Jch las ihn so, und erstaunte auf einige Au- genblicke über ihre Erfindung, ihre Gottseligkeit, ihre christliche Liebe, und über deine und meine eigne Einfalt, daß wir so betrogen waren.
Was hast du, schändlicher Lovelace, aber nun zu thun: da die Fräulein ganz einig mit sich selbst bleibet und keine Hoffnung für dich übrig ist? Was anders, als dich selbst, wie einen durch Witz überwundenen Gegner, der schon mit dem Siege prangte, zu erhenken, zu ersäufen oder zu erschie- ßen?
Als meine Bestürzung ein wenig vorüber war, fuhr sie fort: Was den Brief anlanget, der von meiner Schwester gekommen, da ihr Freund eben hier gewesen: so werden sie bald sehen, mein Herr, daß es der grausamste Brief sey, den sie jemals an mich geschrieben hat.
Hiernächst bezeigte sie sich über die Folgen von dem euch zugedachten Besuch des Obrist Mordens äußerst bekümmert: und bat mich, daß, wo ich itzo, oder zu irgend einer Zeit nach diesem Gele- genheit hätte, einem fernern Unglück vorzubeu- gen, ohne selbst darüber in Schaden oder Gefahr zu gerathen, ich es thun möchte.
Jch versicherte sie, daß ich diesen und alle ihre Befehle mit der größten Aufmerksamkeit in Acht nehmen wollte: und zwar auf eine ihr so ange- nehme Weise, daß sie mir vom Himmel einen Se- gen erbat, für meine Güte, wie sie sich ausdrückte, gegen ein verlassenes Frauenzimmer, das unter
dem
Jch las ihn ſo, und erſtaunte auf einige Au- genblicke uͤber ihre Erfindung, ihre Gottſeligkeit, ihre chriſtliche Liebe, und uͤber deine und meine eigne Einfalt, daß wir ſo betrogen waren.
Was haſt du, ſchaͤndlicher Lovelace, aber nun zu thun: da die Fraͤulein ganz einig mit ſich ſelbſt bleibet und keine Hoffnung fuͤr dich uͤbrig iſt? Was anders, als dich ſelbſt, wie einen durch Witz uͤberwundenen Gegner, der ſchon mit dem Siege prangte, zu erhenken, zu erſaͤufen oder zu erſchie- ßen?
Als meine Beſtuͤrzung ein wenig voruͤber war, fuhr ſie fort: Was den Brief anlanget, der von meiner Schweſter gekommen, da ihr Freund eben hier geweſen: ſo werden ſie bald ſehen, mein Herr, daß es der grauſamſte Brief ſey, den ſie jemals an mich geſchrieben hat.
Hiernaͤchſt bezeigte ſie ſich uͤber die Folgen von dem euch zugedachten Beſuch des Obriſt Mordens aͤußerſt bekuͤmmert: und bat mich, daß, wo ich itzo, oder zu irgend einer Zeit nach dieſem Gele- genheit haͤtte, einem fernern Ungluͤck vorzubeu- gen, ohne ſelbſt daruͤber in Schaden oder Gefahr zu gerathen, ich es thun moͤchte.
Jch verſicherte ſie, daß ich dieſen und alle ihre Befehle mit der groͤßten Aufmerkſamkeit in Acht nehmen wollte: und zwar auf eine ihr ſo ange- nehme Weiſe, daß ſie mir vom Himmel einen Se- gen erbat, fuͤr meine Guͤte, wie ſie ſich ausdruͤckte, gegen ein verlaſſenes Frauenzimmer, das unter
dem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0178"n="172"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Jch las ihn ſo, und erſtaunte auf einige Au-<lb/>
genblicke uͤber ihre Erfindung, ihre Gottſeligkeit,<lb/>
ihre chriſtliche Liebe, und uͤber deine und meine<lb/>
eigne Einfalt, daß wir ſo betrogen waren.</p><lb/><p>Was haſt du, ſchaͤndlicher Lovelace, aber nun<lb/>
zu thun: da die Fraͤulein ganz einig mit ſich ſelbſt<lb/>
bleibet und keine Hoffnung fuͤr dich uͤbrig iſt?<lb/>
Was anders, als dich ſelbſt, wie einen durch Witz<lb/>
uͤberwundenen Gegner, der ſchon mit dem Siege<lb/>
prangte, zu erhenken, zu erſaͤufen oder zu erſchie-<lb/>
ßen?</p><lb/><p>Als meine Beſtuͤrzung ein wenig voruͤber<lb/>
war, fuhr ſie fort: Was den Brief anlanget, der<lb/>
von meiner Schweſter gekommen, da ihr Freund<lb/>
eben hier geweſen: ſo werden ſie <hirendition="#fr">bald</hi>ſehen, mein<lb/>
Herr, daß es der grauſamſte Brief ſey, den ſie<lb/>
jemals an mich geſchrieben hat.</p><lb/><p>Hiernaͤchſt bezeigte ſie ſich uͤber die Folgen von<lb/>
dem euch zugedachten Beſuch des Obriſt Mordens<lb/>
aͤußerſt bekuͤmmert: und bat mich, daß, wo ich<lb/>
itzo, oder zu irgend einer Zeit nach dieſem Gele-<lb/>
genheit haͤtte, einem fernern Ungluͤck vorzubeu-<lb/>
gen, ohne ſelbſt daruͤber in Schaden oder Gefahr<lb/>
zu gerathen, ich es thun moͤchte.</p><lb/><p>Jch verſicherte ſie, daß ich dieſen und alle ihre<lb/>
Befehle mit der groͤßten Aufmerkſamkeit in Acht<lb/>
nehmen wollte: und zwar auf eine ihr ſo ange-<lb/>
nehme Weiſe, daß ſie mir vom Himmel einen Se-<lb/>
gen erbat, fuͤr meine Guͤte, wie ſie ſich ausdruͤckte,<lb/>
gegen ein verlaſſenes Frauenzimmer, das unter<lb/><fwplace="bottom"type="catch">dem</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[172/0178]
Jch las ihn ſo, und erſtaunte auf einige Au-
genblicke uͤber ihre Erfindung, ihre Gottſeligkeit,
ihre chriſtliche Liebe, und uͤber deine und meine
eigne Einfalt, daß wir ſo betrogen waren.
Was haſt du, ſchaͤndlicher Lovelace, aber nun
zu thun: da die Fraͤulein ganz einig mit ſich ſelbſt
bleibet und keine Hoffnung fuͤr dich uͤbrig iſt?
Was anders, als dich ſelbſt, wie einen durch Witz
uͤberwundenen Gegner, der ſchon mit dem Siege
prangte, zu erhenken, zu erſaͤufen oder zu erſchie-
ßen?
Als meine Beſtuͤrzung ein wenig voruͤber
war, fuhr ſie fort: Was den Brief anlanget, der
von meiner Schweſter gekommen, da ihr Freund
eben hier geweſen: ſo werden ſie bald ſehen, mein
Herr, daß es der grauſamſte Brief ſey, den ſie
jemals an mich geſchrieben hat.
Hiernaͤchſt bezeigte ſie ſich uͤber die Folgen von
dem euch zugedachten Beſuch des Obriſt Mordens
aͤußerſt bekuͤmmert: und bat mich, daß, wo ich
itzo, oder zu irgend einer Zeit nach dieſem Gele-
genheit haͤtte, einem fernern Ungluͤck vorzubeu-
gen, ohne ſelbſt daruͤber in Schaden oder Gefahr
zu gerathen, ich es thun moͤchte.
Jch verſicherte ſie, daß ich dieſen und alle ihre
Befehle mit der groͤßten Aufmerkſamkeit in Acht
nehmen wollte: und zwar auf eine ihr ſo ange-
nehme Weiſe, daß ſie mir vom Himmel einen Se-
gen erbat, fuͤr meine Guͤte, wie ſie ſich ausdruͤckte,
gegen ein verlaſſenes Frauenzimmer, das unter
dem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/178>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.