ich auf meinen zweyten Brief eine Antwort habe. Jch fange nun an zu wünschen, daß ich mir das Herz genommen hätte, an meinen Vater selbst, oder wenigstens an meine Mutter, zu schreiben, an statt daß ich mich an meine Schwester gewandt habe. Und gleichwohl besorge ich, daß meine arme Mutter für sich selbst nichts zu meinem Besten thun könne. Ein starkes Bündniß, mei- ne liebe Frau Norton, in der That ein starkes Bündniß gegen ein armes Mägdchen, ihre Toch- ter, Schwester, Base! - - Mein Bruder hat es vielleicht erneuret, ehe er sie verlassen. Er hätte es nicht nöthig gehabt - - Sein Werk ist voll- endet: und mehr als vollendet.
Machen Sie sich meinetwegen in Ansehung des Geldes keine Sorge. Jch habe kein Geld nöthig. Es ist mir lieb, daß meine Mutter so bedächtlich gegen Sie gewesen ist. Jch habe in eben der Betrachtung mich Jhretwegen betrübet. Allein der Himmel wird nicht zulassen, daß es einer so frommen Frauen an dem geringen Segen fehle, mit dem sie allezeit zufrieden gewe- sen ist. Jch wünschte, daß ein jeder von unserer Familie nur so reich wäre, als Sie sind! - - O meine Mutter Norton, Sie sind reich: Sie sind reich, in der That! - - Wahre Reichthümer bestehen in einem solchen Vergnügen, als dasje- nige ist, mit welchem Sie gesegnet sind. - - Und ich hoffe in Gott, daß ich auf dem Wege bin, auch reich zu seyn.
Leben
T t 2
ich auf meinen zweyten Brief eine Antwort habe. Jch fange nun an zu wuͤnſchen, daß ich mir das Herz genommen haͤtte, an meinen Vater ſelbſt, oder wenigſtens an meine Mutter, zu ſchreiben, an ſtatt daß ich mich an meine Schweſter gewandt habe. Und gleichwohl beſorge ich, daß meine arme Mutter fuͤr ſich ſelbſt nichts zu meinem Beſten thun koͤnne. Ein ſtarkes Buͤndniß, mei- ne liebe Frau Norton, in der That ein ſtarkes Buͤndniß gegen ein armes Maͤgdchen, ihre Toch- ter, Schweſter, Baſe! ‒ ‒ Mein Bruder hat es vielleicht erneuret, ehe er ſie verlaſſen. Er haͤtte es nicht noͤthig gehabt ‒ ‒ Sein Werk iſt voll- endet: und mehr als vollendet.
Machen Sie ſich meinetwegen in Anſehung des Geldes keine Sorge. Jch habe kein Geld noͤthig. Es iſt mir lieb, daß meine Mutter ſo bedaͤchtlich gegen Sie geweſen iſt. Jch habe in eben der Betrachtung mich Jhretwegen betruͤbet. Allein der Himmel wird nicht zulaſſen, daß es einer ſo frommen Frauen an dem geringen Segen fehle, mit dem ſie allezeit zufrieden gewe- ſen iſt. Jch wuͤnſchte, daß ein jeder von unſerer Familie nur ſo reich waͤre, als Sie ſind! ‒ ‒ O meine Mutter Norton, Sie ſind reich: Sie ſind reich, in der That! ‒ ‒ Wahre Reichthuͤmer beſtehen in einem ſolchen Vergnuͤgen, als dasje- nige iſt, mit welchem Sie geſegnet ſind. ‒ ‒ Und ich hoffe in Gott, daß ich auf dem Wege bin, auch reich zu ſeyn.
Leben
T t 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0665"n="659"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
ich auf meinen zweyten Brief eine Antwort habe.<lb/>
Jch fange nun an zu wuͤnſchen, daß ich mir das<lb/>
Herz genommen haͤtte, an meinen Vater ſelbſt,<lb/>
oder wenigſtens an meine Mutter, zu ſchreiben, an<lb/>ſtatt daß ich mich an meine Schweſter gewandt<lb/>
habe. Und gleichwohl beſorge ich, daß meine<lb/>
arme Mutter fuͤr <hirendition="#fr">ſich ſelbſt</hi> nichts zu meinem<lb/>
Beſten thun koͤnne. Ein ſtarkes Buͤndniß, mei-<lb/>
ne liebe Frau Norton, in der That ein ſtarkes<lb/>
Buͤndniß gegen ein armes Maͤgdchen, ihre Toch-<lb/>
ter, Schweſter, Baſe! ‒‒ Mein Bruder hat es<lb/>
vielleicht erneuret, ehe er ſie verlaſſen. Er haͤtte<lb/>
es nicht noͤthig gehabt ‒‒ Sein Werk iſt voll-<lb/>
endet: und mehr als vollendet.</p><lb/><p>Machen Sie ſich meinetwegen in Anſehung<lb/>
des Geldes keine Sorge. Jch habe kein Geld<lb/>
noͤthig. Es iſt mir lieb, daß meine Mutter ſo<lb/>
bedaͤchtlich gegen Sie geweſen iſt. Jch habe in<lb/>
eben der Betrachtung mich Jhretwegen betruͤbet.<lb/>
Allein der Himmel wird nicht zulaſſen, daß es<lb/>
einer ſo frommen Frauen an dem geringen<lb/>
Segen fehle, mit dem ſie allezeit zufrieden gewe-<lb/>ſen iſt. Jch wuͤnſchte, daß ein jeder von unſerer<lb/>
Familie nur ſo reich waͤre, als Sie ſind! ‒‒ O<lb/>
meine Mutter Norton, Sie ſind reich: Sie ſind<lb/>
reich, in der That! ‒‒ Wahre Reichthuͤmer<lb/>
beſtehen in einem ſolchen Vergnuͤgen, als dasje-<lb/>
nige iſt, mit welchem Sie geſegnet ſind. ‒‒<lb/>
Und ich hoffe in Gott, daß ich auf dem Wege bin,<lb/>
auch reich zu ſeyn.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">T t 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Leben</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[659/0665]
ich auf meinen zweyten Brief eine Antwort habe.
Jch fange nun an zu wuͤnſchen, daß ich mir das
Herz genommen haͤtte, an meinen Vater ſelbſt,
oder wenigſtens an meine Mutter, zu ſchreiben, an
ſtatt daß ich mich an meine Schweſter gewandt
habe. Und gleichwohl beſorge ich, daß meine
arme Mutter fuͤr ſich ſelbſt nichts zu meinem
Beſten thun koͤnne. Ein ſtarkes Buͤndniß, mei-
ne liebe Frau Norton, in der That ein ſtarkes
Buͤndniß gegen ein armes Maͤgdchen, ihre Toch-
ter, Schweſter, Baſe! ‒ ‒ Mein Bruder hat es
vielleicht erneuret, ehe er ſie verlaſſen. Er haͤtte
es nicht noͤthig gehabt ‒ ‒ Sein Werk iſt voll-
endet: und mehr als vollendet.
Machen Sie ſich meinetwegen in Anſehung
des Geldes keine Sorge. Jch habe kein Geld
noͤthig. Es iſt mir lieb, daß meine Mutter ſo
bedaͤchtlich gegen Sie geweſen iſt. Jch habe in
eben der Betrachtung mich Jhretwegen betruͤbet.
Allein der Himmel wird nicht zulaſſen, daß es
einer ſo frommen Frauen an dem geringen
Segen fehle, mit dem ſie allezeit zufrieden gewe-
ſen iſt. Jch wuͤnſchte, daß ein jeder von unſerer
Familie nur ſo reich waͤre, als Sie ſind! ‒ ‒ O
meine Mutter Norton, Sie ſind reich: Sie ſind
reich, in der That! ‒ ‒ Wahre Reichthuͤmer
beſtehen in einem ſolchen Vergnuͤgen, als dasje-
nige iſt, mit welchem Sie geſegnet ſind. ‒ ‒
Und ich hoffe in Gott, daß ich auf dem Wege bin,
auch reich zu ſeyn.
Leben
T t 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 659. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/665>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.