Der Fall einer tugendhaften Person ist son- der Zweifel etwas schreckliches und nicht zu ent- schuldigen. Er hat eine Aehnlichkeit mit dem Abfall von der reinen Lehre. Jedoch wünschte ich, daß man sich nach den Umständen meines Falles erkundiget hätte.
Mache ich meinen Zustand in Ansehung der Gesundheit ärger, als er ist, und in Ansehung meiner Reue besser, als er ist: so ist es billig, mein Herr, daß ich für meine gedoppelte Verstel- lung gestraft werde; und Sie haben das Ver- gnügen einer von denen zu seyn, die mich zur Strafe ziehen. Nichts desto weniger wird der Ausgang meine Aufrichtigkeit in beyder Betrach- tung rechtfertigen. Auf diesen lasse ich es an- kommen. - - Der Himmel wolle Jhnen allezeit, wenn Sie überlegen, wie Sie mich verworfen ha- ben, so viel Trost verleihen, als Sie Vergnügen daran zu finden scheinen, daß Sie ein elendes Frauenzimmer kränken, welches schon aufs höch- ste, und zwar, wie sie hoffen darf, durch eine ge- hörige Empfindung ihres eignen Fehlers gekrän- ket ist!
Was Sie von mir gehört haben, kann ich nicht sagen. Wenn die nächsten und liebsten Verwandten eine unglückliche Person aufgeben: so ist es nicht zu verwundern, daß diejenigen, welche nicht mit ihr verwandt sind, Verläum- dungen gegen sie für wahr annehmen und aus- breiten. Dennoch denke ich, daß ich der Ver- läumdung selbst Trotz bieten, und, den verderbli-
chen
Der Fall einer tugendhaften Perſon iſt ſon- der Zweifel etwas ſchreckliches und nicht zu ent- ſchuldigen. Er hat eine Aehnlichkeit mit dem Abfall von der reinen Lehre. Jedoch wuͤnſchte ich, daß man ſich nach den Umſtaͤnden meines Falles erkundiget haͤtte.
Mache ich meinen Zuſtand in Anſehung der Geſundheit aͤrger, als er iſt, und in Anſehung meiner Reue beſſer, als er iſt: ſo iſt es billig, mein Herr, daß ich fuͤr meine gedoppelte Verſtel- lung geſtraft werde; und Sie haben das Ver- gnuͤgen einer von denen zu ſeyn, die mich zur Strafe ziehen. Nichts deſto weniger wird der Ausgang meine Aufrichtigkeit in beyder Betrach- tung rechtfertigen. Auf dieſen laſſe ich es an- kommen. ‒ ‒ Der Himmel wolle Jhnen allezeit, wenn Sie uͤberlegen, wie Sie mich verworfen ha- ben, ſo viel Troſt verleihen, als Sie Vergnuͤgen daran zu finden ſcheinen, daß Sie ein elendes Frauenzimmer kraͤnken, welches ſchon aufs hoͤch- ſte, und zwar, wie ſie hoffen darf, durch eine ge- hoͤrige Empfindung ihres eignen Fehlers gekraͤn- ket iſt!
Was Sie von mir gehoͤrt haben, kann ich nicht ſagen. Wenn die naͤchſten und liebſten Verwandten eine ungluͤckliche Perſon aufgeben: ſo iſt es nicht zu verwundern, daß diejenigen, welche nicht mit ihr verwandt ſind, Verlaͤum- dungen gegen ſie fuͤr wahr annehmen und aus- breiten. Dennoch denke ich, daß ich der Ver- laͤumdung ſelbſt Trotz bieten, und, den verderbli-
chen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0756"n="750"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Der Fall einer tugendhaften Perſon iſt ſon-<lb/>
der Zweifel etwas ſchreckliches und nicht zu ent-<lb/>ſchuldigen. Er hat eine Aehnlichkeit mit dem<lb/>
Abfall von der reinen Lehre. Jedoch wuͤnſchte<lb/>
ich, daß man ſich nach den Umſtaͤnden meines<lb/>
Falles erkundiget haͤtte.</p><lb/><p>Mache ich meinen Zuſtand in Anſehung der<lb/>
Geſundheit aͤrger, als er iſt, und in Anſehung<lb/>
meiner Reue beſſer, als er iſt: ſo iſt es billig,<lb/>
mein Herr, daß ich fuͤr meine gedoppelte Verſtel-<lb/>
lung geſtraft werde; und <hirendition="#fr">Sie</hi> haben das Ver-<lb/>
gnuͤgen einer von denen zu ſeyn, die mich zur<lb/>
Strafe ziehen. Nichts deſto weniger wird der<lb/>
Ausgang meine Aufrichtigkeit in beyder Betrach-<lb/>
tung rechtfertigen. Auf <hirendition="#fr">dieſen</hi> laſſe ich es an-<lb/>
kommen. ‒‒ Der Himmel wolle Jhnen allezeit,<lb/>
wenn Sie uͤberlegen, wie Sie mich verworfen ha-<lb/>
ben, ſo viel Troſt verleihen, als Sie Vergnuͤgen<lb/>
daran zu finden ſcheinen, daß Sie ein elendes<lb/>
Frauenzimmer kraͤnken, welches ſchon <hirendition="#fr">aufs hoͤch-<lb/>ſte,</hi> und zwar, wie ſie hoffen darf, durch eine <hirendition="#fr">ge-<lb/>
hoͤrige</hi> Empfindung ihres eignen Fehlers gekraͤn-<lb/>
ket iſt!</p><lb/><p>Was Sie <hirendition="#fr">von mir gehoͤrt</hi> haben, kann ich<lb/>
nicht ſagen. Wenn die naͤchſten und liebſten<lb/>
Verwandten eine ungluͤckliche Perſon aufgeben:<lb/>ſo iſt es nicht zu verwundern, daß diejenigen,<lb/>
welche <hirendition="#fr">nicht</hi> mit ihr verwandt ſind, Verlaͤum-<lb/>
dungen gegen ſie fuͤr wahr annehmen und aus-<lb/>
breiten. Dennoch denke ich, daß ich der Ver-<lb/>
laͤumdung ſelbſt Trotz bieten, und, den verderbli-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">chen</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[750/0756]
Der Fall einer tugendhaften Perſon iſt ſon-
der Zweifel etwas ſchreckliches und nicht zu ent-
ſchuldigen. Er hat eine Aehnlichkeit mit dem
Abfall von der reinen Lehre. Jedoch wuͤnſchte
ich, daß man ſich nach den Umſtaͤnden meines
Falles erkundiget haͤtte.
Mache ich meinen Zuſtand in Anſehung der
Geſundheit aͤrger, als er iſt, und in Anſehung
meiner Reue beſſer, als er iſt: ſo iſt es billig,
mein Herr, daß ich fuͤr meine gedoppelte Verſtel-
lung geſtraft werde; und Sie haben das Ver-
gnuͤgen einer von denen zu ſeyn, die mich zur
Strafe ziehen. Nichts deſto weniger wird der
Ausgang meine Aufrichtigkeit in beyder Betrach-
tung rechtfertigen. Auf dieſen laſſe ich es an-
kommen. ‒ ‒ Der Himmel wolle Jhnen allezeit,
wenn Sie uͤberlegen, wie Sie mich verworfen ha-
ben, ſo viel Troſt verleihen, als Sie Vergnuͤgen
daran zu finden ſcheinen, daß Sie ein elendes
Frauenzimmer kraͤnken, welches ſchon aufs hoͤch-
ſte, und zwar, wie ſie hoffen darf, durch eine ge-
hoͤrige Empfindung ihres eignen Fehlers gekraͤn-
ket iſt!
Was Sie von mir gehoͤrt haben, kann ich
nicht ſagen. Wenn die naͤchſten und liebſten
Verwandten eine ungluͤckliche Perſon aufgeben:
ſo iſt es nicht zu verwundern, daß diejenigen,
welche nicht mit ihr verwandt ſind, Verlaͤum-
dungen gegen ſie fuͤr wahr annehmen und aus-
breiten. Dennoch denke ich, daß ich der Ver-
laͤumdung ſelbſt Trotz bieten, und, den verderbli-
chen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 750. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/756>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.