Der neun und funfzigste Brief von Fräul. Arabelle Harlowe an Fräul. Howe.
Jch habe Jhre Zuschrift von heute frühe be- kommen. Alles, was dem unglücklichen Geschöpfe, dessen Sie gedenken, begegnet ist, ist nichts anders, als was wir vorhergesagt und er- wartet haben. Derjenige, um dessentwillen sie uns verlassen hat, mag sie trösten. Man sagt uns, daß ihm das Gewissen aufgewacht sey, und daß er sie heyrathen wollte. Wir glauben es in der That nicht. Sie kann wohl sehr krank seyn. Das Misvergnügen über ihre fehlgeschla- gene Hosfnung kann sie wohl krank machen, oder sollte es thun. Sie ist aber die einzige Person, die ich weiß, welche sich in ihrer Erwartung be- trogen hat.
Jch kann nicht sagen, Fräulein, daß die Nachricht von ihren Händen uns eben desto an- genehmer seyn sollte, je mehr Freyheiten, es ih- nen gefallen hat, sich gegen unsere ganze Familie herauszunehmen, weil wir über eine Aufführung unwillig gewesen sind, deren Rechtfertigung ei- nem jungen Frauenzimmer zur Schande gerei- chen würde. Entschuldigen sie diese Freyheit, welche durch größere Freyheiten an ihrer Seite veranlasset ist.
Der neun und funfzigſte Brief von Fraͤul. Arabelle Harlowe an Fraͤul. Howe.
Jch habe Jhre Zuſchrift von heute fruͤhe be- kommen. Alles, was dem ungluͤcklichen Geſchoͤpfe, deſſen Sie gedenken, begegnet iſt, iſt nichts anders, als was wir vorhergeſagt und er- wartet haben. Derjenige, um deſſentwillen ſie uns verlaſſen hat, mag ſie troͤſten. Man ſagt uns, daß ihm das Gewiſſen aufgewacht ſey, und daß er ſie heyrathen wollte. Wir glauben es in der That nicht. Sie kann wohl ſehr krank ſeyn. Das Misvergnuͤgen uͤber ihre fehlgeſchla- gene Hoſfnung kann ſie wohl krank machen, oder ſollte es thun. Sie iſt aber die einzige Perſon, die ich weiß, welche ſich in ihrer Erwartung be- trogen hat.
Jch kann nicht ſagen, Fraͤulein, daß die Nachricht von ihren Haͤnden uns eben deſto an- genehmer ſeyn ſollte, je mehr Freyheiten, es ih- nen gefallen hat, ſich gegen unſere ganze Familie herauszunehmen, weil wir uͤber eine Auffuͤhrung unwillig geweſen ſind, deren Rechtfertigung ei- nem jungen Frauenzimmer zur Schande gerei- chen wuͤrde. Entſchuldigen ſie dieſe Freyheit, welche durch groͤßere Freyheiten an ihrer Seite veranlaſſet iſt.
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Der neun und funfzigſte Brief
von
Fraͤul. Arabelle Harlowe an Fraͤul. Howe.
Jch habe Jhre Zuſchrift von heute fruͤhe be-
kommen. Alles, was dem ungluͤcklichen
Geſchoͤpfe, deſſen Sie gedenken, begegnet iſt, iſt
nichts anders, als was wir vorhergeſagt und er-
wartet haben. Derjenige, um deſſentwillen ſie
uns verlaſſen hat, mag ſie troͤſten. Man ſagt
uns, daß ihm das Gewiſſen aufgewacht ſey, und
daß er ſie heyrathen wollte. Wir glauben es in
der That nicht. Sie kann wohl ſehr krank
ſeyn. Das Misvergnuͤgen uͤber ihre fehlgeſchla-
gene Hoſfnung kann ſie wohl krank machen, oder
ſollte es thun. Sie iſt aber die einzige Perſon,
die ich weiß, welche ſich in ihrer Erwartung be-
trogen hat.
Jch kann nicht ſagen, Fraͤulein, daß die
Nachricht von ihren Haͤnden uns eben deſto an-
genehmer ſeyn ſollte, je mehr Freyheiten, es ih-
nen gefallen hat, ſich gegen unſere ganze Familie
herauszunehmen, weil wir uͤber eine Auffuͤhrung
unwillig geweſen ſind, deren Rechtfertigung ei-
nem jungen Frauenzimmer zur Schande gerei-
chen wuͤrde. Entſchuldigen ſie dieſe Freyheit,
welche durch groͤßere Freyheiten an ihrer Seite
veranlaſſet iſt.
Jch bin, Fraͤulein, Jhre gehorſame Dienerinn
Arabelle Harlowe.
Der
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/470>, abgerufen am 22.11.2024.
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