an beyden Setten wird vorüber seyn. - - Dieß ist der natürliche Lauf der Dinge.
Jch kann dich nicht ertragen: wenn du alle Hoffnung zur Genesung der Fräulein aufgie- best (*); und das selbst wider des Arztes und Apothekers Meynung.
Die Zeit, sagst du mit Congrevens Worten, wird ihr Leiden größer und schwerer ma- chen. Aber warum das? Weißt du nicht, daß diese Worte, die der allgemeinen Erfahrung so sehr widersprechen, auf den Zustand einer Per- son, da die Leidenschaft in ihrer völligen Stärke war, gerichtet waren? - - - Zu solcher Zeit denkt ein jeder in einer schwermüthigen Traurig- keit eben das. Allein wie die Schwärmer es mit der Schrift machen: so machst du es mit den Dichtern, die du gelesen hast. Alles, was in diesen oder in jener nur eine entfernte Aehnlich- keit mit einem vorkommenden Fall hat, wird von euch beyden, als ein Evangelium, angenom- men: wenn es sich auch zu dem allgemeinen Zweck der Dichter oder der Schrift, und dem Falle, noch so wenig schicket. So hörte ich ein- mal, daß einer von den Schwärmern auf einer Kanzel sich sehr eifrig für einen todten Hund ausgab: da alle, Männer, Weiber und Kinder, durch sein Geheul von dem Gegentheil überzeugt waren.
Jch kann dir sagen, daß, wofern sonst nichts helfen will, ich entschlossen bin, Trotz deinem
Sau-
(*) Siehe den LXXII. Brief.
an beyden Setten wird voruͤber ſeyn. ‒ ‒ Dieß iſt der natuͤrliche Lauf der Dinge.
Jch kann dich nicht ertragen: wenn du alle Hoffnung zur Geneſung der Fraͤulein aufgie- beſt (*); und das ſelbſt wider des Arztes und Apothekers Meynung.
Die Zeit, ſagſt du mit Congrevens Worten, wird ihr Leiden groͤßer und ſchwerer ma- chen. Aber warum das? Weißt du nicht, daß dieſe Worte, die der allgemeinen Erfahrung ſo ſehr widerſprechen, auf den Zuſtand einer Per- ſon, da die Leidenſchaft in ihrer voͤlligen Staͤrke war, gerichtet waren? ‒ ‒ ‒ Zu ſolcher Zeit denkt ein jeder in einer ſchwermuͤthigen Traurig- keit eben das. Allein wie die Schwaͤrmer es mit der Schrift machen: ſo machſt du es mit den Dichtern, die du geleſen haſt. Alles, was in dieſen oder in jener nur eine entfernte Aehnlich- keit mit einem vorkommenden Fall hat, wird von euch beyden, als ein Evangelium, angenom- men: wenn es ſich auch zu dem allgemeinen Zweck der Dichter oder der Schrift, und dem Falle, noch ſo wenig ſchicket. So hoͤrte ich ein- mal, daß einer von den Schwaͤrmern auf einer Kanzel ſich ſehr eifrig fuͤr einen todten Hund ausgab: da alle, Maͤnner, Weiber und Kinder, durch ſein Geheul von dem Gegentheil uͤberzeugt waren.
Jch kann dir ſagen, daß, wofern ſonſt nichts helfen will, ich entſchloſſen bin, Trotz deinem
Sau-
(*) Siehe den LXXII. Brief.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0584"n="578"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
an beyden Setten wird voruͤber ſeyn. ‒‒ Dieß<lb/>
iſt der natuͤrliche Lauf der Dinge.</p><lb/><p>Jch kann dich nicht ertragen: wenn du alle<lb/>
Hoffnung zur Geneſung der Fraͤulein aufgie-<lb/>
beſt <noteplace="foot"n="(*)">Siehe den <hirendition="#aq">LXXII.</hi> Brief.</note>; und das ſelbſt wider des Arztes und<lb/>
Apothekers Meynung.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Die Zeit,</hi>ſagſt du mit Congrevens Worten,<lb/><hirendition="#fr">wird ihr Leiden groͤßer und ſchwerer ma-<lb/>
chen.</hi> Aber warum das? Weißt du nicht, daß<lb/>
dieſe Worte, die der allgemeinen Erfahrung ſo<lb/>ſehr widerſprechen, auf den Zuſtand einer Per-<lb/>ſon, da die Leidenſchaft in ihrer voͤlligen Staͤrke<lb/>
war, gerichtet waren? ‒‒‒ Zu ſolcher Zeit<lb/>
denkt ein jeder in einer ſchwermuͤthigen Traurig-<lb/>
keit eben das. Allein wie die Schwaͤrmer es mit<lb/>
der Schrift machen: ſo machſt du es mit den<lb/>
Dichtern, die du geleſen haſt. Alles, was in<lb/><hirendition="#fr">dieſen</hi> oder in <hirendition="#fr">jener</hi> nur eine entfernte Aehnlich-<lb/>
keit mit einem vorkommenden Fall hat, wird<lb/>
von euch beyden, als ein Evangelium, angenom-<lb/>
men: wenn es ſich auch zu dem allgemeinen<lb/>
Zweck der Dichter oder der Schrift, und <hirendition="#fr">dem<lb/>
Falle,</hi> noch ſo wenig ſchicket. So hoͤrte ich ein-<lb/>
mal, daß einer von den Schwaͤrmern auf einer<lb/>
Kanzel ſich ſehr eifrig fuͤr einen <hirendition="#fr">todten Hund</hi><lb/>
ausgab: da alle, Maͤnner, Weiber und Kinder,<lb/>
durch ſein Geheul von dem Gegentheil uͤberzeugt<lb/>
waren.</p><lb/><p>Jch kann dir ſagen, daß, wofern ſonſt nichts<lb/>
helfen will, ich entſchloſſen bin, Trotz deinem<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Sau-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[578/0584]
an beyden Setten wird voruͤber ſeyn. ‒ ‒ Dieß
iſt der natuͤrliche Lauf der Dinge.
Jch kann dich nicht ertragen: wenn du alle
Hoffnung zur Geneſung der Fraͤulein aufgie-
beſt (*); und das ſelbſt wider des Arztes und
Apothekers Meynung.
Die Zeit, ſagſt du mit Congrevens Worten,
wird ihr Leiden groͤßer und ſchwerer ma-
chen. Aber warum das? Weißt du nicht, daß
dieſe Worte, die der allgemeinen Erfahrung ſo
ſehr widerſprechen, auf den Zuſtand einer Per-
ſon, da die Leidenſchaft in ihrer voͤlligen Staͤrke
war, gerichtet waren? ‒ ‒ ‒ Zu ſolcher Zeit
denkt ein jeder in einer ſchwermuͤthigen Traurig-
keit eben das. Allein wie die Schwaͤrmer es mit
der Schrift machen: ſo machſt du es mit den
Dichtern, die du geleſen haſt. Alles, was in
dieſen oder in jener nur eine entfernte Aehnlich-
keit mit einem vorkommenden Fall hat, wird
von euch beyden, als ein Evangelium, angenom-
men: wenn es ſich auch zu dem allgemeinen
Zweck der Dichter oder der Schrift, und dem
Falle, noch ſo wenig ſchicket. So hoͤrte ich ein-
mal, daß einer von den Schwaͤrmern auf einer
Kanzel ſich ſehr eifrig fuͤr einen todten Hund
ausgab: da alle, Maͤnner, Weiber und Kinder,
durch ſein Geheul von dem Gegentheil uͤberzeugt
waren.
Jch kann dir ſagen, daß, wofern ſonſt nichts
helfen will, ich entſchloſſen bin, Trotz deinem
Sau-
(*) Siehe den LXXII. Brief.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 578. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/584>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.