seyn solltest, die ihre Regeln von dem, was recht und unrecht ist, nach demjenigen festsetzen, was sie sich selbst zu seyn befinden, und nicht än- dern können zu seyn. - - So ist Ungeschicklich- keit eine Vollkommenheit an dem Ungeschickten. Auf dem Fuß kann niemand jemals unrecht ha- ben. Allein ich bleibe dabey, daß ein ungeschick- ter Kerl alles ungeschicklich thun wird. Und ist er so, wie du: so wird er sein gedankenloses Ge- hirn auf die Folter spannen, Entschuldigungen heraus zu bringen, die eben so ungeschickt sind, als sein erster Fehler. Ehrfurchtsvolle Liebe flößet solche Handlungen ein, die ihr selbst an- ständig sind: und wer sie nicht an den Tag legen kann, wo er am meisten geneigt ist, sie an den Tag zu legen, der zeigt, daß er ein ungeschliffener rauher Kerl, ein vollkommener Belford, sey, und sie nicht besitze.
Aber hier wirst du den merkwürdigen und witzigen Einfall anbringen, daß die äußerliche Seite an mir die beste, und an dir die schlechte- ste sey, und daß, wenn ich anfange mein Ge- müth zu bessern, du dein äußerliches Ansehen bessern wollest.
Jch bitte dich, Bruder, warte darauf nicht: sondern fange nur immer an, dich in der Klei- dung zu bessern, wenn du deine Trauer ablegest. Denn warum solltest du einen jeden, der dich vor- her niemals gesehen hat, zu deinem Nachtheil wider dich zum voraus einnehmen? - - Es hält schwer zuerst gefaßte Vorurtheile, es sey ein
Wohl-
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ſeyn ſollteſt, die ihre Regeln von dem, was recht und unrecht iſt, nach demjenigen feſtſetzen, was ſie ſich ſelbſt zu ſeyn befinden, und nicht aͤn- dern koͤnnen zu ſeyn. ‒ ‒ So iſt Ungeſchicklich- keit eine Vollkommenheit an dem Ungeſchickten. Auf dem Fuß kann niemand jemals unrecht ha- ben. Allein ich bleibe dabey, daß ein ungeſchick- ter Kerl alles ungeſchicklich thun wird. Und iſt er ſo, wie du: ſo wird er ſein gedankenloſes Ge- hirn auf die Folter ſpannen, Entſchuldigungen heraus zu bringen, die eben ſo ungeſchickt ſind, als ſein erſter Fehler. Ehrfurchtsvolle Liebe floͤßet ſolche Handlungen ein, die ihr ſelbſt an- ſtaͤndig ſind: und wer ſie nicht an den Tag legen kann, wo er am meiſten geneigt iſt, ſie an den Tag zu legen, der zeigt, daß er ein ungeſchliffener rauher Kerl, ein vollkommener Belford, ſey, und ſie nicht beſitze.
Aber hier wirſt du den merkwuͤrdigen und witzigen Einfall anbringen, daß die aͤußerliche Seite an mir die beſte, und an dir die ſchlechte- ſte ſey, und daß, wenn ich anfange mein Ge- muͤth zu beſſern, du dein aͤußerliches Anſehen beſſern wolleſt.
Jch bitte dich, Bruder, warte darauf nicht: ſondern fange nur immer an, dich in der Klei- dung zu beſſern, wenn du deine Trauer ablegeſt. Denn warum ſollteſt du einen jeden, der dich vor- her niemals geſehen hat, zu deinem Nachtheil wider dich zum voraus einnehmen? ‒ ‒ Es haͤlt ſchwer zuerſt gefaßte Vorurtheile, es ſey ein
Wohl-
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ſeyn ſollteſt, die ihre Regeln von dem, was recht
und unrecht iſt, nach demjenigen feſtſetzen, was
ſie ſich ſelbſt zu ſeyn befinden, und nicht aͤn-
dern koͤnnen zu ſeyn. ‒ ‒ So iſt Ungeſchicklich-
keit eine Vollkommenheit an dem Ungeſchickten.
Auf dem Fuß kann niemand jemals unrecht ha-
ben. Allein ich bleibe dabey, daß ein ungeſchick-
ter Kerl alles ungeſchicklich thun wird. Und iſt
er ſo, wie du: ſo wird er ſein gedankenloſes Ge-
hirn auf die Folter ſpannen, Entſchuldigungen
heraus zu bringen, die eben ſo ungeſchickt ſind,
als ſein erſter Fehler. Ehrfurchtsvolle Liebe
floͤßet ſolche Handlungen ein, die ihr ſelbſt an-
ſtaͤndig ſind: und wer ſie nicht an den Tag legen
kann, wo er am meiſten geneigt iſt, ſie an den
Tag zu legen, der zeigt, daß er ein ungeſchliffener
rauher Kerl, ein vollkommener Belford, ſey,
und ſie nicht beſitze.
Aber hier wirſt du den merkwuͤrdigen und
witzigen Einfall anbringen, daß die aͤußerliche
Seite an mir die beſte, und an dir die ſchlechte-
ſte ſey, und daß, wenn ich anfange mein Ge-
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beſſern wolleſt.
Jch bitte dich, Bruder, warte darauf nicht:
ſondern fange nur immer an, dich in der Klei-
dung zu beſſern, wenn du deine Trauer ablegeſt.
Denn warum ſollteſt du einen jeden, der dich vor-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/587>, abgerufen am 22.11.2024.
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