"schaft seiner Reise erreichet hatte, die Ruhe ge- "wesen ist."
Und so ließ sie ihr Haupt an die Lehne ihres Stuhls sinken, und suchte ihre Thränen durch ihr Schnupftuch, womit sie das Gesicht bedeckte, vor uns zu verbergen.
Keine Seele von uns konnte ein Wort spre- chen. Deine Gegenwart, du verhärteter Böse- wicht, würde uns vielleicht eine Schaam vor ei- ner Weichherzigkeit eingeflößet haben, die du vermuthlich an mir insonderheit verlachen wirst, wenn du dieß liesest!
Sie begab sich bald hernach in ihre Kam- mer, und war genöthigt, wie es scheint, sich nie- derzulegen. Wir gingen alle mit einander hin- unter, und unterhielten uns auf anderthalb Stun- den mit ihrem Lobe. Fr. Smithen und Fr. Lo- vick bezeugten einmal über das andere ihre Ver- wunderung, daß ein Mensch in der Welt seyn könnte, der im Stande wäre, eine solche Fräu- lein zu beleidigen, noch mehr sie vorsetzlich zu be- schimpfen. Sie wiederholten, daß sie einen En- gel bey sich im Hause hätten. - - Jch gedachte, ja, sie hätten ihn wirklich: und das so gewiß, als unter dem Dache des guten Lords M. ein Teufel lebte.
Jch hasse dich von ganzem Herzen! - - Bey meiner Treue ich hasse dich! - - Jch hasse dich jede Stunde mehr, als die vorhergehende! - -
Der
„ſchaft ſeiner Reiſe erreichet hatte, die Ruhe ge- „weſen iſt.“
Und ſo ließ ſie ihr Haupt an die Lehne ihres Stuhls ſinken, und ſuchte ihre Thraͤnen durch ihr Schnupftuch, womit ſie das Geſicht bedeckte, vor uns zu verbergen.
Keine Seele von uns konnte ein Wort ſpre- chen. Deine Gegenwart, du verhaͤrteter Boͤſe- wicht, wuͤrde uns vielleicht eine Schaam vor ei- ner Weichherzigkeit eingefloͤßet haben, die du vermuthlich an mir inſonderheit verlachen wirſt, wenn du dieß lieſeſt!
Sie begab ſich bald hernach in ihre Kam- mer, und war genoͤthigt, wie es ſcheint, ſich nie- derzulegen. Wir gingen alle mit einander hin- unter, und unterhielten uns auf anderthalb Stun- den mit ihrem Lobe. Fr. Smithen und Fr. Lo- vick bezeugten einmal uͤber das andere ihre Ver- wunderung, daß ein Menſch in der Welt ſeyn koͤnnte, der im Stande waͤre, eine ſolche Fraͤu- lein zu beleidigen, noch mehr ſie vorſetzlich zu be- ſchimpfen. Sie wiederholten, daß ſie einen En- gel bey ſich im Hauſe haͤtten. ‒ ‒ Jch gedachte, ja, ſie haͤtten ihn wirklich: und das ſo gewiß, als unter dem Dache des guten Lords M. ein Teufel lebte.
Jch haſſe dich von ganzem Herzen! ‒ ‒ Bey meiner Treue ich haſſe dich! ‒ ‒ Jch haſſe dich jede Stunde mehr, als die vorhergehende! ‒ ‒
Der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0460"n="454"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>„ſchaft ſeiner Reiſe erreichet hatte, die Ruhe ge-<lb/>„weſen iſt.“</p><lb/><p>Und ſo ließ ſie ihr Haupt an die Lehne ihres<lb/>
Stuhls ſinken, und ſuchte ihre Thraͤnen durch ihr<lb/>
Schnupftuch, womit ſie das Geſicht bedeckte, vor<lb/>
uns zu verbergen.</p><lb/><p>Keine Seele von uns konnte ein Wort ſpre-<lb/>
chen. Deine Gegenwart, du verhaͤrteter Boͤſe-<lb/>
wicht, wuͤrde uns vielleicht eine Schaam vor ei-<lb/>
ner Weichherzigkeit eingefloͤßet haben, die du<lb/>
vermuthlich an <hirendition="#fr">mir</hi> inſonderheit verlachen wirſt,<lb/>
wenn du dieß lieſeſt!</p><lb/><p>Sie begab ſich bald hernach in ihre Kam-<lb/>
mer, und war genoͤthigt, wie es ſcheint, ſich nie-<lb/>
derzulegen. Wir gingen alle mit einander hin-<lb/>
unter, und unterhielten uns auf anderthalb Stun-<lb/>
den mit ihrem Lobe. Fr. Smithen und Fr. Lo-<lb/>
vick bezeugten einmal uͤber das andere ihre Ver-<lb/>
wunderung, daß ein Menſch in der Welt ſeyn<lb/>
koͤnnte, der im Stande waͤre, eine ſolche Fraͤu-<lb/>
lein zu beleidigen, noch mehr ſie vorſetzlich zu be-<lb/>ſchimpfen. Sie wiederholten, daß ſie einen En-<lb/>
gel bey ſich im Hauſe haͤtten. ‒‒ Jch gedachte,<lb/>
ja, ſie haͤtten ihn wirklich: und das ſo gewiß,<lb/>
als unter dem Dache des guten Lords M. ein<lb/>
Teufel lebte.</p><lb/><p>Jch haſſe dich von ganzem Herzen! ‒‒ Bey<lb/>
meiner Treue ich haſſe dich! ‒‒ Jch haſſe dich<lb/>
jede Stunde mehr, als die vorhergehende! ‒‒</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">Der</hi></fw><lb/></div></body></text></TEI>
[454/0460]
„ſchaft ſeiner Reiſe erreichet hatte, die Ruhe ge-
„weſen iſt.“
Und ſo ließ ſie ihr Haupt an die Lehne ihres
Stuhls ſinken, und ſuchte ihre Thraͤnen durch ihr
Schnupftuch, womit ſie das Geſicht bedeckte, vor
uns zu verbergen.
Keine Seele von uns konnte ein Wort ſpre-
chen. Deine Gegenwart, du verhaͤrteter Boͤſe-
wicht, wuͤrde uns vielleicht eine Schaam vor ei-
ner Weichherzigkeit eingefloͤßet haben, die du
vermuthlich an mir inſonderheit verlachen wirſt,
wenn du dieß lieſeſt!
Sie begab ſich bald hernach in ihre Kam-
mer, und war genoͤthigt, wie es ſcheint, ſich nie-
derzulegen. Wir gingen alle mit einander hin-
unter, und unterhielten uns auf anderthalb Stun-
den mit ihrem Lobe. Fr. Smithen und Fr. Lo-
vick bezeugten einmal uͤber das andere ihre Ver-
wunderung, daß ein Menſch in der Welt ſeyn
koͤnnte, der im Stande waͤre, eine ſolche Fraͤu-
lein zu beleidigen, noch mehr ſie vorſetzlich zu be-
ſchimpfen. Sie wiederholten, daß ſie einen En-
gel bey ſich im Hauſe haͤtten. ‒ ‒ Jch gedachte,
ja, ſie haͤtten ihn wirklich: und das ſo gewiß,
als unter dem Dache des guten Lords M. ein
Teufel lebte.
Jch haſſe dich von ganzem Herzen! ‒ ‒ Bey
meiner Treue ich haſſe dich! ‒ ‒ Jch haſſe dich
jede Stunde mehr, als die vorhergehende! ‒ ‒
Der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/460>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.