Kein stoisches Gesetz nach angenommnem Wahn, Kein prächtig Wortgeräusch, und keiner Schu- le Lehren Sind das, was unserm Geist den Muth erhal- ten kann, Wenn wir den letzten Ruf zur Schreckens- Stunde hören. Ein Feiger spricht davon, aus Büchern, wie ein Held: Doch zur Versuchungszeit verließ er gern das Feld.
Mehr als zu wahr: denn alsdann ist es alle- mal der alte Mann in der Fabel, mit seinem Bündel von Reisern.
Die Fräulein ist im Shakespeare, der Zierde unserer englischen Dichter, wohl belesen, und muß bisweilen bey sich selbst nach seinen Wor- ten schließen, die so nachdrücklich sind, daß die Sache, so rührend sie auch ist, nichts mehr von der Art hervorbringen kann.
Daß wir sterben, und dieß wissen; aber nicht, wohin wir gehn; Daß wir in Erstarrung liegen, schnöde Fäul- niß auszustehn; Daß der Leib, durch den man fühlt, und er- wärmt und wirksam handelt, Sich in einen Erdenkloß, der geknetet ist, ver- wandelt; Und der Geist, der Freude suchte, dort in Feuer- fluthen schwebt;
Oder
Der Dichter ſagt ſehr wohl:
Kein ſtoiſches Geſetz nach angenommnem Wahn, Kein praͤchtig Wortgeraͤuſch, und keiner Schu- le Lehren Sind das, was unſerm Geiſt den Muth erhal- ten kann, Wenn wir den letzten Ruf zur Schreckens- Stunde hoͤren. Ein Feiger ſpricht davon, aus Buͤchern, wie ein Held: Doch zur Verſuchungszeit verließ er gern das Feld.
Mehr als zu wahr: denn alsdann iſt es alle- mal der alte Mann in der Fabel, mit ſeinem Buͤndel von Reiſern.
Die Fraͤulein iſt im Shakeſpeare, der Zierde unſerer engliſchen Dichter, wohl beleſen, und muß bisweilen bey ſich ſelbſt nach ſeinen Wor- ten ſchließen, die ſo nachdruͤcklich ſind, daß die Sache, ſo ruͤhrend ſie auch iſt, nichts mehr von der Art hervorbringen kann.
Daß wir ſterben, und dieß wiſſen; aber nicht, wohin wir gehn; Daß wir in Erſtarrung liegen, ſchnoͤde Faͤul- niß auszuſtehn; Daß der Leib, durch den man fuͤhlt, und er- waͤrmt und wirkſam handelt, Sich in einen Erdenkloß, der geknetet iſt, ver- wandelt; Und der Geiſt, der Freude ſuchte, dort in Feuer- fluthen ſchwebt;
Oder
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Der Dichter ſagt ſehr wohl:
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Wahn,
Kein praͤchtig Wortgeraͤuſch, und keiner Schu-
le Lehren
Sind das, was unſerm Geiſt den Muth erhal-
ten kann,
Wenn wir den letzten Ruf zur Schreckens-
Stunde hoͤren.
Ein Feiger ſpricht davon, aus Buͤchern, wie
ein Held:
Doch zur Verſuchungszeit verließ er gern das
Feld.
Mehr als zu wahr: denn alsdann iſt es alle-
mal der alte Mann in der Fabel, mit ſeinem
Buͤndel von Reiſern.
Die Fraͤulein iſt im Shakeſpeare, der Zierde
unſerer engliſchen Dichter, wohl beleſen, und
muß bisweilen bey ſich ſelbſt nach ſeinen Wor-
ten ſchließen, die ſo nachdruͤcklich ſind, daß die
Sache, ſo ruͤhrend ſie auch iſt, nichts mehr von
der Art hervorbringen kann.
Daß wir ſterben, und dieß wiſſen; aber nicht,
wohin wir gehn;
Daß wir in Erſtarrung liegen, ſchnoͤde Faͤul-
niß auszuſtehn;
Daß der Leib, durch den man fuͤhlt, und er-
waͤrmt und wirkſam handelt,
Sich in einen Erdenkloß, der geknetet iſt, ver-
wandelt;
Und der Geiſt, der Freude ſuchte, dort in Feuer-
fluthen ſchwebt;
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 594. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/600>, abgerufen am 22.11.2024.
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