Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



jungen Lovelace zu haben. Alsdenn wird sie um
desselben willen leben, bin ich versichert, und ihr
Kind zu einem rechtmäßigen Erben machen.
Und was für Verdienste würde der kleine Engel
haben, der noch, ehe er gebohren wäre, beyden
Eltern eine Verbindlichkeit auflegen würde, wel-
che keiner von beyden abzutragen vermögend wä-
re! - - Könnte ich nur versichert seyn, daß es
sich in der That so verhielte: so würde ich mir
keine Sorge für ihre Genesung machen. Sor-
ge,
sage ich: denn, sollte sie sterben; - - Ster-
ben!
abscheuliches Wort! Wie sehr hasse ich es
- - so denke ich in Wahrheit, daß ich der elende-
ste Mensch auf der Welt seyn würde.

Was das ernstliche Verlangen betrifft, das
sie nach dem Tode bezeiget: so hat sie die Wor-
te vollkommen in dem ehrlichen Hiob zur Hand
gefunden; sonst würde sie sich nicht so nachdrück-
lich und heftig erkläret haben.

Jhre angebohrne Gottseligkeit, wie ich schon
mehr als einmal bemerket habe, wird ihr nicht zu-
lassen, ihr Leben durch Gewaltthätigkeit oder
Verabsäumung selbst zu verkürzen. Sie hat
ein viel zu edles Gemüth dazu: und würde es
schon eher gethan haben, wenn sie dergleichen im
Sinn hätte. Denn sie hat zu viel Verstand,
daß sie nur einmal gedenken sollte, es, wie die
römische Matrone, zu thun, da das Uebel vorbey
ist; da nichts dadurch zu erhalten stehet; und
da der Mann, wenn er auch in seiner Handlung,
wie einige denken mögen, ein Tarquin seyn sollte,

doch



jungen Lovelace zu haben. Alsdenn wird ſie um
deſſelben willen leben, bin ich verſichert, und ihr
Kind zu einem rechtmaͤßigen Erben machen.
Und was fuͤr Verdienſte wuͤrde der kleine Engel
haben, der noch, ehe er gebohren waͤre, beyden
Eltern eine Verbindlichkeit auflegen wuͤrde, wel-
che keiner von beyden abzutragen vermoͤgend waͤ-
re! ‒ ‒ Koͤnnte ich nur verſichert ſeyn, daß es
ſich in der That ſo verhielte: ſo wuͤrde ich mir
keine Sorge fuͤr ihre Geneſung machen. Sor-
ge,
ſage ich: denn, ſollte ſie ſterben; ‒ ‒ Ster-
ben!
abſcheuliches Wort! Wie ſehr haſſe ich es
‒ ‒ ſo denke ich in Wahrheit, daß ich der elende-
ſte Menſch auf der Welt ſeyn wuͤrde.

Was das ernſtliche Verlangen betrifft, das
ſie nach dem Tode bezeiget: ſo hat ſie die Wor-
te vollkommen in dem ehrlichen Hiob zur Hand
gefunden; ſonſt wuͤrde ſie ſich nicht ſo nachdruͤck-
lich und heftig erklaͤret haben.

Jhre angebohrne Gottſeligkeit, wie ich ſchon
mehr als einmal bemerket habe, wird ihr nicht zu-
laſſen, ihr Leben durch Gewaltthaͤtigkeit oder
Verabſaͤumung ſelbſt zu verkuͤrzen. Sie hat
ein viel zu edles Gemuͤth dazu: und wuͤrde es
ſchon eher gethan haben, wenn ſie dergleichen im
Sinn haͤtte. Denn ſie hat zu viel Verſtand,
daß ſie nur einmal gedenken ſollte, es, wie die
roͤmiſche Matrone, zu thun, da das Uebel vorbey
iſt; da nichts dadurch zu erhalten ſtehet; und
da der Mann, wenn er auch in ſeiner Handlung,
wie einige denken moͤgen, ein Tarquin ſeyn ſollte,

doch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0597" n="591"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
jungen Lovelace zu haben. Alsdenn wird &#x017F;ie um<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben willen leben, bin ich ver&#x017F;ichert, und ihr<lb/>
Kind zu einem rechtma&#x0364;ßigen Erben machen.<lb/>
Und was fu&#x0364;r Verdien&#x017F;te wu&#x0364;rde der kleine Engel<lb/>
haben, der noch, ehe er gebohren wa&#x0364;re, beyden<lb/>
Eltern eine Verbindlichkeit auflegen wu&#x0364;rde, wel-<lb/>
che keiner von beyden abzutragen vermo&#x0364;gend wa&#x0364;-<lb/>
re! &#x2012; &#x2012; Ko&#x0364;nnte ich nur ver&#x017F;ichert &#x017F;eyn, daß es<lb/>
&#x017F;ich in der That &#x017F;o verhielte: &#x017F;o wu&#x0364;rde ich mir<lb/>
keine Sorge fu&#x0364;r ihre Gene&#x017F;ung machen. <hi rendition="#fr">Sor-<lb/>
ge,</hi> &#x017F;age ich: denn, &#x017F;ollte &#x017F;ie <hi rendition="#fr">&#x017F;terben;</hi> &#x2012; &#x2012; <hi rendition="#fr">Ster-<lb/>
ben!</hi> ab&#x017F;cheuliches Wort! Wie &#x017F;ehr ha&#x017F;&#x017F;e ich es<lb/>
&#x2012; &#x2012; &#x017F;o denke ich in Wahrheit, daß ich der elende-<lb/>
&#x017F;te Men&#x017F;ch auf der Welt &#x017F;eyn wu&#x0364;rde.</p><lb/>
          <p>Was das ern&#x017F;tliche Verlangen betrifft, das<lb/>
&#x017F;ie nach dem Tode bezeiget: &#x017F;o hat &#x017F;ie die Wor-<lb/>
te vollkommen in dem ehrlichen Hiob zur Hand<lb/>
gefunden; &#x017F;on&#x017F;t wu&#x0364;rde &#x017F;ie &#x017F;ich nicht &#x017F;o nachdru&#x0364;ck-<lb/>
lich und heftig erkla&#x0364;ret haben.</p><lb/>
          <p>Jhre angebohrne Gott&#x017F;eligkeit, wie ich &#x017F;chon<lb/>
mehr als einmal bemerket habe, wird ihr nicht zu-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, ihr Leben durch Gewalttha&#x0364;tigkeit oder<lb/>
Verab&#x017F;a&#x0364;umung &#x017F;elb&#x017F;t zu verku&#x0364;rzen. Sie hat<lb/>
ein viel zu edles Gemu&#x0364;th dazu: und wu&#x0364;rde es<lb/>
&#x017F;chon eher gethan haben, wenn &#x017F;ie dergleichen im<lb/>
Sinn ha&#x0364;tte. Denn &#x017F;ie hat zu viel Ver&#x017F;tand,<lb/>
daß &#x017F;ie nur einmal gedenken &#x017F;ollte, es, wie die<lb/>
ro&#x0364;mi&#x017F;che Matrone, zu thun, da das Uebel vorbey<lb/>
i&#x017F;t; da nichts dadurch zu erhalten &#x017F;tehet; und<lb/>
da der Mann, wenn er auch in &#x017F;einer Handlung,<lb/>
wie einige denken mo&#x0364;gen, ein Tarquin &#x017F;eyn &#x017F;ollte,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">doch</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[591/0597] jungen Lovelace zu haben. Alsdenn wird ſie um deſſelben willen leben, bin ich verſichert, und ihr Kind zu einem rechtmaͤßigen Erben machen. Und was fuͤr Verdienſte wuͤrde der kleine Engel haben, der noch, ehe er gebohren waͤre, beyden Eltern eine Verbindlichkeit auflegen wuͤrde, wel- che keiner von beyden abzutragen vermoͤgend waͤ- re! ‒ ‒ Koͤnnte ich nur verſichert ſeyn, daß es ſich in der That ſo verhielte: ſo wuͤrde ich mir keine Sorge fuͤr ihre Geneſung machen. Sor- ge, ſage ich: denn, ſollte ſie ſterben; ‒ ‒ Ster- ben! abſcheuliches Wort! Wie ſehr haſſe ich es ‒ ‒ ſo denke ich in Wahrheit, daß ich der elende- ſte Menſch auf der Welt ſeyn wuͤrde. Was das ernſtliche Verlangen betrifft, das ſie nach dem Tode bezeiget: ſo hat ſie die Wor- te vollkommen in dem ehrlichen Hiob zur Hand gefunden; ſonſt wuͤrde ſie ſich nicht ſo nachdruͤck- lich und heftig erklaͤret haben. Jhre angebohrne Gottſeligkeit, wie ich ſchon mehr als einmal bemerket habe, wird ihr nicht zu- laſſen, ihr Leben durch Gewaltthaͤtigkeit oder Verabſaͤumung ſelbſt zu verkuͤrzen. Sie hat ein viel zu edles Gemuͤth dazu: und wuͤrde es ſchon eher gethan haben, wenn ſie dergleichen im Sinn haͤtte. Denn ſie hat zu viel Verſtand, daß ſie nur einmal gedenken ſollte, es, wie die roͤmiſche Matrone, zu thun, da das Uebel vorbey iſt; da nichts dadurch zu erhalten ſtehet; und da der Mann, wenn er auch in ſeiner Handlung, wie einige denken moͤgen, ein Tarquin ſeyn ſollte, doch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/597
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 591. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/597>, abgerufen am 26.11.2024.