Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite



Theil der Nacht, in meiner Gesellschaft achtete.
Ein Mensch, der eben ersaufen will, wird
auch nach einem Strohhalm greifen,
sagt
man gar wohl im Sprichwort: und ein bloßer
Strohhalm war ich, in so weit es auf einige wirk-
liche Hülfe ankam, die ich ihm leisten konnte. Er
wachte oft mit Schrecken auf. Einmal rief er
laut nach mir. Lieber Belford, sagte er, wo seyd
ihr! - - O! da seyd ihr ja! - - Gebt mir
eure freundschaftliche Hand! - - Darauf ergriff
er sie und drückte sie an seine klebrichte und halb
kalte Lippen - - Wie gütig! Jch fürchte alles,
wenn ihr abwesend seyd! Aber o! wie trostreich
ist die Gegenwart eines Freundes, eines gleichge-
sinnten Freundes! - -

Allein um vier Uhr des Morgens erschreckte
er mich sehr. Er wachte mit dreyen schrecklichen
Seufzern auf, und bestrebte sich zu sprechen,
konnte aber nicht alsobald - - und da er endlich
sprechen konnte, rief er - - Bruder, Bruder,
Bruder, fünf oder sechs male nach einander, so
geschwinde, als die Gedanken gehen, nun, nun,
nun, rette mich, rette mich, rette mich - - Jch
bin des Todes - - des Todes in der That.

Jch schlug meine Arme um ihn und hub ihn
auf sein Hauptküssen: weil er in die Betttücher
sank, als wenn er sich verbergen wollte - - Er
sahe starr und verwildert. Wo bin ich? sprach
er, nachdem er ein wenig wieder zu sich selbst ge-
kommen war. Habt ihr ihn nicht gesehen. - -
Er wandte dabey den Kopf bald auf diese, bald

auf
B 5



Theil der Nacht, in meiner Geſellſchaft achtete.
Ein Menſch, der eben erſaufen will, wird
auch nach einem Strohhalm greifen,
ſagt
man gar wohl im Sprichwort: und ein bloßer
Strohhalm war ich, in ſo weit es auf einige wirk-
liche Huͤlfe ankam, die ich ihm leiſten konnte. Er
wachte oft mit Schrecken auf. Einmal rief er
laut nach mir. Lieber Belford, ſagte er, wo ſeyd
ihr! ‒ ‒ O! da ſeyd ihr ja! ‒ ‒ Gebt mir
eure freundſchaftliche Hand! ‒ ‒ Darauf ergriff
er ſie und druͤckte ſie an ſeine klebrichte und halb
kalte Lippen ‒ ‒ Wie guͤtig! Jch fuͤrchte alles,
wenn ihr abweſend ſeyd! Aber o! wie troſtreich
iſt die Gegenwart eines Freundes, eines gleichge-
ſinnten Freundes! ‒ ‒

Allein um vier Uhr des Morgens erſchreckte
er mich ſehr. Er wachte mit dreyen ſchrecklichen
Seufzern auf, und beſtrebte ſich zu ſprechen,
konnte aber nicht alſobald ‒ ‒ und da er endlich
ſprechen konnte, rief er ‒ ‒ Bruder, Bruder,
Bruder, fuͤnf oder ſechs male nach einander, ſo
geſchwinde, als die Gedanken gehen, nun, nun,
nun, rette mich, rette mich, rette mich ‒ ‒ Jch
bin des Todes ‒ ‒ des Todes in der That.

Jch ſchlug meine Arme um ihn und hub ihn
auf ſein Hauptkuͤſſen: weil er in die Betttuͤcher
ſank, als wenn er ſich verbergen wollte ‒ ‒ Er
ſahe ſtarr und verwildert. Wo bin ich? ſprach
er, nachdem er ein wenig wieder zu ſich ſelbſt ge-
kommen war. Habt ihr ihn nicht geſehen. ‒ ‒
Er wandte dabey den Kopf bald auf dieſe, bald

auf
B 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0031" n="25"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Theil der Nacht, in meiner Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft achtete.<lb/><hi rendition="#fr">Ein Men&#x017F;ch, der eben er&#x017F;aufen will, wird<lb/>
auch nach einem Strohhalm greifen,</hi> &#x017F;agt<lb/>
man gar wohl im Sprichwort: und ein bloßer<lb/>
Strohhalm war ich, in &#x017F;o weit es auf einige wirk-<lb/>
liche Hu&#x0364;lfe ankam, die ich ihm lei&#x017F;ten konnte. Er<lb/>
wachte oft mit Schrecken auf. Einmal rief er<lb/>
laut nach mir. Lieber Belford, &#x017F;agte er, wo &#x017F;eyd<lb/>
ihr! &#x2012; &#x2012; O! da &#x017F;eyd ihr ja! &#x2012; &#x2012; Gebt mir<lb/>
eure freund&#x017F;chaftliche Hand! &#x2012; &#x2012; Darauf ergriff<lb/>
er &#x017F;ie und dru&#x0364;ckte &#x017F;ie an &#x017F;eine klebrichte und halb<lb/>
kalte Lippen &#x2012; &#x2012; Wie gu&#x0364;tig! Jch fu&#x0364;rchte alles,<lb/>
wenn ihr abwe&#x017F;end &#x017F;eyd! Aber o! wie tro&#x017F;treich<lb/>
i&#x017F;t die Gegenwart eines Freundes, eines gleichge-<lb/>
&#x017F;innten Freundes! &#x2012; &#x2012;</p><lb/>
          <p>Allein um vier Uhr des Morgens er&#x017F;chreckte<lb/>
er mich &#x017F;ehr. Er wachte mit dreyen &#x017F;chrecklichen<lb/>
Seufzern auf, und be&#x017F;trebte &#x017F;ich zu &#x017F;prechen,<lb/>
konnte aber nicht al&#x017F;obald &#x2012; &#x2012; und da er endlich<lb/>
&#x017F;prechen konnte, rief er &#x2012; &#x2012; Bruder, Bruder,<lb/>
Bruder, fu&#x0364;nf oder &#x017F;echs male nach einander, &#x017F;o<lb/>
ge&#x017F;chwinde, als die Gedanken gehen, nun, nun,<lb/>
nun, rette mich, rette mich, rette mich &#x2012; &#x2012; Jch<lb/>
bin des Todes &#x2012; &#x2012; des Todes in der That.</p><lb/>
          <p>Jch &#x017F;chlug meine Arme um ihn und hub ihn<lb/>
auf &#x017F;ein Hauptku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en: weil er in die Betttu&#x0364;cher<lb/>
&#x017F;ank, als wenn er &#x017F;ich verbergen wollte &#x2012; &#x2012; Er<lb/>
&#x017F;ahe &#x017F;tarr und verwildert. Wo bin ich? &#x017F;prach<lb/>
er, nachdem er ein wenig wieder zu &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ge-<lb/>
kommen war. Habt ihr ihn nicht ge&#x017F;ehen. &#x2012; &#x2012;<lb/>
Er wandte dabey den Kopf bald auf die&#x017F;e, bald<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 5</fw><fw place="bottom" type="catch">auf</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0031] Theil der Nacht, in meiner Geſellſchaft achtete. Ein Menſch, der eben erſaufen will, wird auch nach einem Strohhalm greifen, ſagt man gar wohl im Sprichwort: und ein bloßer Strohhalm war ich, in ſo weit es auf einige wirk- liche Huͤlfe ankam, die ich ihm leiſten konnte. Er wachte oft mit Schrecken auf. Einmal rief er laut nach mir. Lieber Belford, ſagte er, wo ſeyd ihr! ‒ ‒ O! da ſeyd ihr ja! ‒ ‒ Gebt mir eure freundſchaftliche Hand! ‒ ‒ Darauf ergriff er ſie und druͤckte ſie an ſeine klebrichte und halb kalte Lippen ‒ ‒ Wie guͤtig! Jch fuͤrchte alles, wenn ihr abweſend ſeyd! Aber o! wie troſtreich iſt die Gegenwart eines Freundes, eines gleichge- ſinnten Freundes! ‒ ‒ Allein um vier Uhr des Morgens erſchreckte er mich ſehr. Er wachte mit dreyen ſchrecklichen Seufzern auf, und beſtrebte ſich zu ſprechen, konnte aber nicht alſobald ‒ ‒ und da er endlich ſprechen konnte, rief er ‒ ‒ Bruder, Bruder, Bruder, fuͤnf oder ſechs male nach einander, ſo geſchwinde, als die Gedanken gehen, nun, nun, nun, rette mich, rette mich, rette mich ‒ ‒ Jch bin des Todes ‒ ‒ des Todes in der That. Jch ſchlug meine Arme um ihn und hub ihn auf ſein Hauptkuͤſſen: weil er in die Betttuͤcher ſank, als wenn er ſich verbergen wollte ‒ ‒ Er ſahe ſtarr und verwildert. Wo bin ich? ſprach er, nachdem er ein wenig wieder zu ſich ſelbſt ge- kommen war. Habt ihr ihn nicht geſehen. ‒ ‒ Er wandte dabey den Kopf bald auf dieſe, bald auf B 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/31
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/31>, abgerufen am 24.11.2024.