Dieß überzeuget mich, daß, wo sie ihnen von meinem Erbieten gegen sie Nachricht gegeben hat, sie nicht glauben wollen, daß es mein Ernst sey, bis sie davon aus meinem eignen Munde versi- chert sind. Außer dem aber vernehme ich, daß der uns zugedachte Besuch eine freywillige Dienst- fertigkeit von Morden selbst sey, ohne das Ver- langen irgend jemandes von ihren Freunden.
Nun sage mir, Bruder, was kann ein Mensch aus allen diesen Dingen machen? An meiner Nachricht, daß die Unversöhnlichkeit ihrer Fami- lie noch fortdaure, ist nicht zu zweifeln: und was kann man gleichwohl sagen, wenn ich ihren Brief lese? Gewiß das liebe, kleine, schelmische Kind wird doch nicht lügen.
Jch habe niemals gefunden, daß sie von ih- rem Worte abgegangen wäre, ausgenommen ein- mal: und das war, da sie versprach, mir zu ver- geben, nach dem schrecklichen Feuer, welches bald in unserer Mutter Hause entstanden wäre, und mich dennoch des folgenden Tages nicht sehen wollte, auch hernach ihre Flucht nach Hampstead nahm, damit sie mir nicht vergeben dürfte. Weil sie aber diese Abweichung von ihrem auf Ehre gegebenen Versprechen hart und schmerzlich empfunden hat; denn es ist für fromme Leute ei- ne betrübte Sache, ihr Wort zu brechen, wenn es in ihrer Gewalt stehet, dasselbe zu halten: so sollte man nicht vermuthen, daß sie wieder einen Betrug vornehmen würde; sonderlich auf eine so vorsetzliche Art, als es beym Schreiben ge-
schiehet.
Dieß uͤberzeuget mich, daß, wo ſie ihnen von meinem Erbieten gegen ſie Nachricht gegeben hat, ſie nicht glauben wollen, daß es mein Ernſt ſey, bis ſie davon aus meinem eignen Munde verſi- chert ſind. Außer dem aber vernehme ich, daß der uns zugedachte Beſuch eine freywillige Dienſt- fertigkeit von Morden ſelbſt ſey, ohne das Ver- langen irgend jemandes von ihren Freunden.
Nun ſage mir, Bruder, was kann ein Menſch aus allen dieſen Dingen machen? An meiner Nachricht, daß die Unverſoͤhnlichkeit ihrer Fami- lie noch fortdaure, iſt nicht zu zweifeln: und was kann man gleichwohl ſagen, wenn ich ihren Brief leſe? Gewiß das liebe, kleine, ſchelmiſche Kind wird doch nicht luͤgen.
Jch habe niemals gefunden, daß ſie von ih- rem Worte abgegangen waͤre, ausgenommen ein- mal: und das war, da ſie verſprach, mir zu ver- geben, nach dem ſchrecklichen Feuer, welches bald in unſerer Mutter Hauſe entſtanden waͤre, und mich dennoch des folgenden Tages nicht ſehen wollte, auch hernach ihre Flucht nach Hampſtead nahm, damit ſie mir nicht vergeben duͤrfte. Weil ſie aber dieſe Abweichung von ihrem auf Ehre gegebenen Verſprechen hart und ſchmerzlich empfunden hat; denn es iſt fuͤr fromme Leute ei- ne betruͤbte Sache, ihr Wort zu brechen, wenn es in ihrer Gewalt ſtehet, daſſelbe zu halten: ſo ſollte man nicht vermuthen, daß ſie wieder einen Betrug vornehmen wuͤrde; ſonderlich auf eine ſo vorſetzliche Art, als es beym Schreiben ge-
ſchiehet.
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Dieß uͤberzeuget mich, daß, wo ſie ihnen von
meinem Erbieten gegen ſie Nachricht gegeben hat,
ſie nicht glauben wollen, daß es mein Ernſt ſey,
bis ſie davon aus meinem eignen Munde verſi-
chert ſind. Außer dem aber vernehme ich, daß
der uns zugedachte Beſuch eine freywillige Dienſt-
fertigkeit von Morden ſelbſt ſey, ohne das Ver-
langen irgend jemandes von ihren Freunden.
Nun ſage mir, Bruder, was kann ein Menſch
aus allen dieſen Dingen machen? An meiner
Nachricht, daß die Unverſoͤhnlichkeit ihrer Fami-
lie noch fortdaure, iſt nicht zu zweifeln: und was
kann man gleichwohl ſagen, wenn ich ihren Brief
leſe? Gewiß das liebe, kleine, ſchelmiſche Kind
wird doch nicht luͤgen.
Jch habe niemals gefunden, daß ſie von ih-
rem Worte abgegangen waͤre, ausgenommen ein-
mal: und das war, da ſie verſprach, mir zu ver-
geben, nach dem ſchrecklichen Feuer, welches bald
in unſerer Mutter Hauſe entſtanden waͤre, und
mich dennoch des folgenden Tages nicht ſehen
wollte, auch hernach ihre Flucht nach Hampſtead
nahm, damit ſie mir nicht vergeben duͤrfte.
Weil ſie aber dieſe Abweichung von ihrem auf
Ehre gegebenen Verſprechen hart und ſchmerzlich
empfunden hat; denn es iſt fuͤr fromme Leute ei-
ne betruͤbte Sache, ihr Wort zu brechen, wenn
es in ihrer Gewalt ſtehet, daſſelbe zu halten: ſo
ſollte man nicht vermuthen, daß ſie wieder einen
Betrug vornehmen wuͤrde; ſonderlich auf eine ſo
vorſetzliche Art, als es beym Schreiben ge-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/161>, abgerufen am 23.11.2024.
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