Nach diesem schwatzte er bisweilen sehr ernsthaft mit Hrn. Hickmann. Bisweilen, sa- ge ich: denn es ward mit vielen plötzlichen An- wandlungen eines lustigen Bezeigens unterbro- chen. Bald wandte er sich zu dieser, bald zu je- ner Fräulein, bald wieder zu Herrn Hickmann: indem er nach Belieben eine ernsthafte oder freu- dige Miene annahm. Auf die Art zog er aller und sonderlich der Frauenzimmer Augen an sich. Diese waren voll von Verwunderung über ihn: jedoch mit den Zusätzen von ihrem Wenn nur, und Aber, und Was ist es Schade, und andern solchem Zeuge, welche, selbst bey ihrem Tadel, zu viel Wohlgefallen anzeigten.
Unser Geschlecht mag wohl billig solchen lie- derlichen Leuten ein Spott und Gelächter seyn! Was für unbesonnene Creaturen, die sich bloß durch das Auge regieren lassen! - - Würde uns nicht eine kleine Ueberlegung lehren, daß ein Mann, der wahre Vorzüge hat, ein sittsamer Mann seyn müsse, weil er blöde seyn muß? Und daß ein so nichtswürdiger Kerl, als dieser, seine Stuffen in der Bosheit erreichet, und einen gan- zen Lauf in Schandthaten vollendet haben müsse, ehe er zu dieser unbegreiflichen Unverschämtheit gelangen konnte? Einer Unverschämtheit, die bloß von der schlechten Meynung, welche er von uns, und den hohen Gedanken, welche er von sich selbst heget, herrühren kann.
Allein Personen von unserm Geschlechte sind überhaupt sittsam und verschämt an sich selbst,
und
Nach dieſem ſchwatzte er bisweilen ſehr ernſthaft mit Hrn. Hickmann. Bisweilen, ſa- ge ich: denn es ward mit vielen ploͤtzlichen An- wandlungen eines luſtigen Bezeigens unterbro- chen. Bald wandte er ſich zu dieſer, bald zu je- ner Fraͤulein, bald wieder zu Herrn Hickmann: indem er nach Belieben eine ernſthafte oder freu- dige Miene annahm. Auf die Art zog er aller und ſonderlich der Frauenzimmer Augen an ſich. Dieſe waren voll von Verwunderung uͤber ihn: jedoch mit den Zuſaͤtzen von ihrem Wenn nur, und Aber, und Was iſt es Schade, und andern ſolchem Zeuge, welche, ſelbſt bey ihrem Tadel, zu viel Wohlgefallen anzeigten.
Unſer Geſchlecht mag wohl billig ſolchen lie- derlichen Leuten ein Spott und Gelaͤchter ſeyn! Was fuͤr unbeſonnene Creaturen, die ſich bloß durch das Auge regieren laſſen! ‒ ‒ Wuͤrde uns nicht eine kleine Ueberlegung lehren, daß ein Mann, der wahre Vorzuͤge hat, ein ſittſamer Mann ſeyn muͤſſe, weil er bloͤde ſeyn muß? Und daß ein ſo nichtswuͤrdiger Kerl, als dieſer, ſeine Stuffen in der Bosheit erreichet, und einen gan- zen Lauf in Schandthaten vollendet haben muͤſſe, ehe er zu dieſer unbegreiflichen Unverſchaͤmtheit gelangen konnte? Einer Unverſchaͤmtheit, die bloß von der ſchlechten Meynung, welche er von uns, und den hohen Gedanken, welche er von ſich ſelbſt heget, herruͤhren kann.
Allein Perſonen von unſerm Geſchlechte ſind uͤberhaupt ſittſam und verſchaͤmt an ſich ſelbſt,
und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0561"n="555"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Nach dieſem ſchwatzte er <hirendition="#fr">bisweilen</hi>ſehr<lb/>
ernſthaft mit Hrn. Hickmann. <hirendition="#fr">Bisweilen,</hi>ſa-<lb/>
ge ich: denn es ward mit vielen ploͤtzlichen An-<lb/>
wandlungen eines luſtigen Bezeigens unterbro-<lb/>
chen. Bald wandte er ſich zu dieſer, bald zu je-<lb/>
ner Fraͤulein, bald wieder zu Herrn Hickmann:<lb/>
indem er nach Belieben eine ernſthafte oder freu-<lb/>
dige Miene annahm. Auf die Art zog er aller<lb/>
und ſonderlich der Frauenzimmer Augen an ſich.<lb/>
Dieſe waren voll von Verwunderung uͤber ihn:<lb/>
jedoch mit den Zuſaͤtzen von ihrem <hirendition="#fr">Wenn nur,</hi><lb/>
und <hirendition="#fr">Aber,</hi> und <hirendition="#fr">Was iſt es Schade,</hi> und andern<lb/>ſolchem Zeuge, welche, ſelbſt bey ihrem Tadel, zu<lb/>
viel Wohlgefallen anzeigten.</p><lb/><p>Unſer Geſchlecht mag wohl billig ſolchen lie-<lb/>
derlichen Leuten ein Spott und Gelaͤchter ſeyn!<lb/>
Was fuͤr unbeſonnene Creaturen, die ſich bloß<lb/>
durch das Auge regieren laſſen! ‒‒ Wuͤrde<lb/>
uns nicht eine kleine Ueberlegung lehren, daß ein<lb/>
Mann, der wahre Vorzuͤge hat, ein ſittſamer<lb/>
Mann ſeyn muͤſſe, weil er bloͤde ſeyn muß? Und<lb/>
daß ein ſo nichtswuͤrdiger Kerl, als dieſer, ſeine<lb/>
Stuffen in der Bosheit erreichet, und einen gan-<lb/>
zen Lauf in Schandthaten vollendet haben muͤſſe,<lb/>
ehe er zu dieſer unbegreiflichen Unverſchaͤmtheit<lb/>
gelangen konnte? Einer Unverſchaͤmtheit, die<lb/>
bloß von der ſchlechten Meynung, welche er von<lb/>
uns, und den hohen Gedanken, welche er von<lb/>ſich ſelbſt heget, herruͤhren kann.</p><lb/><p>Allein Perſonen von unſerm Geſchlechte ſind<lb/>
uͤberhaupt ſittſam und verſchaͤmt an ſich ſelbſt,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">und</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[555/0561]
Nach dieſem ſchwatzte er bisweilen ſehr
ernſthaft mit Hrn. Hickmann. Bisweilen, ſa-
ge ich: denn es ward mit vielen ploͤtzlichen An-
wandlungen eines luſtigen Bezeigens unterbro-
chen. Bald wandte er ſich zu dieſer, bald zu je-
ner Fraͤulein, bald wieder zu Herrn Hickmann:
indem er nach Belieben eine ernſthafte oder freu-
dige Miene annahm. Auf die Art zog er aller
und ſonderlich der Frauenzimmer Augen an ſich.
Dieſe waren voll von Verwunderung uͤber ihn:
jedoch mit den Zuſaͤtzen von ihrem Wenn nur,
und Aber, und Was iſt es Schade, und andern
ſolchem Zeuge, welche, ſelbſt bey ihrem Tadel, zu
viel Wohlgefallen anzeigten.
Unſer Geſchlecht mag wohl billig ſolchen lie-
derlichen Leuten ein Spott und Gelaͤchter ſeyn!
Was fuͤr unbeſonnene Creaturen, die ſich bloß
durch das Auge regieren laſſen! ‒ ‒ Wuͤrde
uns nicht eine kleine Ueberlegung lehren, daß ein
Mann, der wahre Vorzuͤge hat, ein ſittſamer
Mann ſeyn muͤſſe, weil er bloͤde ſeyn muß? Und
daß ein ſo nichtswuͤrdiger Kerl, als dieſer, ſeine
Stuffen in der Bosheit erreichet, und einen gan-
zen Lauf in Schandthaten vollendet haben muͤſſe,
ehe er zu dieſer unbegreiflichen Unverſchaͤmtheit
gelangen konnte? Einer Unverſchaͤmtheit, die
bloß von der ſchlechten Meynung, welche er von
uns, und den hohen Gedanken, welche er von
ſich ſelbſt heget, herruͤhren kann.
Allein Perſonen von unſerm Geſchlechte ſind
uͤberhaupt ſittſam und verſchaͤmt an ſich ſelbſt,
und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/561>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.