Herr Goddard, ihr Apotheker, kam herein, ehe das Frühstücken vorbey war. Auf ihr Ver- langen setzte er sich bey uns nieder. Herr Hick- mann fragte ihn, ob er ihm einigen Trost wegen der Genesung der Fräulein Harlowe geben könn- te, den er einer Fräulein, welcher sie so lieb, als ihr eignes Leben, wäre, mitbringen möchte.
Die Fräulein, antwortete er, wird sich sehr wohl befinden, wenn sie sich nur selbst dazu ent- schließen will. Jn Wahrheit, gnädige Fräu- lein, sie werden sich alsdenn bald besser befinden. Der Doctor ist gänzlich dieser Meynung, und hat nichts für sie verordnet, als weiche Gallerte, und unschädliche Herzstärkungen, damit sie nur nicht Hungers sterben. Erlauben sie mir zu sagen, daß so vieles Wachen, so wenig Nahrung, und so viele Betrübniß, als sie bey sich Platz finden zu lassen scheinen, hinlänglich sey, die beste Ge- sundheit zu schwächen und die stärkste Natur auszuzehren.
Was kann ich thun, mein Herr? sagte sie hierauf. Jch habe keine Neigung zum Essen. Nichts von dem, was sie Nahrung nennen, will mein Magen ertragen. Jch thue, was ich kann: und habe an dem Dr. H. und an ihnen so güti- ge Führer, daß ich nicht zu entschuldigen seyn würde, wenn ich es nicht thäte.
Jch will ihnen eine Fürschrift geben, gnädi- ge Fräulein, welche von dem Doctor gewiß ge- billigt werden, und alle Arzney in diesem Falle unnöthig machen wird. "Gehen sie Abends
"um
Herr Goddard, ihr Apotheker, kam herein, ehe das Fruͤhſtuͤcken vorbey war. Auf ihr Ver- langen ſetzte er ſich bey uns nieder. Herr Hick- mann fragte ihn, ob er ihm einigen Troſt wegen der Geneſung der Fraͤulein Harlowe geben koͤnn- te, den er einer Fraͤulein, welcher ſie ſo lieb, als ihr eignes Leben, waͤre, mitbringen moͤchte.
Die Fraͤulein, antwortete er, wird ſich ſehr wohl befinden, wenn ſie ſich nur ſelbſt dazu ent- ſchließen will. Jn Wahrheit, gnaͤdige Fraͤu- lein, ſie werden ſich alsdenn bald beſſer befinden. Der Doctor iſt gaͤnzlich dieſer Meynung, und hat nichts fuͤr ſie verordnet, als weiche Gallerte, und unſchaͤdliche Herzſtaͤrkungen, damit ſie nur nicht Hungers ſterben. Erlauben ſie mir zu ſagen, daß ſo vieles Wachen, ſo wenig Nahrung, und ſo viele Betruͤbniß, als ſie bey ſich Platz finden zu laſſen ſcheinen, hinlaͤnglich ſey, die beſte Ge- ſundheit zu ſchwaͤchen und die ſtaͤrkſte Natur auszuzehren.
Was kann ich thun, mein Herr? ſagte ſie hierauf. Jch habe keine Neigung zum Eſſen. Nichts von dem, was ſie Nahrung nennen, will mein Magen ertragen. Jch thue, was ich kann: und habe an dem Dr. H. und an ihnen ſo guͤti- ge Fuͤhrer, daß ich nicht zu entſchuldigen ſeyn wuͤrde, wenn ich es nicht thaͤte.
Jch will ihnen eine Fuͤrſchrift geben, gnaͤdi- ge Fraͤulein, welche von dem Doctor gewiß ge- billigt werden, und alle Arzney in dieſem Falle unnoͤthig machen wird. „Gehen ſie Abends
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Herr Goddard, ihr Apotheker, kam herein,
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mann fragte ihn, ob er ihm einigen Troſt wegen
der Geneſung der Fraͤulein Harlowe geben koͤnn-
te, den er einer Fraͤulein, welcher ſie ſo lieb, als
ihr eignes Leben, waͤre, mitbringen moͤchte.
Die Fraͤulein, antwortete er, wird ſich ſehr
wohl befinden, wenn ſie ſich nur ſelbſt dazu ent-
ſchließen will. Jn Wahrheit, gnaͤdige Fraͤu-
lein, ſie werden ſich alsdenn bald beſſer befinden.
Der Doctor iſt gaͤnzlich dieſer Meynung, und hat
nichts fuͤr ſie verordnet, als weiche Gallerte, und
unſchaͤdliche Herzſtaͤrkungen, damit ſie nur nicht
Hungers ſterben. Erlauben ſie mir zu ſagen,
daß ſo vieles Wachen, ſo wenig Nahrung, und
ſo viele Betruͤbniß, als ſie bey ſich Platz finden
zu laſſen ſcheinen, hinlaͤnglich ſey, die beſte Ge-
ſundheit zu ſchwaͤchen und die ſtaͤrkſte Natur
auszuzehren.
Was kann ich thun, mein Herr? ſagte ſie
hierauf. Jch habe keine Neigung zum Eſſen.
Nichts von dem, was ſie Nahrung nennen, will
mein Magen ertragen. Jch thue, was ich kann:
und habe an dem Dr. H. und an ihnen ſo guͤti-
ge Fuͤhrer, daß ich nicht zu entſchuldigen ſeyn
wuͤrde, wenn ich es nicht thaͤte.
Jch will ihnen eine Fuͤrſchrift geben, gnaͤdi-
ge Fraͤulein, welche von dem Doctor gewiß ge-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 530. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/536>, abgerufen am 25.11.2024.
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