ihren gerechten Unwillen überwältigen, und sich durch das Ansuchen seiner Freunde gewinnen lassen möchten, ehe Sie Jhre Empfindlichkeit so hoch trieben, daß es Jhnen schwerer seyn und we- niger zu Jhrer Ehre gereichen würde, sich gesällig zu bezeigen, als wenn Sie es zu Anfange gethan hätten.
Aber nunmehr, meine Wertheste, da ich sehe, daß Sie in Jhrer edlen Entschließung unbeweg- lich sind, und daß es einem so lautern und tugend- haften Gemüthe unmöglich ist, sich mit dem Ge- müthe eines so meineidigen Uebelthäters zu ver- einigen: wünsche ich Jhnen von Herzen Glück dazu, und bitte um Verzeihung, daß ich auch nur einmal zu zweifeln geschienen, ob Wissen und Thun bey meiner geliebten Clarissa Harlo- we einerley sey.
Nur eines betrübet mein Herz bey dieser Ge- legenheit: nur der schlechte Zustand Jhrer Ge- sundheit, den Herr Hickmann ungern gestehet. Denn ob Sie gleich die Lehre, welche Sie mir allezeit gegeben haben, so wohl beobachten, daß eine Person, die widrige Urtheile gegen sich hat, zuerst sich bey sich selbst zu rechtfertigen suchen, und der Meynung der Welt von ihr nur einen Nebenplatz einräumen; in allen Fällen aber, wo sich beydes nicht mit einander vereinigen ließe, das erstere dem letztern vorziehen sollte; und ob Sie gleich bey Jhrer Anna Howe, und bey Jh- rem eignen Herzen, sowohl gerechtfertigt sind: so erlauben Sie mir doch, theureste Freundinn,
Sie
ihren gerechten Unwillen uͤberwaͤltigen, und ſich durch das Anſuchen ſeiner Freunde gewinnen laſſen moͤchten, ehe Sie Jhre Empfindlichkeit ſo hoch trieben, daß es Jhnen ſchwerer ſeyn und we- niger zu Jhrer Ehre gereichen wuͤrde, ſich geſaͤllig zu bezeigen, als wenn Sie es zu Anfange gethan haͤtten.
Aber nunmehr, meine Wertheſte, da ich ſehe, daß Sie in Jhrer edlen Entſchließung unbeweg- lich ſind, und daß es einem ſo lautern und tugend- haften Gemuͤthe unmoͤglich iſt, ſich mit dem Ge- muͤthe eines ſo meineidigen Uebelthaͤters zu ver- einigen: wuͤnſche ich Jhnen von Herzen Gluͤck dazu, und bitte um Verzeihung, daß ich auch nur einmal zu zweifeln geſchienen, ob Wiſſen und Thun bey meiner geliebten Clariſſa Harlo- we einerley ſey.
Nur eines betruͤbet mein Herz bey dieſer Ge- legenheit: nur der ſchlechte Zuſtand Jhrer Ge- ſundheit, den Herr Hickmann ungern geſtehet. Denn ob Sie gleich die Lehre, welche Sie mir allezeit gegeben haben, ſo wohl beobachten, daß eine Perſon, die widrige Urtheile gegen ſich hat, zuerſt ſich bey ſich ſelbſt zu rechtfertigen ſuchen, und der Meynung der Welt von ihr nur einen Nebenplatz einraͤumen; in allen Faͤllen aber, wo ſich beydes nicht mit einander vereinigen ließe, das erſtere dem letztern vorziehen ſollte; und ob Sie gleich bey Jhrer Anna Howe, und bey Jh- rem eignen Herzen, ſowohl gerechtfertigt ſind: ſo erlauben Sie mir doch, theureſte Freundinn,
Sie
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ihren gerechten Unwillen uͤberwaͤltigen, und ſich
durch das Anſuchen ſeiner Freunde gewinnen
laſſen moͤchten, ehe Sie Jhre Empfindlichkeit ſo
hoch trieben, daß es Jhnen ſchwerer ſeyn und we-
niger zu Jhrer Ehre gereichen wuͤrde, ſich geſaͤllig
zu bezeigen, als wenn Sie es zu Anfange gethan
haͤtten.
Aber nunmehr, meine Wertheſte, da ich ſehe,
daß Sie in Jhrer edlen Entſchließung unbeweg-
lich ſind, und daß es einem ſo lautern und tugend-
haften Gemuͤthe unmoͤglich iſt, ſich mit dem Ge-
muͤthe eines ſo meineidigen Uebelthaͤters zu ver-
einigen: wuͤnſche ich Jhnen von Herzen Gluͤck
dazu, und bitte um Verzeihung, daß ich auch
nur einmal zu zweifeln geſchienen, ob Wiſſen
und Thun bey meiner geliebten Clariſſa Harlo-
we einerley ſey.
Nur eines betruͤbet mein Herz bey dieſer Ge-
legenheit: nur der ſchlechte Zuſtand Jhrer Ge-
ſundheit, den Herr Hickmann ungern geſtehet.
Denn ob Sie gleich die Lehre, welche Sie mir
allezeit gegeben haben, ſo wohl beobachten, daß
eine Perſon, die widrige Urtheile gegen ſich hat,
zuerſt ſich bey ſich ſelbſt zu rechtfertigen ſuchen,
und der Meynung der Welt von ihr nur einen
Nebenplatz einraͤumen; in allen Faͤllen aber, wo
ſich beydes nicht mit einander vereinigen ließe,
das erſtere dem letztern vorziehen ſollte; und ob
Sie gleich bey Jhrer Anna Howe, und bey Jh-
rem eignen Herzen, ſowohl gerechtfertigt ſind:
ſo erlauben Sie mir doch, theureſte Freundinn,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 600. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/606>, abgerufen am 22.11.2024.
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