Hätten Sie nicht aus hundert Fällen erfah- ren, wie werth Sie uns vormals gewesen: so könnten Sie es nun urtheilen, wenn Sie wüß- ten, wie sehr uns Jhre Thorheit in Unordnung gebracht hat.
Boshaftiges, boshaftiges Mägdchen! Sie sehen die Früchte, welche es bringt, wenn man einen liederlichen und ausschweifenden Kerl einem mäßigen und tugendhaften Manne vorziehet. Gegen alle Warnung, gegen besser Wissen. Und noch dazu ein so sittsames Frauenzimmer, als Sie waren! Wer konnte denken, daß Sie eine so un- anständige Wahl treffen würden?
Jhre Mutter kann nicht fragen, und Jhre Schwester weiß nach der Sittsamkeit nicht, wie sie fragen soll: also frage ich Sie, ob Sie Ursache haben zu glauben, daß Sie von dem Bösewicht schwanger sind? - - Sie müssen das beant- worten, und es nach der Wahrheit beantworten, ehe man sich Jhretwegen zu etwas entschließen kann.
Jhre Missethaten mögen Jhnen wohl billig das Gewissen auf das empfindlichste rühren. Hätte ich jemals denken können, daß mein Aug- apfel, wie jedermann Sie nannte, es so gemacht haben würde? Gewiß ich liebte Sie zu sehr. Al- lein das ist nunmehr vorbey. Jedoch, ob ich gleich für niemand, als für mich selbst, zu stehen über mich nehmen will; sage ich meines Theils: Gott vergebe Jhnen! Und dieß ist alles von
Jhrem betrübten Onkel Johann Harlowe.
Unten
Haͤtten Sie nicht aus hundert Faͤllen erfah- ren, wie werth Sie uns vormals geweſen: ſo koͤnnten Sie es nun urtheilen, wenn Sie wuͤß- ten, wie ſehr uns Jhre Thorheit in Unordnung gebracht hat.
Boshaftiges, boshaftiges Maͤgdchen! Sie ſehen die Fruͤchte, welche es bringt, wenn man einen liederlichen und ausſchweifenden Kerl einem maͤßigen und tugendhaften Manne vorziehet. Gegen alle Warnung, gegen beſſer Wiſſen. Und noch dazu ein ſo ſittſames Frauenzimmer, als Sie waren! Wer konnte denken, daß Sie eine ſo un- anſtaͤndige Wahl treffen wuͤrden?
Jhre Mutter kann nicht fragen, und Jhre Schweſter weiß nach der Sittſamkeit nicht, wie ſie fragen ſoll: alſo frage ich Sie, ob Sie Urſache haben zu glauben, daß Sie von dem Boͤſewicht ſchwanger ſind? ‒ ‒ Sie muͤſſen das beant- worten, und es nach der Wahrheit beantworten, ehe man ſich Jhretwegen zu etwas entſchließen kann.
Jhre Miſſethaten moͤgen Jhnen wohl billig das Gewiſſen auf das empfindlichſte ruͤhren. Haͤtte ich jemals denken koͤnnen, daß mein Aug- apfel, wie jedermann Sie nannte, es ſo gemacht haben wuͤrde? Gewiß ich liebte Sie zu ſehr. Al- lein das iſt nunmehr vorbey. Jedoch, ob ich gleich fuͤr niemand, als fuͤr mich ſelbſt, zu ſtehen uͤber mich nehmen will; ſage ich meines Theils: Gott vergebe Jhnen! Und dieß iſt alles von
Jhrem betruͤbten Onkel Johann Harlowe.
Unten
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Haͤtten Sie nicht aus hundert Faͤllen erfah-
ren, wie werth Sie uns vormals geweſen: ſo
koͤnnten Sie es nun urtheilen, wenn Sie wuͤß-
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gebracht hat.
Boshaftiges, boshaftiges Maͤgdchen! Sie
ſehen die Fruͤchte, welche es bringt, wenn man
einen liederlichen und ausſchweifenden Kerl einem
maͤßigen und tugendhaften Manne vorziehet.
Gegen alle Warnung, gegen beſſer Wiſſen. Und
noch dazu ein ſo ſittſames Frauenzimmer, als Sie
waren! Wer konnte denken, daß Sie eine ſo un-
anſtaͤndige Wahl treffen wuͤrden?
Jhre Mutter kann nicht fragen, und Jhre
Schweſter weiß nach der Sittſamkeit nicht, wie
ſie fragen ſoll: alſo frage ich Sie, ob Sie Urſache
haben zu glauben, daß Sie von dem Boͤſewicht
ſchwanger ſind? ‒ ‒ Sie muͤſſen das beant-
worten, und es nach der Wahrheit beantworten, ehe
man ſich Jhretwegen zu etwas entſchließen kann.
Jhre Miſſethaten moͤgen Jhnen wohl billig
das Gewiſſen auf das empfindlichſte ruͤhren.
Haͤtte ich jemals denken koͤnnen, daß mein Aug-
apfel, wie jedermann Sie nannte, es ſo gemacht
haben wuͤrde? Gewiß ich liebte Sie zu ſehr. Al-
lein das iſt nunmehr vorbey. Jedoch, ob ich
gleich fuͤr niemand, als fuͤr mich ſelbſt, zu ſtehen
uͤber mich nehmen will; ſage ich meines Theils:
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Jhrem betruͤbten Onkel
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 736. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/742>, abgerufen am 22.11.2024.
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