tague bisweilen. Er hatte in der That mit sei- nem scheinbaren Anstande einem jeden etwas zu sagen: und dieß stillte allzubald das Misvergnü- gen, welches jedermann bey seiner Ankunft em- psand.
Jch saß noch immer auf meinem Stuhl: und er sahe mich entweder nicht, oder wollte mich noch nicht sehen. Er redete meine Mutter an und faßte sie, mit einer höchst zuversichtlichen Mine, wider ihren Willen bey der Hand. Jch freue mich, gnädige Frau, sie hier zu sehen: ich hoffe, die Fräulein Howe befindet sich wohl. Jch habe Ursache, mich sehr über sie zu beklagen: aber mache mir Hoffnung, daß ich die höchste Verbindlichkeit, die einem Menschen aufgelegt werden kann, gegen sie haben werde.
Meine Tochter ist gewohnt, mein Herr, zu feurig und zu eifrig in ihren Freundschaften zu seyn, daß meine oder ihre eigne Ruhe ungestört bleiben sollte.
Es war freylich erst vor kurzem ein Misver- gnügen zwischen meiner Mutter und mir vorge- fallen: allein mich deucht dennoch, daß sie dieß gegen ihn hätte sparen können; ob es gleich nie- mand hörte, wie ich glaube, außer der Person, zu welcher es gesagt wurde, und der Fräulein, die es mir erzählte; denn meine Mutter sagte es leise.
Wir leben nicht für uns allein, gnädige Frau, sprach der schändliche Heuchler. Nicht ein jeder hat eine Seele, die zur Freundschaft
auf-
tague bisweilen. Er hatte in der That mit ſei- nem ſcheinbaren Anſtande einem jeden etwas zu ſagen: und dieß ſtillte allzubald das Misvergnuͤ- gen, welches jedermann bey ſeiner Ankunft em- pſand.
Jch ſaß noch immer auf meinem Stuhl: und er ſahe mich entweder nicht, oder wollte mich noch nicht ſehen. Er redete meine Mutter an und faßte ſie, mit einer hoͤchſt zuverſichtlichen Mine, wider ihren Willen bey der Hand. Jch freue mich, gnaͤdige Frau, ſie hier zu ſehen: ich hoffe, die Fraͤulein Howe befindet ſich wohl. Jch habe Urſache, mich ſehr uͤber ſie zu beklagen: aber mache mir Hoffnung, daß ich die hoͤchſte Verbindlichkeit, die einem Menſchen aufgelegt werden kann, gegen ſie haben werde.
Meine Tochter iſt gewohnt, mein Herr, zu feurig und zu eifrig in ihren Freundſchaften zu ſeyn, daß meine oder ihre eigne Ruhe ungeſtoͤrt bleiben ſollte.
Es war freylich erſt vor kurzem ein Misver- gnuͤgen zwiſchen meiner Mutter und mir vorge- fallen: allein mich deucht dennoch, daß ſie dieß gegen ihn haͤtte ſparen koͤnnen; ob es gleich nie- mand hoͤrte, wie ich glaube, außer der Perſon, zu welcher es geſagt wurde, und der Fraͤulein, die es mir erzaͤhlte; denn meine Mutter ſagte es leiſe.
Wir leben nicht fuͤr uns allein, gnaͤdige Frau, ſprach der ſchaͤndliche Heuchler. Nicht ein jeder hat eine Seele, die zur Freundſchaft
auf-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0552"n="546"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
tague bisweilen. Er hatte in der That mit ſei-<lb/>
nem ſcheinbaren Anſtande einem jeden etwas zu<lb/>ſagen: und dieß ſtillte allzubald das Misvergnuͤ-<lb/>
gen, welches jedermann bey ſeiner Ankunft em-<lb/>
pſand.</p><lb/><p>Jch ſaß noch immer auf meinem Stuhl:<lb/>
und er ſahe mich entweder nicht, oder wollte mich<lb/>
noch nicht ſehen. Er redete meine Mutter an<lb/>
und faßte ſie, mit einer hoͤchſt zuverſichtlichen<lb/>
Mine, wider ihren Willen bey der Hand. Jch<lb/>
freue mich, gnaͤdige Frau, ſie hier zu ſehen: ich<lb/>
hoffe, die Fraͤulein Howe befindet ſich wohl. Jch<lb/>
habe Urſache, mich ſehr uͤber ſie zu beklagen:<lb/>
aber mache mir Hoffnung, daß ich die hoͤchſte<lb/>
Verbindlichkeit, die einem Menſchen aufgelegt<lb/>
werden kann, gegen ſie haben werde.</p><lb/><p>Meine Tochter iſt gewohnt, mein Herr, zu<lb/>
feurig und zu eifrig in ihren Freundſchaften zu<lb/>ſeyn, daß meine oder ihre eigne Ruhe ungeſtoͤrt<lb/>
bleiben ſollte.</p><lb/><p>Es war freylich erſt vor kurzem ein Misver-<lb/>
gnuͤgen zwiſchen meiner Mutter und mir vorge-<lb/>
fallen: allein mich deucht dennoch, daß ſie dieß<lb/>
gegen <hirendition="#fr">ihn</hi> haͤtte ſparen koͤnnen; ob es gleich nie-<lb/>
mand hoͤrte, wie ich glaube, außer der Perſon, zu<lb/>
welcher es geſagt wurde, und der Fraͤulein, die<lb/>
es mir erzaͤhlte; denn meine Mutter ſagte es<lb/>
leiſe.</p><lb/><p>Wir leben nicht fuͤr uns allein, gnaͤdige<lb/>
Frau, ſprach der ſchaͤndliche Heuchler. Nicht<lb/>
ein jeder hat eine Seele, die zur Freundſchaft<lb/><fwplace="bottom"type="catch">auf-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[546/0552]
tague bisweilen. Er hatte in der That mit ſei-
nem ſcheinbaren Anſtande einem jeden etwas zu
ſagen: und dieß ſtillte allzubald das Misvergnuͤ-
gen, welches jedermann bey ſeiner Ankunft em-
pſand.
Jch ſaß noch immer auf meinem Stuhl:
und er ſahe mich entweder nicht, oder wollte mich
noch nicht ſehen. Er redete meine Mutter an
und faßte ſie, mit einer hoͤchſt zuverſichtlichen
Mine, wider ihren Willen bey der Hand. Jch
freue mich, gnaͤdige Frau, ſie hier zu ſehen: ich
hoffe, die Fraͤulein Howe befindet ſich wohl. Jch
habe Urſache, mich ſehr uͤber ſie zu beklagen:
aber mache mir Hoffnung, daß ich die hoͤchſte
Verbindlichkeit, die einem Menſchen aufgelegt
werden kann, gegen ſie haben werde.
Meine Tochter iſt gewohnt, mein Herr, zu
feurig und zu eifrig in ihren Freundſchaften zu
ſeyn, daß meine oder ihre eigne Ruhe ungeſtoͤrt
bleiben ſollte.
Es war freylich erſt vor kurzem ein Misver-
gnuͤgen zwiſchen meiner Mutter und mir vorge-
fallen: allein mich deucht dennoch, daß ſie dieß
gegen ihn haͤtte ſparen koͤnnen; ob es gleich nie-
mand hoͤrte, wie ich glaube, außer der Perſon, zu
welcher es geſagt wurde, und der Fraͤulein, die
es mir erzaͤhlte; denn meine Mutter ſagte es
leiſe.
Wir leben nicht fuͤr uns allein, gnaͤdige
Frau, ſprach der ſchaͤndliche Heuchler. Nicht
ein jeder hat eine Seele, die zur Freundſchaft
auf-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 546. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/552>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.