Als sie ihn geschrieben hatte: brachte sie ihn zu mir und entschuldigte die Freyheiten, welche sie sich darinn gegen mich genommen. Jch hiel- te sie für entschuldigt: und sie war bereit, mir vor Freuden wegen meines Beyfalls einen Kuß zu geben; aber ich gab ihr zween, und sagte, daß ich mir guten Erfolg davon verspräche, und daß ich dächte, sie hätte es glücklich getroffen.
Jedermann billigt ihn eben so, wie ich, und ist wohl mit mir zufrieden, daß ich mich so gedul- tig mishandeln und andere alles für mich unter- nehmen lasse - - - Erhalte ich meinen Zweck nicht: so wird alle Schuld auf des lieben Kindes Eigensinn fallen. Jhre Neigung zur christlichen Liebe und Vergebung, womit sie sich so groß ma- chet, wird mit Recht in Zweifel gezogen, und das Mitleiden, welches itzo vollkommen in ihrem Be- sitz ist, wird auf mich verleget werden.
Weil ich also mein ganzes Vertrauen auf diesen Brief setze: so setze ich alle meine andere und auf verschiedne Fälle eingerichtete Anschläge, auch meine Reise nach London zurück, bis meine Gebieterinn an die Fräulein Montague eine Ant- wort schicket.
Wo sie aber auf ihren Kopf bestehet, und nicht versprechen will, sich zur Ueberlegung der Sache Zeit zu lassen: so magst du ihr eröffnen, was ich oben geschrieben hatte, ehe meine Base herein kam. Bleibt sie noch verkehrt und ei- gensinnig: so versichere sie, daß ich sie sehen müsse und wolle - - Jedoch soll dieß mit al-
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Als ſie ihn geſchrieben hatte: brachte ſie ihn zu mir und entſchuldigte die Freyheiten, welche ſie ſich darinn gegen mich genommen. Jch hiel- te ſie fuͤr entſchuldigt: und ſie war bereit, mir vor Freuden wegen meines Beyfalls einen Kuß zu geben; aber ich gab ihr zween, und ſagte, daß ich mir guten Erfolg davon verſpraͤche, und daß ich daͤchte, ſie haͤtte es gluͤcklich getroffen.
Jedermann billigt ihn eben ſo, wie ich, und iſt wohl mit mir zufrieden, daß ich mich ſo gedul- tig mishandeln und andere alles fuͤr mich unter- nehmen laſſe ‒ ‒ ‒ Erhalte ich meinen Zweck nicht: ſo wird alle Schuld auf des lieben Kindes Eigenſinn fallen. Jhre Neigung zur chriſtlichen Liebe und Vergebung, womit ſie ſich ſo groß ma- chet, wird mit Recht in Zweifel gezogen, und das Mitleiden, welches itzo vollkommen in ihrem Be- ſitz iſt, wird auf mich verleget werden.
Weil ich alſo mein ganzes Vertrauen auf dieſen Brief ſetze: ſo ſetze ich alle meine andere und auf verſchiedne Faͤlle eingerichtete Anſchlaͤge, auch meine Reiſe nach London zuruͤck, bis meine Gebieterinn an die Fraͤulein Montague eine Ant- wort ſchicket.
Wo ſie aber auf ihren Kopf beſtehet, und nicht verſprechen will, ſich zur Ueberlegung der Sache Zeit zu laſſen: ſo magſt du ihr eroͤffnen, was ich oben geſchrieben hatte, ehe meine Baſe herein kam. Bleibt ſie noch verkehrt und ei- genſinnig: ſo verſichere ſie, daß ich ſie ſehen muͤſſe und wolle ‒ ‒ Jedoch ſoll dieß mit al-
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Als ſie ihn geſchrieben hatte: brachte ſie ihn
zu mir und entſchuldigte die Freyheiten, welche
ſie ſich darinn gegen mich genommen. Jch hiel-
te ſie fuͤr entſchuldigt: und ſie war bereit, mir
vor Freuden wegen meines Beyfalls einen Kuß
zu geben; aber ich gab ihr zween, und ſagte,
daß ich mir guten Erfolg davon verſpraͤche, und
daß ich daͤchte, ſie haͤtte es gluͤcklich getroffen.
Jedermann billigt ihn eben ſo, wie ich, und
iſt wohl mit mir zufrieden, daß ich mich ſo gedul-
tig mishandeln und andere alles fuͤr mich unter-
nehmen laſſe ‒ ‒ ‒ Erhalte ich meinen Zweck
nicht: ſo wird alle Schuld auf des lieben Kindes
Eigenſinn fallen. Jhre Neigung zur chriſtlichen
Liebe und Vergebung, womit ſie ſich ſo groß ma-
chet, wird mit Recht in Zweifel gezogen, und das
Mitleiden, welches itzo vollkommen in ihrem Be-
ſitz iſt, wird auf mich verleget werden.
Weil ich alſo mein ganzes Vertrauen auf
dieſen Brief ſetze: ſo ſetze ich alle meine andere
und auf verſchiedne Faͤlle eingerichtete Anſchlaͤge,
auch meine Reiſe nach London zuruͤck, bis meine
Gebieterinn an die Fraͤulein Montague eine Ant-
wort ſchicket.
Wo ſie aber auf ihren Kopf beſtehet, und
nicht verſprechen will, ſich zur Ueberlegung der
Sache Zeit zu laſſen: ſo magſt du ihr eroͤffnen,
was ich oben geſchrieben hatte, ehe meine Baſe
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 665. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/671>, abgerufen am 22.11.2024.
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