es hingegen an einem Elenden für eine Unver- schämtheit gehalten wird, Rath zu ertheilen oder Vorstellungen zu thun.
Jnzwischen ist Fräulein Howe eine unschätz- bare Person. Jst es zu vermuthen, daß sie noch eben die Achtung gegen mein Urtheil behalten sollte, die sie vorher gehabt, ehe ich alles Recht, für verständig und klug gehalten zu werden, ver- scherzet hatte? Mit was für einem Gesichte kann ich mich unterstehen, ihr einen Mangel der Klug- heit vorzuhalten? Kann ich aber so glücklich seyn, mich wieder in eine gute Meynung bey ihr zu se- tzen, welches mir allezeit schätzbar gewesen ist: so werde ich mich bemühen, Jhre gegründete An- merkungen in diesem Stücke ihr nachdrücklich vorzustellen.
Sie dürfen mich nicht ermahnen, sagen Sie, einen solchen Mann, als der ist, durch den ich gelitten habe, zu verachten - - Jn Wahrheit, Sie dürfen nicht: denn ich wollte lieber den grau- samsten Tod wählen, als die Seinige zu seyn. Dennoch, meine liebe Fr. Norton, will ich Jh- nen gestehen, daß ich ihn vormals hätte lieben können - - Der undankbare Mensch! - - Hät- te er es mir zugelassen: so hätte ich ihn vor- mals lieben können. Gleichwohl verdiente er meine Liebe niemals. Und war dieß nicht ein Fehler? Aber wenn ich nunmehr nur aus seinen Händen errettet bleiben und es dahin bringen kann, daß mein Vater seinen Fluch wiederrufet: so ist das alles, was ich wünsche.
Eine
es hingegen an einem Elenden fuͤr eine Unver- ſchaͤmtheit gehalten wird, Rath zu ertheilen oder Vorſtellungen zu thun.
Jnzwiſchen iſt Fraͤulein Howe eine unſchaͤtz- bare Perſon. Jſt es zu vermuthen, daß ſie noch eben die Achtung gegen mein Urtheil behalten ſollte, die ſie vorher gehabt, ehe ich alles Recht, fuͤr verſtaͤndig und klug gehalten zu werden, ver- ſcherzet hatte? Mit was fuͤr einem Geſichte kann ich mich unterſtehen, ihr einen Mangel der Klug- heit vorzuhalten? Kann ich aber ſo gluͤcklich ſeyn, mich wieder in eine gute Meynung bey ihr zu ſe- tzen, welches mir allezeit ſchaͤtzbar geweſen iſt: ſo werde ich mich bemuͤhen, Jhre gegruͤndete An- merkungen in dieſem Stuͤcke ihr nachdruͤcklich vorzuſtellen.
Sie duͤrfen mich nicht ermahnen, ſagen Sie, einen ſolchen Mann, als der iſt, durch den ich gelitten habe, zu verachten ‒ ‒ Jn Wahrheit, Sie duͤrfen nicht: denn ich wollte lieber den grau- ſamſten Tod waͤhlen, als die Seinige zu ſeyn. Dennoch, meine liebe Fr. Norton, will ich Jh- nen geſtehen, daß ich ihn vormals haͤtte lieben koͤnnen ‒ ‒ Der undankbare Menſch! ‒ ‒ Haͤt- te er es mir zugelaſſen: ſo haͤtte ich ihn vor- mals lieben koͤnnen. Gleichwohl verdiente er meine Liebe niemals. Und war dieß nicht ein Fehler? Aber wenn ich nunmehr nur aus ſeinen Haͤnden errettet bleiben und es dahin bringen kann, daß mein Vater ſeinen Fluch wiederrufet: ſo iſt das alles, was ich wuͤnſche.
Eine
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[74/0080]
es hingegen an einem Elenden fuͤr eine Unver-
ſchaͤmtheit gehalten wird, Rath zu ertheilen oder
Vorſtellungen zu thun.
Jnzwiſchen iſt Fraͤulein Howe eine unſchaͤtz-
bare Perſon. Jſt es zu vermuthen, daß ſie noch
eben die Achtung gegen mein Urtheil behalten
ſollte, die ſie vorher gehabt, ehe ich alles Recht,
fuͤr verſtaͤndig und klug gehalten zu werden, ver-
ſcherzet hatte? Mit was fuͤr einem Geſichte kann
ich mich unterſtehen, ihr einen Mangel der Klug-
heit vorzuhalten? Kann ich aber ſo gluͤcklich ſeyn,
mich wieder in eine gute Meynung bey ihr zu ſe-
tzen, welches mir allezeit ſchaͤtzbar geweſen iſt: ſo
werde ich mich bemuͤhen, Jhre gegruͤndete An-
merkungen in dieſem Stuͤcke ihr nachdruͤcklich
vorzuſtellen.
Sie duͤrfen mich nicht ermahnen, ſagen Sie,
einen ſolchen Mann, als der iſt, durch den ich
gelitten habe, zu verachten ‒ ‒ Jn Wahrheit,
Sie duͤrfen nicht: denn ich wollte lieber den grau-
ſamſten Tod waͤhlen, als die Seinige zu ſeyn.
Dennoch, meine liebe Fr. Norton, will ich Jh-
nen geſtehen, daß ich ihn vormals haͤtte lieben
koͤnnen ‒ ‒ Der undankbare Menſch! ‒ ‒ Haͤt-
te er es mir zugelaſſen: ſo haͤtte ich ihn vor-
mals lieben koͤnnen. Gleichwohl verdiente er
meine Liebe niemals. Und war dieß nicht ein
Fehler? Aber wenn ich nunmehr nur aus ſeinen
Haͤnden errettet bleiben und es dahin bringen
kann, daß mein Vater ſeinen Fluch wiederrufet:
ſo iſt das alles, was ich wuͤnſche.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/80>, abgerufen am 24.11.2024.
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