nöthige Sorge, sage ich: denn sie nahm die Sache recht so an, als ihr gedacht habt. Sie nahm sie als eine Entschuldigung an, die sie für die Unversöhnlichkeit ihrer Freunde zu haben wünschte, und bat mich, sie den Brief für sich le- sen zu lassen. Denn, sagte sie, der Jnhalt kann mich nicht unruhig machen, er sey, was er wolle.
Jch gab ihn ihr hin, und sie las ihn für sich: wobey dann und wann eine Thräne hervorschies- sen wollte, und bisweilen ein Seufzer eingescho- ben wurde.
Sie gab mir den Brief mit großer, und, in Betrachtung des Jnhalts, erstaunlicher Gemüths- ruhe wieder zurück.
Jch weiß die Zeit, sprach sie, und es ist noch nicht lange, da ein solcher Brief, als dieß ist, mich sehr betrübet haben würde. Allein nunmehr, hoffe ich, bin ich über alle diese Dinge hinaus: denn ich kann es auf ihre und der Fräulein Howe gute Dienste ankommen lassen, meinem Andenken bey meinen Freunden Gerechtigkeit zu verschaffen. Ein jedes Ding, das uns zustößet, hat seine gute und seine böse Seite. Will daß menschliche Gemüth sich selbst zu thun machen, und einen jeden unan- genehmen Vorfall auf der schlimmsten Seite an- sehen: so wird es ihm nimmermehr an Jammer und Herzeleid fehlen. Dieser Brief macht mir mehr Vergnügen als Kummer; so sehr auch der Jnhalt desselben meinen guten Namen kränket: weil ich daraus abnehmen kann, daß, wenn meine Freunde nicht von übel berichteten oder unbeson-
nenen
noͤthige Sorge, ſage ich: denn ſie nahm die Sache recht ſo an, als ihr gedacht habt. Sie nahm ſie als eine Entſchuldigung an, die ſie fuͤr die Unverſoͤhnlichkeit ihrer Freunde zu haben wuͤnſchte, und bat mich, ſie den Brief fuͤr ſich le- ſen zu laſſen. Denn, ſagte ſie, der Jnhalt kann mich nicht unruhig machen, er ſey, was er wolle.
Jch gab ihn ihr hin, und ſie las ihn fuͤr ſich: wobey dann und wann eine Thraͤne hervorſchieſ- ſen wollte, und bisweilen ein Seufzer eingeſcho- ben wurde.
Sie gab mir den Brief mit großer, und, in Betrachtung des Jnhalts, erſtaunlicher Gemuͤths- ruhe wieder zuruͤck.
Jch weiß die Zeit, ſprach ſie, und es iſt noch nicht lange, da ein ſolcher Brief, als dieß iſt, mich ſehr betruͤbet haben wuͤrde. Allein nunmehr, hoffe ich, bin ich uͤber alle dieſe Dinge hinaus: denn ich kann es auf ihre und der Fraͤulein Howe gute Dienſte ankommen laſſen, meinem Andenken bey meinen Freunden Gerechtigkeit zu verſchaffen. Ein jedes Ding, das uns zuſtoͤßet, hat ſeine gute und ſeine boͤſe Seite. Will daß menſchliche Gemuͤth ſich ſelbſt zu thun machen, und einen jeden unan- genehmen Vorfall auf der ſchlimmſten Seite an- ſehen: ſo wird es ihm nimmermehr an Jammer und Herzeleid fehlen. Dieſer Brief macht mir mehr Vergnuͤgen als Kummer; ſo ſehr auch der Jnhalt deſſelben meinen guten Namen kraͤnket: weil ich daraus abnehmen kann, daß, wenn meine Freunde nicht von uͤbel berichteten oder unbeſon-
nenen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0254"n="248"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><hirendition="#fr">noͤthige Sorge,</hi>ſage ich: denn ſie nahm die<lb/>
Sache recht ſo an, als ihr gedacht habt. Sie<lb/>
nahm ſie als eine Entſchuldigung an, die ſie fuͤr<lb/>
die Unverſoͤhnlichkeit ihrer Freunde zu haben<lb/>
wuͤnſchte, und bat mich, ſie den Brief fuͤr ſich le-<lb/>ſen zu laſſen. Denn, ſagte ſie, der Jnhalt kann<lb/>
mich nicht unruhig machen, er ſey, was er wolle.</p><lb/><p>Jch gab ihn ihr hin, und ſie las ihn fuͤr ſich:<lb/>
wobey dann und wann eine Thraͤne hervorſchieſ-<lb/>ſen wollte, und bisweilen ein Seufzer eingeſcho-<lb/>
ben wurde.</p><lb/><p>Sie gab mir den Brief mit großer, und, in<lb/>
Betrachtung des Jnhalts, erſtaunlicher Gemuͤths-<lb/>
ruhe wieder zuruͤck.</p><lb/><p>Jch weiß die Zeit, ſprach ſie, und es iſt noch<lb/>
nicht lange, da ein ſolcher Brief, als dieß iſt, mich<lb/>ſehr betruͤbet haben wuͤrde. Allein nunmehr, hoffe<lb/>
ich, bin ich uͤber alle dieſe Dinge hinaus: denn ich<lb/>
kann es auf ihre und der Fraͤulein Howe gute<lb/>
Dienſte ankommen laſſen, meinem Andenken bey<lb/>
meinen Freunden Gerechtigkeit zu verſchaffen. Ein<lb/>
jedes Ding, das uns zuſtoͤßet, hat ſeine gute und<lb/>ſeine boͤſe Seite. Will daß menſchliche Gemuͤth<lb/>ſich ſelbſt zu thun machen, und einen jeden unan-<lb/>
genehmen Vorfall auf der ſchlimmſten Seite an-<lb/>ſehen: ſo wird es ihm nimmermehr an Jammer<lb/>
und Herzeleid fehlen. Dieſer Brief macht mir<lb/>
mehr Vergnuͤgen als Kummer; ſo ſehr auch der<lb/>
Jnhalt deſſelben meinen guten Namen kraͤnket:<lb/>
weil ich daraus abnehmen kann, daß, wenn meine<lb/>
Freunde nicht von uͤbel berichteten oder unbeſon-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">nenen</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[248/0254]
noͤthige Sorge, ſage ich: denn ſie nahm die
Sache recht ſo an, als ihr gedacht habt. Sie
nahm ſie als eine Entſchuldigung an, die ſie fuͤr
die Unverſoͤhnlichkeit ihrer Freunde zu haben
wuͤnſchte, und bat mich, ſie den Brief fuͤr ſich le-
ſen zu laſſen. Denn, ſagte ſie, der Jnhalt kann
mich nicht unruhig machen, er ſey, was er wolle.
Jch gab ihn ihr hin, und ſie las ihn fuͤr ſich:
wobey dann und wann eine Thraͤne hervorſchieſ-
ſen wollte, und bisweilen ein Seufzer eingeſcho-
ben wurde.
Sie gab mir den Brief mit großer, und, in
Betrachtung des Jnhalts, erſtaunlicher Gemuͤths-
ruhe wieder zuruͤck.
Jch weiß die Zeit, ſprach ſie, und es iſt noch
nicht lange, da ein ſolcher Brief, als dieß iſt, mich
ſehr betruͤbet haben wuͤrde. Allein nunmehr, hoffe
ich, bin ich uͤber alle dieſe Dinge hinaus: denn ich
kann es auf ihre und der Fraͤulein Howe gute
Dienſte ankommen laſſen, meinem Andenken bey
meinen Freunden Gerechtigkeit zu verſchaffen. Ein
jedes Ding, das uns zuſtoͤßet, hat ſeine gute und
ſeine boͤſe Seite. Will daß menſchliche Gemuͤth
ſich ſelbſt zu thun machen, und einen jeden unan-
genehmen Vorfall auf der ſchlimmſten Seite an-
ſehen: ſo wird es ihm nimmermehr an Jammer
und Herzeleid fehlen. Dieſer Brief macht mir
mehr Vergnuͤgen als Kummer; ſo ſehr auch der
Jnhalt deſſelben meinen guten Namen kraͤnket:
weil ich daraus abnehmen kann, daß, wenn meine
Freunde nicht von uͤbel berichteten oder unbeſon-
nenen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/254>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.