wenn ich nicht ſa- gen koͤnnte, einen gerechtern Bericht abgeſtatet: ſo wuͤrden die Sachen doch, nichts deſto weniger, vollkommen eben ſo geweſen ſeyn, als ſie ſind.
Jch muß meine Feder niederlegen. Jch be- finde mich ſehr uͤbel. Jch hoffe, mir wird bald beſſer ſeyn. Die ſchlecht geſchriebenen Zeilen wuͤrden mich verrathen: wenn ich gleich willens waͤre, Jhnen zu verbergen, was der Erfolg noth- wendig bald ‒ ‒
Nun nehme ich meine bebende Feder wieder. Halten Sie mir meine wankelhafte Schreibart zu gute. Es will nicht anders ſeyn ‒ ‒
Mir hat es nicht an Gelde gefehlet: daher zuͤrnen Sie um eine ſolche Kleinigkeit, als das Geld iſt, nicht mit mir. Jnzwiſchen iſt mir das doch lieb, wozu Sie mir Hoffnung machen, daß meine Freunde die Einkuͤnfte aus dem Gut mei-
nes
U 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0319"n="313"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Meine lieben Freunde wiſſen nicht, daß ich<lb/>
wirklich ſo lange gelitten <hirendition="#fr">habe, bis weniger, als<lb/>
ein Daumenbreit von meinem Leben uͤbrig</hi><lb/>
geweſen iſt.</p><lb/><p>Der arme Herr Brand! Er hat es gut ge-<lb/>
meynet, glaube ich ‒‒ Mir iſt bange, daß alles<lb/>ſchwer auf ihn zuruͤckfallen werde, da er vermuth-<lb/>
lich gedacht hat, daß er die beſte Art waͤhlte, ge-<lb/>
faͤllig zu werden. Allein waͤre er auch nicht ſo leicht-<lb/>
glaͤubig, und auf eine ſo ſtrafbare Art dienſtfertig<lb/>
geweſen; ſondern haͤtte einen vortheilhaftern, und,<lb/>
es wuͤrde etwas ſeltſames ſeyn, wenn ich nicht ſa-<lb/>
gen koͤnnte, einen <hirendition="#fr">gerechtern</hi> Bericht abgeſtatet:<lb/>ſo wuͤrden die Sachen doch, nichts deſto weniger,<lb/>
vollkommen eben ſo geweſen ſeyn, als ſie ſind.</p><lb/><p>Jch muß meine Feder niederlegen. Jch be-<lb/>
finde mich ſehr uͤbel. Jch hoffe, mir wird bald<lb/>
beſſer ſeyn. Die ſchlecht geſchriebenen Zeilen<lb/>
wuͤrden mich verrathen: wenn ich gleich willens<lb/>
waͤre, Jhnen zu verbergen, was der Erfolg noth-<lb/>
wendig bald ‒‒</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Nun nehme ich meine bebende Feder wieder.<lb/>
Halten Sie mir meine wankelhafte Schreibart<lb/>
zu gute. Es <hirendition="#fr">will</hi> nicht anders ſeyn ‒‒</p><lb/><p>Mir hat es nicht an Gelde gefehlet: daher<lb/>
zuͤrnen Sie um eine ſolche Kleinigkeit, als das<lb/>
Geld iſt, nicht mit mir. Jnzwiſchen iſt mir das<lb/>
doch lieb, wozu Sie mir Hoffnung machen, daß<lb/>
meine Freunde die Einkuͤnfte aus dem Gut mei-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">U 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">nes</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[313/0319]
Meine lieben Freunde wiſſen nicht, daß ich
wirklich ſo lange gelitten habe, bis weniger, als
ein Daumenbreit von meinem Leben uͤbrig
geweſen iſt.
Der arme Herr Brand! Er hat es gut ge-
meynet, glaube ich ‒ ‒ Mir iſt bange, daß alles
ſchwer auf ihn zuruͤckfallen werde, da er vermuth-
lich gedacht hat, daß er die beſte Art waͤhlte, ge-
faͤllig zu werden. Allein waͤre er auch nicht ſo leicht-
glaͤubig, und auf eine ſo ſtrafbare Art dienſtfertig
geweſen; ſondern haͤtte einen vortheilhaftern, und,
es wuͤrde etwas ſeltſames ſeyn, wenn ich nicht ſa-
gen koͤnnte, einen gerechtern Bericht abgeſtatet:
ſo wuͤrden die Sachen doch, nichts deſto weniger,
vollkommen eben ſo geweſen ſeyn, als ſie ſind.
Jch muß meine Feder niederlegen. Jch be-
finde mich ſehr uͤbel. Jch hoffe, mir wird bald
beſſer ſeyn. Die ſchlecht geſchriebenen Zeilen
wuͤrden mich verrathen: wenn ich gleich willens
waͤre, Jhnen zu verbergen, was der Erfolg noth-
wendig bald ‒ ‒
Nun nehme ich meine bebende Feder wieder.
Halten Sie mir meine wankelhafte Schreibart
zu gute. Es will nicht anders ſeyn ‒ ‒
Mir hat es nicht an Gelde gefehlet: daher
zuͤrnen Sie um eine ſolche Kleinigkeit, als das
Geld iſt, nicht mit mir. Jnzwiſchen iſt mir das
doch lieb, wozu Sie mir Hoffnung machen, daß
meine Freunde die Einkuͤnfte aus dem Gut mei-
nes
U 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/319>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.