Sie antwortete mit bitterem Verdruß: Sie be- gegnen mir, mein Herr, wie den Uebrigen in der Welt - - Allein - -
Jch bitte um Verzeihung, gnädige Frau, fiel er ein: ich hätte meine Frage sparen mögen - - Und alsobald, indem ich mich in die andere Ecke des Zimmers begab, ging er zu der Fräu- lein Playford. Was wollte ich darum geben, Fräulein, daß ich sie die Arie singen hörte, wel- che sie bey dem Lord M. die Güte gehabt haben uns vorzusingen?
So gerieth er mit ihr und der Fräulein d'Ollyffe in eine Unterredung über die Musik, als wenn nichts vorgefallen wäre, und sang der Fräu- lein Playford leise vor, indem er sie bey beyden Händen gefaßt hatte; mit solchem freyen und unbekümmerten Wesen, daß es mich nicht wenig verdroß, herum, und zuzusehen, wie vergnügt die Hälfte von den unbesonnenen Thörinnen unsers Geschlechts mit ihm war, da doch seine gottlose Gemüthsart so beschrieen ist - - Daher kom- men die meisten Schandthaten solcher ehrlosen Buben. Würden sie hingegen finden, daß man sie meidete, verachtete und als räuberische Thie- re, wie sie sind, hielte: so würden sie zu ihren Hölen laufen und da für sich heulen. Alsdenn würde niemand, außer denen, die ein betrübter Zufall, oder eine Vermessenheit, die kein Mitlei- den verdienet, ihnen in die Hände spielte, durch sie leiden.
Nach
Sie antwortete mit bitterem Verdruß: Sie be- gegnen mir, mein Herr, wie den Uebrigen in der Welt ‒ ‒ Allein ‒ ‒
Jch bitte um Verzeihung, gnaͤdige Frau, fiel er ein: ich haͤtte meine Frage ſparen moͤgen ‒ ‒ Und alſobald, indem ich mich in die andere Ecke des Zimmers begab, ging er zu der Fraͤu- lein Playford. Was wollte ich darum geben, Fraͤulein, daß ich ſie die Arie ſingen hoͤrte, wel- che ſie bey dem Lord M. die Guͤte gehabt haben uns vorzuſingen?
So gerieth er mit ihr und der Fraͤulein d’Ollyffe in eine Unterredung uͤber die Muſik, als wenn nichts vorgefallen waͤre, und ſang der Fraͤu- lein Playford leiſe vor, indem er ſie bey beyden Haͤnden gefaßt hatte; mit ſolchem freyen und unbekuͤmmerten Weſen, daß es mich nicht wenig verdroß, herum, und zuzuſehen, wie vergnuͤgt die Haͤlfte von den unbeſonnenen Thoͤrinnen unſers Geſchlechts mit ihm war, da doch ſeine gottloſe Gemuͤthsart ſo beſchrieen iſt ‒ ‒ Daher kom- men die meiſten Schandthaten ſolcher ehrloſen Buben. Wuͤrden ſie hingegen finden, daß man ſie meidete, verachtete und als raͤuberiſche Thie- re, wie ſie ſind, hielte: ſo wuͤrden ſie zu ihren Hoͤlen laufen und da fuͤr ſich heulen. Alsdenn wuͤrde niemand, außer denen, die ein betruͤbter Zufall, oder eine Vermeſſenheit, die kein Mitlei- den verdienet, ihnen in die Haͤnde ſpielte, durch ſie leiden.
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Sie antwortete mit bitterem Verdruß: Sie be-
gegnen mir, mein Herr, wie den Uebrigen in der
Welt ‒ ‒ Allein ‒ ‒
Jch bitte um Verzeihung, gnaͤdige Frau,
fiel er ein: ich haͤtte meine Frage ſparen moͤgen
‒ ‒ Und alſobald, indem ich mich in die andere
Ecke des Zimmers begab, ging er zu der Fraͤu-
lein Playford. Was wollte ich darum geben,
Fraͤulein, daß ich ſie die Arie ſingen hoͤrte, wel-
che ſie bey dem Lord M. die Guͤte gehabt haben
uns vorzuſingen?
So gerieth er mit ihr und der Fraͤulein
d’Ollyffe in eine Unterredung uͤber die Muſik, als
wenn nichts vorgefallen waͤre, und ſang der Fraͤu-
lein Playford leiſe vor, indem er ſie bey beyden
Haͤnden gefaßt hatte; mit ſolchem freyen und
unbekuͤmmerten Weſen, daß es mich nicht wenig
verdroß, herum, und zuzuſehen, wie vergnuͤgt die
Haͤlfte von den unbeſonnenen Thoͤrinnen unſers
Geſchlechts mit ihm war, da doch ſeine gottloſe
Gemuͤthsart ſo beſchrieen iſt ‒ ‒ Daher kom-
men die meiſten Schandthaten ſolcher ehrloſen
Buben. Wuͤrden ſie hingegen finden, daß man
ſie meidete, verachtete und als raͤuberiſche Thie-
re, wie ſie ſind, hielte: ſo wuͤrden ſie zu ihren
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den verdienet, ihnen in die Haͤnde ſpielte, durch
ſie leiden.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/560>, abgerufen am 22.11.2024.
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