Es sind tausend vortreffliche Vorzüge, die der armen und leidenden Fräulein, ihr Vergehen ungeachtet, nicht abzusprechen sind: und wo sich alles so verhält, wie sie es meiner Tochter eröff- net hat, so ist sie auf die kläglichste Art gemishan- delt worden. Allein ich bin dennoch der Mey- nung, daß es Jhnen und ihrem Vater gänzlich zu überlassen sey, ob sie ihr vergeben wollen, und daß sich niemand, wegen des den Eltern gebüh- renden Ansehens, darinn einmischen sollte. Außer dem hat das alles ein jeder vermuthet, wie Fräu- lein Harlowe schreibet: ob Fräulein Clärchen es gleich nicht glauben wollte, bis sie für ihre Leicht- glaubigkeit fühlte. Aus diesen Ursachen unter- fange ich mich nicht, zur Verringerung ihres Feh- lers die geringste Vorstellung zu thun, welcher durch ihren bewundernswürdigen Verstand, und eine Einsicht, die ihre Jahre übersteiget, noch größer gemacht wird.
Jch bin, gnädige Frau, nebst Empfehlung an den lieben Herrn Harlowe, und Jhre ganze betrübte Familie,
Jhre gehorsamste Dienerinn Arabelle Howe.
Jch werde mich in wenigen Tagen mit meiner Tochter auf die Jnsel Wight begeben. Jch will unsere Reise mit Fleiß beschleunigen, damit ich ihr Gemüth von dem Ungemach ihrer Freundinn abziehe; welches uns bey- nahe eben so viel Kummer macht, als Fräu- lein Clärchens Unbedachtsamkeit Jhnen ge- machet hat.
Der
G g 5
Es ſind tauſend vortreffliche Vorzuͤge, die der armen und leidenden Fraͤulein, ihr Vergehen ungeachtet, nicht abzuſprechen ſind: und wo ſich alles ſo verhaͤlt, wie ſie es meiner Tochter eroͤff- net hat, ſo iſt ſie auf die klaͤglichſte Art gemishan- delt worden. Allein ich bin dennoch der Mey- nung, daß es Jhnen und ihrem Vater gaͤnzlich zu uͤberlaſſen ſey, ob ſie ihr vergeben wollen, und daß ſich niemand, wegen des den Eltern gebuͤh- renden Anſehens, darinn einmiſchen ſollte. Außer dem hat das alles ein jeder vermuthet, wie Fraͤu- lein Harlowe ſchreibet: ob Fraͤulein Claͤrchen es gleich nicht glauben wollte, bis ſie fuͤr ihre Leicht- glaubigkeit fuͤhlte. Aus dieſen Urſachen unter- fange ich mich nicht, zur Verringerung ihres Feh- lers die geringſte Vorſtellung zu thun, welcher durch ihren bewundernswuͤrdigen Verſtand, und eine Einſicht, die ihre Jahre uͤberſteiget, noch groͤßer gemacht wird.
Jch bin, gnaͤdige Frau, nebſt Empfehlung an den lieben Herrn Harlowe, und Jhre ganze betruͤbte Familie,
Jhre gehorſamſte Dienerinn Arabelle Howe.
Jch werde mich in wenigen Tagen mit meiner Tochter auf die Jnſel Wight begeben. Jch will unſere Reiſe mit Fleiß beſchleunigen, damit ich ihr Gemuͤth von dem Ungemach ihrer Freundinn abziehe; welches uns bey- nahe eben ſo viel Kummer macht, als Fraͤu- lein Claͤrchens Unbedachtſamkeit Jhnen ge- machet hat.
Der
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Es ſind tauſend vortreffliche Vorzuͤge, die
der armen und leidenden Fraͤulein, ihr Vergehen
ungeachtet, nicht abzuſprechen ſind: und wo ſich
alles ſo verhaͤlt, wie ſie es meiner Tochter eroͤff-
net hat, ſo iſt ſie auf die klaͤglichſte Art gemishan-
delt worden. Allein ich bin dennoch der Mey-
nung, daß es Jhnen und ihrem Vater gaͤnzlich
zu uͤberlaſſen ſey, ob ſie ihr vergeben wollen, und
daß ſich niemand, wegen des den Eltern gebuͤh-
renden Anſehens, darinn einmiſchen ſollte. Außer
dem hat das alles ein jeder vermuthet, wie Fraͤu-
lein Harlowe ſchreibet: ob Fraͤulein Claͤrchen es
gleich nicht glauben wollte, bis ſie fuͤr ihre Leicht-
glaubigkeit fuͤhlte. Aus dieſen Urſachen unter-
fange ich mich nicht, zur Verringerung ihres Feh-
lers die geringſte Vorſtellung zu thun, welcher
durch ihren bewundernswuͤrdigen Verſtand,
und eine Einſicht, die ihre Jahre uͤberſteiget, noch
groͤßer gemacht wird.
Jch bin, gnaͤdige Frau, nebſt Empfehlung
an den lieben Herrn Harlowe, und Jhre ganze
betruͤbte Familie,
Jhre gehorſamſte Dienerinn
Arabelle Howe.
Jch werde mich in wenigen Tagen mit meiner
Tochter auf die Jnſel Wight begeben. Jch
will unſere Reiſe mit Fleiß beſchleunigen,
damit ich ihr Gemuͤth von dem Ungemach
ihrer Freundinn abziehe; welches uns bey-
nahe eben ſo viel Kummer macht, als Fraͤu-
lein Claͤrchens Unbedachtſamkeit Jhnen ge-
machet hat.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/479>, abgerufen am 22.11.2024.
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