eine so wunderliche kleine Seele auf der Welt gewesen. - - Sollte sie nicht ihr eignes Geheim- niß bey sich behalten: da durch Entdeckung des- selben keine gute Absicht nach aller Möglichkeit zu erhalten ist, und sie, wie man denken sollte, durch das Ausschreyen weder sich selbst Mitleiden oder Freunde, noch mir Feinde erwecken will? - - Wie? Bruder, müssen nicht alle Frauen- zimmer über ihre Schwachheit ins Fäustchen la- chen? Wie würde es um die Ruhe in der Welt stehen: wenn sich alle Weibsleute in der Welt einfallen lassen sollten, ihrem Beyspiel zu folgen? Was für eine artige Weile würden darüber die Häupter der Familien haben: wenn ihre Weiber, wenn ihre Töchter ihnen allemal die Ohren mit ihren Bekenntnissen beschwerten? Die Schwe- stern würden alle Tage ihren Brüdern Kehlen abzuschneiden geben; wo ihnen die Ehre ihrer Familien, wie man es nennt, zu Herzen ginge: und die ganze Welt würde entweder ein Schau- platz der Verwirrung seyn, oder das Hörnertragen müßte so sehr Mode werden, als es in Litthauen ist (*).
Jch freue mich unterdessen, daß Fräulein Howe, so sehr sie mich auch hasset, doch ihr Wort, das sie meinen Basen bey dem Besuch derselben
bey
(*) Jn Litthauen sollen die Weiber so frey und offen- bar ihre Liebhaber haben, die Adiutores oder Ge- hülfen heißen, daß die Ehemänner schwerlich oh- ne diese jemals eine Lustfarth oder Gesellschaft zum Vergnügen anstellen.
eine ſo wunderliche kleine Seele auf der Welt geweſen. ‒ ‒ Sollte ſie nicht ihr eignes Geheim- niß bey ſich behalten: da durch Entdeckung deſ- ſelben keine gute Abſicht nach aller Moͤglichkeit zu erhalten iſt, und ſie, wie man denken ſollte, durch das Ausſchreyen weder ſich ſelbſt Mitleiden oder Freunde, noch mir Feinde erwecken will? ‒ ‒ Wie? Bruder, muͤſſen nicht alle Frauen- zimmer uͤber ihre Schwachheit ins Faͤuſtchen la- chen? Wie wuͤrde es um die Ruhe in der Welt ſtehen: wenn ſich alle Weibsleute in der Welt einfallen laſſen ſollten, ihrem Beyſpiel zu folgen? Was fuͤr eine artige Weile wuͤrden daruͤber die Haͤupter der Familien haben: wenn ihre Weiber, wenn ihre Toͤchter ihnen allemal die Ohren mit ihren Bekenntniſſen beſchwerten? Die Schwe- ſtern wuͤrden alle Tage ihren Bruͤdern Kehlen abzuſchneiden geben; wo ihnen die Ehre ihrer Familien, wie man es nennt, zu Herzen ginge: und die ganze Welt wuͤrde entweder ein Schau- platz der Verwirrung ſeyn, oder das Hoͤrnertragen muͤßte ſo ſehr Mode werden, als es in Litthauen iſt (*).
Jch freue mich unterdeſſen, daß Fraͤulein Howe, ſo ſehr ſie mich auch haſſet, doch ihr Wort, das ſie meinen Baſen bey dem Beſuch derſelben
bey
(*) Jn Litthauen ſollen die Weiber ſo frey und offen- bar ihre Liebhaber haben, die Adiutores oder Ge- huͤlfen heißen, daß die Ehemaͤnner ſchwerlich oh- ne dieſe jemals eine Luſtfarth oder Geſellſchaft zum Vergnuͤgen anſtellen.
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eine ſo wunderliche kleine Seele auf der Welt
geweſen. ‒ ‒ Sollte ſie nicht ihr eignes Geheim-
niß bey ſich behalten: da durch Entdeckung deſ-
ſelben keine gute Abſicht nach aller Moͤglichkeit
zu erhalten iſt, und ſie, wie man denken ſollte,
durch das Ausſchreyen weder ſich ſelbſt Mitleiden
oder Freunde, noch mir Feinde erwecken will?
‒ ‒ Wie? Bruder, muͤſſen nicht alle Frauen-
zimmer uͤber ihre Schwachheit ins Faͤuſtchen la-
chen? Wie wuͤrde es um die Ruhe in der Welt
ſtehen: wenn ſich alle Weibsleute in der Welt
einfallen laſſen ſollten, ihrem Beyſpiel zu folgen?
Was fuͤr eine artige Weile wuͤrden daruͤber die
Haͤupter der Familien haben: wenn ihre Weiber,
wenn ihre Toͤchter ihnen allemal die Ohren mit
ihren Bekenntniſſen beſchwerten? Die Schwe-
ſtern wuͤrden alle Tage ihren Bruͤdern Kehlen
abzuſchneiden geben; wo ihnen die Ehre ihrer
Familien, wie man es nennt, zu Herzen ginge:
und die ganze Welt wuͤrde entweder ein Schau-
platz der Verwirrung ſeyn, oder das Hoͤrnertragen
muͤßte ſo ſehr Mode werden, als es in Litthauen
iſt (*).
Jch freue mich unterdeſſen, daß Fraͤulein
Howe, ſo ſehr ſie mich auch haſſet, doch ihr Wort,
das ſie meinen Baſen bey dem Beſuch derſelben
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(*) Jn Litthauen ſollen die Weiber ſo frey und offen-
bar ihre Liebhaber haben, die Adiutores oder Ge-
huͤlfen heißen, daß die Ehemaͤnner ſchwerlich oh-
ne dieſe jemals eine Luſtfarth oder Geſellſchaft
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/602>, abgerufen am 22.11.2024.
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