durch meine Seele nicht in Bewegung gebracht werde! - - und daß sie durch einen Besuch all- zu sehr in Unordnung gerathen würde: so wollte ich nicht daran denken. - - Jedoch wie kann ich die Vorstellung, woran ich mich erinnern muß, ertragen, daß sie damals, da sie das letzte mal von mir ging; als ihre Unschuld so siegreich die Oberhand über meine vorsetzliche Schuld be- hielte, daß es genug war, sie dem Leben wieder zur Freundinn zu machen und über alle so edelmü- thig ausgestandene Beleidigungen hinauszusetzen; mit einem unheilbaren Bruch in ihrem Herzen weggegangen, und das das letzte mal gewesen seyn sollte, da ich sie jemals sehen würde! - - Wie, wie kann ich diese Betrachtung ertragen!
O Bruder! wie zerreißt mich mein Gewis- sen, das so gar deinen stumpfen Anmerkungen eine durchschneidende Schärfe giebt! - - Selbst die- sen Augenblick wollte ich die ganze Welt dafür hingeben, daß ich durch eine frohe Veränderung, die darzwischen kommen möchte, diesen grausamen Zuchtmeister mit seinen Vorwürfen von mir trei- ben könnte! - - Verdrießlich über mich selbst! - - Verdrießlich über das Andenken meiner schändlichen Ränke und meiner geringen, mei- ner nur auf einen Augenblick gegenwärtigen Entzückung; O ich schändlicher Dieb und Rau- ber! welche mir eine so dauerhafte und so schwere Gewissensangst über den Hals gebracht hat! Was wollte ich darum geben, daß ich mich nicht einer so grausamen und undankbaren Treu-
losig-
Siebenter Theil. T
durch meine Seele nicht in Bewegung gebracht werde! ‒ ‒ und daß ſie durch einen Beſuch all- zu ſehr in Unordnung gerathen wuͤrde: ſo wollte ich nicht daran denken. ‒ ‒ Jedoch wie kann ich die Vorſtellung, woran ich mich erinnern muß, ertragen, daß ſie damals, da ſie das letzte mal von mir ging; als ihre Unſchuld ſo ſiegreich die Oberhand uͤber meine vorſetzliche Schuld be- hielte, daß es genug war, ſie dem Leben wieder zur Freundinn zu machen und uͤber alle ſo edelmuͤ- thig ausgeſtandene Beleidigungen hinauszuſetzen; mit einem unheilbaren Bruch in ihrem Herzen weggegangen, und das das letzte mal geweſen ſeyn ſollte, da ich ſie jemals ſehen wuͤrde! ‒ ‒ Wie, wie kann ich dieſe Betrachtung ertragen!
O Bruder! wie zerreißt mich mein Gewiſ- ſen, das ſo gar deinen ſtumpfen Anmerkungen eine durchſchneidende Schaͤrfe giebt! ‒ ‒ Selbſt die- ſen Augenblick wollte ich die ganze Welt dafuͤr hingeben, daß ich durch eine frohe Veraͤnderung, die darzwiſchen kommen moͤchte, dieſen grauſamen Zuchtmeiſter mit ſeinen Vorwuͤrfen von mir trei- ben koͤnnte! ‒ ‒ Verdrießlich uͤber mich ſelbſt! ‒ ‒ Verdrießlich uͤber das Andenken meiner ſchaͤndlichen Raͤnke und meiner geringen, mei- ner nur auf einen Augenblick gegenwaͤrtigen Entzuͤckung; O ich ſchaͤndlicher Dieb und Rau- ber! welche mir eine ſo dauerhafte und ſo ſchwere Gewiſſensangſt uͤber den Hals gebracht hat! Was wollte ich darum geben, daß ich mich nicht einer ſo grauſamen und undankbaren Treu-
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Siebenter Theil. T
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durch meine Seele nicht in Bewegung gebracht
werde! ‒ ‒ und daß ſie durch einen Beſuch all-
zu ſehr in Unordnung gerathen wuͤrde: ſo
wollte ich nicht daran denken. ‒ ‒ Jedoch wie
kann ich die Vorſtellung, woran ich mich erinnern
muß, ertragen, daß ſie damals, da ſie das letzte
mal von mir ging; als ihre Unſchuld ſo ſiegreich
die Oberhand uͤber meine vorſetzliche Schuld be-
hielte, daß es genug war, ſie dem Leben wieder
zur Freundinn zu machen und uͤber alle ſo edelmuͤ-
thig ausgeſtandene Beleidigungen hinauszuſetzen;
mit einem unheilbaren Bruch in ihrem Herzen
weggegangen, und das das letzte mal geweſen
ſeyn ſollte, da ich ſie jemals ſehen wuͤrde! ‒ ‒
Wie, wie kann ich dieſe Betrachtung ertragen!
O Bruder! wie zerreißt mich mein Gewiſ-
ſen, das ſo gar deinen ſtumpfen Anmerkungen eine
durchſchneidende Schaͤrfe giebt! ‒ ‒ Selbſt die-
ſen Augenblick wollte ich die ganze Welt dafuͤr
hingeben, daß ich durch eine frohe Veraͤnderung,
die darzwiſchen kommen moͤchte, dieſen grauſamen
Zuchtmeiſter mit ſeinen Vorwuͤrfen von mir trei-
ben koͤnnte! ‒ ‒ Verdrießlich uͤber mich ſelbſt!
‒ ‒ Verdrießlich uͤber das Andenken meiner
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/295>, abgerufen am 22.11.2024.
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