te es nicht erst der gottlosen Gewaltthätigkeit, ein Leben, mit welchem er sein Spiel getrieben hat, um vieles, wenn gleich etwa nicht so gar sehr, zu verkürzen.
Wäre ich nur einen Monath über die Seine gewesen: so hätte er mein Gut, welches meinen Verwandten am Herzen lag, haben müssen; zu desto größerem Verdrusse für sie, weil sie ihn eben so sehr hasseten, als er sie.
Habe ich in Betrachtung dieser Dinge nicht Ursache, mich selbst ohne Hr. Lovelacen für glück- licher, als mit ihm, zu halten? - - Da noch da- zu mein Wille unbefleckt ist, und ich mir selbst sehr wenig, ja in Absicht auf ihn nicht das ge- ringste, vorzuwerfen habe?
Allein mit meinen Verwandten verhält es sich ganz anders. Diese verdienen in der That Mitleiden. Sie sind unglücklich, und werden es ohne Zweifel lange seyn.
Wenn wir von ihrem Unwillen und ihrer Aufführung urtheilen wollen: so müssen wir uns an ihre Stelle und unter ihre Umstände setzen. - - Da sie mich für schuldiger ansehen, als sich selbst; diejenigen, welche mir wohl wollen, mögen ihrer Meynung seyn oder nicht; und da sie ein Recht haben, für sich zu urtheilen: so muß ihnen bil- lig vieles zu gute gehalten werden; sonderlich meinen Eltern. Sie werden wenigstens von sich selbst freygesprochen; welches bey mir nicht seyn kann: und das um so viel mehr, wie sie sich er- innern können, weil sie durch ihre Mühe, ihre
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te es nicht erſt der gottloſen Gewaltthaͤtigkeit, ein Leben, mit welchem er ſein Spiel getrieben hat, um vieles, wenn gleich etwa nicht ſo gar ſehr, zu verkuͤrzen.
Waͤre ich nur einen Monath uͤber die Seine geweſen: ſo haͤtte er mein Gut, welches meinen Verwandten am Herzen lag, haben muͤſſen; zu deſto groͤßerem Verdruſſe fuͤr ſie, weil ſie ihn eben ſo ſehr haſſeten, als er ſie.
Habe ich in Betrachtung dieſer Dinge nicht Urſache, mich ſelbſt ohne Hr. Lovelacen fuͤr gluͤck- licher, als mit ihm, zu halten? ‒ ‒ Da noch da- zu mein Wille unbefleckt iſt, und ich mir ſelbſt ſehr wenig, ja in Abſicht auf ihn nicht das ge- ringſte, vorzuwerfen habe?
Allein mit meinen Verwandten verhaͤlt es ſich ganz anders. Dieſe verdienen in der That Mitleiden. Sie ſind ungluͤcklich, und werden es ohne Zweifel lange ſeyn.
Wenn wir von ihrem Unwillen und ihrer Auffuͤhrung urtheilen wollen: ſo muͤſſen wir uns an ihre Stelle und unter ihre Umſtaͤnde ſetzen. ‒ ‒ Da ſie mich fuͤr ſchuldiger anſehen, als ſich ſelbſt; diejenigen, welche mir wohl wollen, moͤgen ihrer Meynung ſeyn oder nicht; und da ſie ein Recht haben, fuͤr ſich zu urtheilen: ſo muß ihnen bil- lig vieles zu gute gehalten werden; ſonderlich meinen Eltern. Sie werden wenigſtens von ſich ſelbſt freygeſprochen; welches bey mir nicht ſeyn kann: und das um ſo viel mehr, wie ſie ſich er- innern koͤnnen, weil ſie durch ihre Muͤhe, ihre
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te es nicht erſt der gottloſen Gewaltthaͤtigkeit, ein
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zu verkuͤrzen.
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Verwandten am Herzen lag, haben muͤſſen; zu
deſto groͤßerem Verdruſſe fuͤr ſie, weil ſie ihn
eben ſo ſehr haſſeten, als er ſie.
Habe ich in Betrachtung dieſer Dinge nicht
Urſache, mich ſelbſt ohne Hr. Lovelacen fuͤr gluͤck-
licher, als mit ihm, zu halten? ‒ ‒ Da noch da-
zu mein Wille unbefleckt iſt, und ich mir ſelbſt
ſehr wenig, ja in Abſicht auf ihn nicht das ge-
ringſte, vorzuwerfen habe?
Allein mit meinen Verwandten verhaͤlt es
ſich ganz anders. Dieſe verdienen in der That
Mitleiden. Sie ſind ungluͤcklich, und werden es
ohne Zweifel lange ſeyn.
Wenn wir von ihrem Unwillen und ihrer
Auffuͤhrung urtheilen wollen: ſo muͤſſen wir uns
an ihre Stelle und unter ihre Umſtaͤnde ſetzen. ‒ ‒
Da ſie mich fuͤr ſchuldiger anſehen, als ſich ſelbſt;
diejenigen, welche mir wohl wollen, moͤgen ihrer
Meynung ſeyn oder nicht; und da ſie ein Recht
haben, fuͤr ſich zu urtheilen: ſo muß ihnen bil-
lig vieles zu gute gehalten werden; ſonderlich
meinen Eltern. Sie werden wenigſtens von ſich
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 637. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/643>, abgerufen am 22.11.2024.
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