Welt sind, als wir liederlichen Brüder und Lieb- haber der so genannten freyen Lebensart. Jch will dir sagen, wie es zugehet.
Unsere frühzeitige Liebe zur Schelmerey macht, daß wir überhaupt der Unterweisung ent- laufen: und so werden wir bloße Halbgelehrte in denen Wissenschaften, wozu man uns anführet. Weil wir nicht mehr wissen wollen: so bilden wir uns ein, es sey nichts mehr zu wissen.
Mit unsäglicher Eitelkeit, ungezäumten Ein- bildungen und gar keiner Beurtheilung fangen wir zunächst an, halbe Witzlinge vorzustellen. Alsdenn meynen wir, daß wir das ganze Feld der Gelehrsamkeit und Erkenntniß in unserer Verwahrung haben, und verachten einen jeden, der sich mehr Mühe giebt, und ernsthafter ist, als wir. - - Alle solche Leute sind bey uns schläf- rige einfältige Tröpfe, die an den rührungsvolle- sten Vergnügungen des Lebens keinen Geschmack haben.
Dieß macht uns bey bescheidenen und wohl- verdienten Leuten unleidlich, und nöthigt uns, mit denen, die unsers Gelichters sind, einen Haufen auszumachen. Auf die Art haben wir keine Gelegenheit, jemand zu sehen, oder mit jemand umzugehen, der uns zeigen könnte, oder wollte, was wir sind. Also machen wir selbst den Schluß, daß wir die geschicktesten Kerls und al- lein die klugen Köpfe in der Welt sind; sehen mit stolzen Augen auf alle andere nieder, welche sich selbst die Freyheiten nicht erlauben, die wir
uns
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Welt ſind, als wir liederlichen Bruͤder und Lieb- haber der ſo genannten freyen Lebensart. Jch will dir ſagen, wie es zugehet.
Unſere fruͤhzeitige Liebe zur Schelmerey macht, daß wir uͤberhaupt der Unterweiſung ent- laufen: und ſo werden wir bloße Halbgelehrte in denen Wiſſenſchaften, wozu man uns anfuͤhret. Weil wir nicht mehr wiſſen wollen: ſo bilden wir uns ein, es ſey nichts mehr zu wiſſen.
Mit unſaͤglicher Eitelkeit, ungezaͤumten Ein- bildungen und gar keiner Beurtheilung fangen wir zunaͤchſt an, halbe Witzlinge vorzuſtellen. Alsdenn meynen wir, daß wir das ganze Feld der Gelehrſamkeit und Erkenntniß in unſerer Verwahrung haben, und verachten einen jeden, der ſich mehr Muͤhe giebt, und ernſthafter iſt, als wir. ‒ ‒ Alle ſolche Leute ſind bey uns ſchlaͤf- rige einfaͤltige Troͤpfe, die an den ruͤhrungsvolle- ſten Vergnuͤgungen des Lebens keinen Geſchmack haben.
Dieß macht uns bey beſcheidenen und wohl- verdienten Leuten unleidlich, und noͤthigt uns, mit denen, die unſers Gelichters ſind, einen Haufen auszumachen. Auf die Art haben wir keine Gelegenheit, jemand zu ſehen, oder mit jemand umzugehen, der uns zeigen koͤnnte, oder wollte, was wir ſind. Alſo machen wir ſelbſt den Schluß, daß wir die geſchickteſten Kerls und al- lein die klugen Koͤpfe in der Welt ſind; ſehen mit ſtolzen Augen auf alle andere nieder, welche ſich ſelbſt die Freyheiten nicht erlauben, die wir
uns
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Welt ſind, als wir liederlichen Bruͤder und Lieb-
haber der ſo genannten freyen Lebensart. Jch
will dir ſagen, wie es zugehet.
Unſere fruͤhzeitige Liebe zur Schelmerey
macht, daß wir uͤberhaupt der Unterweiſung ent-
laufen: und ſo werden wir bloße Halbgelehrte in
denen Wiſſenſchaften, wozu man uns anfuͤhret.
Weil wir nicht mehr wiſſen wollen: ſo bilden
wir uns ein, es ſey nichts mehr zu wiſſen.
Mit unſaͤglicher Eitelkeit, ungezaͤumten Ein-
bildungen und gar keiner Beurtheilung fangen
wir zunaͤchſt an, halbe Witzlinge vorzuſtellen.
Alsdenn meynen wir, daß wir das ganze Feld
der Gelehrſamkeit und Erkenntniß in unſerer
Verwahrung haben, und verachten einen jeden,
der ſich mehr Muͤhe giebt, und ernſthafter iſt,
als wir. ‒ ‒ Alle ſolche Leute ſind bey uns ſchlaͤf-
rige einfaͤltige Troͤpfe, die an den ruͤhrungsvolle-
ſten Vergnuͤgungen des Lebens keinen Geſchmack
haben.
Dieß macht uns bey beſcheidenen und wohl-
verdienten Leuten unleidlich, und noͤthigt uns, mit
denen, die unſers Gelichters ſind, einen Haufen
auszumachen. Auf die Art haben wir keine
Gelegenheit, jemand zu ſehen, oder mit jemand
umzugehen, der uns zeigen koͤnnte, oder wollte,
was wir ſind. Alſo machen wir ſelbſt den
Schluß, daß wir die geſchickteſten Kerls und al-
lein die klugen Koͤpfe in der Welt ſind; ſehen
mit ſtolzen Augen auf alle andere nieder, welche
ſich ſelbſt die Freyheiten nicht erlauben, die wir
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 535. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/541>, abgerufen am 22.11.2024.
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