Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite


Eine Aussöhnung mit meinen Freunden er-
warte ich nicht; auch keine Verzeihung: wenig-
stens nicht eher, als in meinen letzten Nöthen,
und wie eine Mitgabe auf den Weg.

O meine geliebte Fr. Norton, Sie können
sich nicht einbilden, was ich ausgestanden habe!
- - Jn der That ist mein Herz gebrochen. Jch
weiß gewiß, ich werde nicht so lange leben, daß
ich zu der Ununterwürfigkeit komme, welche mich
nach Jhren Gedanken in den Stand setzen wür-
de, meine vergangene Aufführung einigermaßen
gut zu machen.

Da ich dieser Meynung bin: so können Sie
leicht glauben, daß ich nicht geruhig seyn werde,
bis ich mir die Widerrufung des schrecklichen
Fluchs, und, wo möglich, auf mein Ende eine
Vergebung auswirken kann.

Jch wünsche, daß man mir selbst überlasse,
den Weg zu wählen, durch welchen ich mich be-
mühen werde, mir diese Gewogenheit zu ver-
schaffen. Jedoch weiß ich itzo noch nicht, was
das für ein Weg seyn soll.

Jch will schreiben. Aber an wen? Das ist
nur mein Zweifel. Unglück und Noth haben
mich noch nicht so dreiste gemacht, daß ich mich
selbst an meinen Vater wenden sollte. Meine
Onkels, so sehr sie mich auch vormals liebten,
haben ein hartes Herze. Jhre männliche Lei-
denschaften sind niemals durch den zärtlichen
Vaternamen gemildert. Von meinem Bru-
der
mache ich mir keine Hoffnung. Also habe

ich


Eine Ausſoͤhnung mit meinen Freunden er-
warte ich nicht; auch keine Verzeihung: wenig-
ſtens nicht eher, als in meinen letzten Noͤthen,
und wie eine Mitgabe auf den Weg.

O meine geliebte Fr. Norton, Sie koͤnnen
ſich nicht einbilden, was ich ausgeſtanden habe!
‒ ‒ Jn der That iſt mein Herz gebrochen. Jch
weiß gewiß, ich werde nicht ſo lange leben, daß
ich zu der Ununterwuͤrfigkeit komme, welche mich
nach Jhren Gedanken in den Stand ſetzen wuͤr-
de, meine vergangene Auffuͤhrung einigermaßen
gut zu machen.

Da ich dieſer Meynung bin: ſo koͤnnen Sie
leicht glauben, daß ich nicht geruhig ſeyn werde,
bis ich mir die Widerrufung des ſchrecklichen
Fluchs, und, wo moͤglich, auf mein Ende eine
Vergebung auswirken kann.

Jch wuͤnſche, daß man mir ſelbſt uͤberlaſſe,
den Weg zu waͤhlen, durch welchen ich mich be-
muͤhen werde, mir dieſe Gewogenheit zu ver-
ſchaffen. Jedoch weiß ich itzo noch nicht, was
das fuͤr ein Weg ſeyn ſoll.

Jch will ſchreiben. Aber an wen? Das iſt
nur mein Zweifel. Ungluͤck und Noth haben
mich noch nicht ſo dreiſte gemacht, daß ich mich
ſelbſt an meinen Vater wenden ſollte. Meine
Onkels, ſo ſehr ſie mich auch vormals liebten,
haben ein hartes Herze. Jhre maͤnnliche Lei-
denſchaften ſind niemals durch den zaͤrtlichen
Vaternamen gemildert. Von meinem Bru-
der
mache ich mir keine Hoffnung. Alſo habe

ich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0081" n="75"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Eine Aus&#x017F;o&#x0364;hnung mit meinen Freunden er-<lb/>
warte ich nicht; auch keine Verzeihung: wenig-<lb/>
&#x017F;tens nicht eher, als in meinen letzten No&#x0364;then,<lb/>
und wie eine <hi rendition="#fr">Mitgabe auf den Weg.</hi></p><lb/>
          <p>O meine geliebte Fr. Norton, Sie ko&#x0364;nnen<lb/>
&#x017F;ich nicht einbilden, was ich ausge&#x017F;tanden habe!<lb/>
&#x2012; &#x2012; Jn der That i&#x017F;t mein Herz gebrochen. Jch<lb/>
weiß gewiß, ich werde nicht &#x017F;o lange leben, daß<lb/>
ich zu der Ununterwu&#x0364;rfigkeit komme, welche mich<lb/>
nach Jhren Gedanken in den Stand &#x017F;etzen wu&#x0364;r-<lb/>
de, meine vergangene Auffu&#x0364;hrung einigermaßen<lb/>
gut zu machen.</p><lb/>
          <p>Da ich die&#x017F;er Meynung bin: &#x017F;o ko&#x0364;nnen Sie<lb/>
leicht glauben, daß ich nicht geruhig &#x017F;eyn werde,<lb/>
bis ich mir die Widerrufung des &#x017F;chrecklichen<lb/>
Fluchs, und, wo mo&#x0364;glich, auf mein Ende eine<lb/>
Vergebung auswirken kann.</p><lb/>
          <p>Jch wu&#x0364;n&#x017F;che, daß man mir &#x017F;elb&#x017F;t u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
den Weg zu wa&#x0364;hlen, durch welchen ich mich be-<lb/>
mu&#x0364;hen werde, mir die&#x017F;e Gewogenheit zu ver-<lb/>
&#x017F;chaffen. Jedoch weiß ich itzo noch nicht, was<lb/>
das fu&#x0364;r ein Weg &#x017F;eyn &#x017F;oll.</p><lb/>
          <p>Jch will &#x017F;chreiben. Aber an <hi rendition="#fr">wen?</hi> Das i&#x017F;t<lb/>
nur mein Zweifel. Unglu&#x0364;ck und Noth haben<lb/>
mich noch nicht &#x017F;o drei&#x017F;te gemacht, daß ich mich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t an meinen <hi rendition="#fr">Vater</hi> wenden &#x017F;ollte. Meine<lb/><hi rendition="#fr">Onkels,</hi> &#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;ie mich auch vormals liebten,<lb/>
haben ein hartes Herze. Jhre ma&#x0364;nnliche Lei-<lb/>
den&#x017F;chaften &#x017F;ind niemals durch den za&#x0364;rtlichen<lb/><hi rendition="#fr">Vaternamen</hi> gemildert. Von meinem <hi rendition="#fr">Bru-<lb/>
der</hi> mache ich mir keine Hoffnung. Al&#x017F;o habe<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ich</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0081] Eine Ausſoͤhnung mit meinen Freunden er- warte ich nicht; auch keine Verzeihung: wenig- ſtens nicht eher, als in meinen letzten Noͤthen, und wie eine Mitgabe auf den Weg. O meine geliebte Fr. Norton, Sie koͤnnen ſich nicht einbilden, was ich ausgeſtanden habe! ‒ ‒ Jn der That iſt mein Herz gebrochen. Jch weiß gewiß, ich werde nicht ſo lange leben, daß ich zu der Ununterwuͤrfigkeit komme, welche mich nach Jhren Gedanken in den Stand ſetzen wuͤr- de, meine vergangene Auffuͤhrung einigermaßen gut zu machen. Da ich dieſer Meynung bin: ſo koͤnnen Sie leicht glauben, daß ich nicht geruhig ſeyn werde, bis ich mir die Widerrufung des ſchrecklichen Fluchs, und, wo moͤglich, auf mein Ende eine Vergebung auswirken kann. Jch wuͤnſche, daß man mir ſelbſt uͤberlaſſe, den Weg zu waͤhlen, durch welchen ich mich be- muͤhen werde, mir dieſe Gewogenheit zu ver- ſchaffen. Jedoch weiß ich itzo noch nicht, was das fuͤr ein Weg ſeyn ſoll. Jch will ſchreiben. Aber an wen? Das iſt nur mein Zweifel. Ungluͤck und Noth haben mich noch nicht ſo dreiſte gemacht, daß ich mich ſelbſt an meinen Vater wenden ſollte. Meine Onkels, ſo ſehr ſie mich auch vormals liebten, haben ein hartes Herze. Jhre maͤnnliche Lei- denſchaften ſind niemals durch den zaͤrtlichen Vaternamen gemildert. Von meinem Bru- der mache ich mir keine Hoffnung. Alſo habe ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/81
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/81>, abgerufen am 22.11.2024.