bey ihrer Krankheit, und des armen Beltons bey seiner, daß in meinen Augen offenbar der Sünder der wirkliche Feige, und der Heilige der wahre Held ist; und früher oder später werden wir es alle so befinden, wofern wir nicht plötzlich hingerissen werden.
Die Fräulein schloß sich gestern Nachmit- tags um sechse ein und will bis heute Nachmit- tag, um sieben oder acht, keine Gesellschaft ha- ben, auch nicht einmal von ihrer Wärterinn: in- dem sie sich ein strenges Fasten aufgeleget hat. Warum aber das? Es ist heute ihr Geburtstag! - - Jn der Blüte: jedoch in einer hinfälligen Blüte ihres Lebens! - - Ein jeder Geburtstag, bis auf diesen, ist, sonder Zweifel, unter ihre glückliche Tage zu zählen gewesen! - - Was muß sie für Betrachtungen anstellen! - - Was solltest du billig überlegen!
Was für Spott treibst du mit meinen erha- benen Wünschen und meinen fußfälligen Vereh- rungen, wie du es nennest! Wie lustig machst du dich darüber, daß ich meinen Bankzettel hin- ter ihren Stuhl geworfen habe. Jch hatte da- mals zu viel ehrerbietige Furcht vor ihr, und be- sorgte zu sehr, mein Erbieten würde ihr misfällig seyn, daß ich es mit dem Anstande, der meiner Absicht gemäßer gewesen wäre, hätte thun kön- nen. War aber ja die Handlung ungeschickt: so war sie doch bescheiden. Deswegen ist sie, in der That, bey dir desto bequemer, lächerlich ge- macht zu werden: da du das Schöne und Zärt-
liche
bey ihrer Krankheit, und des armen Beltons bey ſeiner, daß in meinen Augen offenbar der Suͤnder der wirkliche Feige, und der Heilige der wahre Held iſt; und fruͤher oder ſpaͤter werden wir es alle ſo befinden, wofern wir nicht ploͤtzlich hingeriſſen werden.
Die Fraͤulein ſchloß ſich geſtern Nachmit- tags um ſechſe ein und will bis heute Nachmit- tag, um ſieben oder acht, keine Geſellſchaft ha- ben, auch nicht einmal von ihrer Waͤrterinn: in- dem ſie ſich ein ſtrenges Faſten aufgeleget hat. Warum aber das? Es iſt heute ihr Geburtstag! ‒ ‒ Jn der Bluͤte: jedoch in einer hinfaͤlligen Bluͤte ihres Lebens! ‒ ‒ Ein jeder Geburtstag, bis auf dieſen, iſt, ſonder Zweifel, unter ihre gluͤckliche Tage zu zaͤhlen geweſen! ‒ ‒ Was muß ſie fuͤr Betrachtungen anſtellen! ‒ ‒ Was ſollteſt du billig uͤberlegen!
Was fuͤr Spott treibſt du mit meinen erha- benen Wuͤnſchen und meinen fußfaͤlligen Vereh- rungen, wie du es nenneſt! Wie luſtig machſt du dich daruͤber, daß ich meinen Bankzettel hin- ter ihren Stuhl geworfen habe. Jch hatte da- mals zu viel ehrerbietige Furcht vor ihr, und be- ſorgte zu ſehr, mein Erbieten wuͤrde ihr misfaͤllig ſeyn, daß ich es mit dem Anſtande, der meiner Abſicht gemaͤßer geweſen waͤre, haͤtte thun koͤn- nen. War aber ja die Handlung ungeſchickt: ſo war ſie doch beſcheiden. Deswegen iſt ſie, in der That, bey dir deſto bequemer, laͤcherlich ge- macht zu werden: da du das Schoͤne und Zaͤrt-
liche
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bey ihrer Krankheit, und des armen Beltons
bey ſeiner, daß in meinen Augen offenbar der
Suͤnder der wirkliche Feige, und der Heilige der
wahre Held iſt; und fruͤher oder ſpaͤter werden
wir es alle ſo befinden, wofern wir nicht ploͤtzlich
hingeriſſen werden.
Die Fraͤulein ſchloß ſich geſtern Nachmit-
tags um ſechſe ein und will bis heute Nachmit-
tag, um ſieben oder acht, keine Geſellſchaft ha-
ben, auch nicht einmal von ihrer Waͤrterinn: in-
dem ſie ſich ein ſtrenges Faſten aufgeleget hat.
Warum aber das? Es iſt heute ihr Geburtstag!
‒ ‒ Jn der Bluͤte: jedoch in einer hinfaͤlligen
Bluͤte ihres Lebens! ‒ ‒ Ein jeder Geburtstag,
bis auf dieſen, iſt, ſonder Zweifel, unter ihre
gluͤckliche Tage zu zaͤhlen geweſen! ‒ ‒ Was
muß ſie fuͤr Betrachtungen anſtellen! ‒ ‒ Was
ſollteſt du billig uͤberlegen!
Was fuͤr Spott treibſt du mit meinen erha-
benen Wuͤnſchen und meinen fußfaͤlligen Vereh-
rungen, wie du es nenneſt! Wie luſtig machſt
du dich daruͤber, daß ich meinen Bankzettel hin-
ter ihren Stuhl geworfen habe. Jch hatte da-
mals zu viel ehrerbietige Furcht vor ihr, und be-
ſorgte zu ſehr, mein Erbieten wuͤrde ihr misfaͤllig
ſeyn, daß ich es mit dem Anſtande, der meiner
Abſicht gemaͤßer geweſen waͤre, haͤtte thun koͤn-
nen. War aber ja die Handlung ungeſchickt:
ſo war ſie doch beſcheiden. Deswegen iſt ſie, in
der That, bey dir deſto bequemer, laͤcherlich ge-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 512. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/518>, abgerufen am 22.11.2024.
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