Sie dringt sehr ernstlich darauf, schreibt ihr, daß ich ihr nicht beschwerlich zu fallen suche. Das, soll sie wissen, wird schlechterdings von ihr selbst, und der Antwort, die ich auf meinen Brief von ihr bekomme, abhangen: ob sie durch Fe- der und Dinte, oder durch das verächtliche Still- schweigen gegeben wird, womit sie meine letzten vier Briefe an sie beantwortete. Jch will ihn in so demüthigen und billigen Ausdrücken schrei- ben, daß sie mir vergeben Wird, wo sie nicht eine ächte Harlowe ist. Allein was die Vollzie- hung ihres letzten Willens betrifft: - - so sollst du bey ihr der Vollzieher nicht seyn; ich will das Leben nicht haben, wo du es seyn sollst. - - Sie soll auch nicht sterben. Niemand soll bey ihr etwas seyn, niemand soll sich unterstehen etwas bey ihr zu seyn, als ich. - - Deine Glück- seligkeit ist ohne das schon zu groß, daß du täg- lich den Zutritt zu ihr hast, sie ansiehest, mit ihr sprichst, sie sprechen hörest: da mir unterdes- sen verboten ist, nur einmal so weit zu kommen, daß ich ihr Fenster sehen kann. - - Was für eine Verwerfung ist dieß, von demjenigen, der ehemals ihr lieber gewesen ist, als alle Manns- personen in der Welt! - - Und daß sie nun im Stande ist, bisweilen mit niedriger Verachtung, zu andern Zeiten mit geringschätzigem Mitleiden auf mich herab zu schauen, weil ihr Haupt unter den Sternen vor mir, verdecket ist, das kann ich nicht ertragen.
Dieß
Sie dringt ſehr ernſtlich darauf, ſchreibt ihr, daß ich ihr nicht beſchwerlich zu fallen ſuche. Das, ſoll ſie wiſſen, wird ſchlechterdings von ihr ſelbſt, und der Antwort, die ich auf meinen Brief von ihr bekomme, abhangen: ob ſie durch Fe- der und Dinte, oder durch das veraͤchtliche Still- ſchweigen gegeben wird, womit ſie meine letzten vier Briefe an ſie beantwortete. Jch will ihn in ſo demuͤthigen und billigen Ausdruͤcken ſchrei- ben, daß ſie mir vergeben Wird, wo ſie nicht eine aͤchte Harlowe iſt. Allein was die Vollzie- hung ihres letzten Willens betrifft: ‒ ‒ ſo ſollſt du bey ihr der Vollzieher nicht ſeyn; ich will das Leben nicht haben, wo du es ſeyn ſollſt. ‒ ‒ Sie ſoll auch nicht ſterben. Niemand ſoll bey ihr etwas ſeyn, niemand ſoll ſich unterſtehen etwas bey ihr zu ſeyn, als ich. ‒ ‒ Deine Gluͤck- ſeligkeit iſt ohne das ſchon zu groß, daß du taͤg- lich den Zutritt zu ihr haſt, ſie anſieheſt, mit ihr ſprichſt, ſie ſprechen hoͤreſt: da mir unterdeſ- ſen verboten iſt, nur einmal ſo weit zu kommen, daß ich ihr Fenſter ſehen kann. ‒ ‒ Was fuͤr eine Verwerfung iſt dieß, von demjenigen, der ehemals ihr lieber geweſen iſt, als alle Manns- perſonen in der Welt! ‒ ‒ Und daß ſie nun im Stande iſt, bisweilen mit niedriger Verachtung, zu andern Zeiten mit geringſchaͤtzigem Mitleiden auf mich herab zu ſchauen, weil ihr Haupt unter den Sternen vor mir, verdecket iſt, das kann ich nicht ertragen.
Dieß
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Sie dringt ſehr ernſtlich darauf, ſchreibt ihr,
daß ich ihr nicht beſchwerlich zu fallen ſuche.
Das, ſoll ſie wiſſen, wird ſchlechterdings von ihr
ſelbſt, und der Antwort, die ich auf meinen Brief
von ihr bekomme, abhangen: ob ſie durch Fe-
der und Dinte, oder durch das veraͤchtliche Still-
ſchweigen gegeben wird, womit ſie meine letzten
vier Briefe an ſie beantwortete. Jch will ihn
in ſo demuͤthigen und billigen Ausdruͤcken ſchrei-
ben, daß ſie mir vergeben Wird, wo ſie nicht eine
aͤchte Harlowe iſt. Allein was die Vollzie-
hung ihres letzten Willens betrifft: ‒ ‒ ſo
ſollſt du bey ihr der Vollzieher nicht ſeyn; ich
will das Leben nicht haben, wo du es ſeyn ſollſt.
‒ ‒ Sie ſoll auch nicht ſterben. Niemand ſoll
bey ihr etwas ſeyn, niemand ſoll ſich unterſtehen
etwas bey ihr zu ſeyn, als ich. ‒ ‒ Deine Gluͤck-
ſeligkeit iſt ohne das ſchon zu groß, daß du taͤg-
lich den Zutritt zu ihr haſt, ſie anſieheſt, mit
ihr ſprichſt, ſie ſprechen hoͤreſt: da mir unterdeſ-
ſen verboten iſt, nur einmal ſo weit zu kommen,
daß ich ihr Fenſter ſehen kann. ‒ ‒ Was fuͤr
eine Verwerfung iſt dieß, von demjenigen, der
ehemals ihr lieber geweſen iſt, als alle Manns-
perſonen in der Welt! ‒ ‒ Und daß ſie nun im
Stande iſt, bisweilen mit niedriger Verachtung,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 710. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/716>, abgerufen am 22.11.2024.
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