"trügerischer Weise entführet und von sehr schänd- "lichen Leuten entflohen wäre.
"Diese Nachricht hielte ich mich verbunden "ihnen zu geben, damit sie sich desto weniger wun- "dern möchten, daß sie eine junge Frauensper- "son, mit Zittern und außer Athem, durch ihren "Laden in ihr Hinterzimmer hineinhuschen sahen: "da ich einen schlechten Rock über mein eignes "Kleid gezogen hatte, um Zimmer und Schutz "flehete, und nur mein bloßes Wort von mir "gab, daß sie gut bezahlt werden sollten, indem "alle meine Habseligkeiten in ein Schnupftuch "geknüpft waren.
"Meine plötzliche Abwesenheit auf drey Ta- "ge und Nächte nach einander, als ich in Ver- "haft war, mußte sie noch mehr in Verwunde- "rung setzen. Ob nun gleich dieser Cavallier, "der vielleicht von dem scheuslichsten Theil mei- "ner Begebenheit mehr weiß, als ich selbst, ih- "nen, nach ihrem Geständniß Fr. Lovick, entdecket "hat, daß ich nur eine unglückliche, nicht "strafwürdige Person sey: so halte ich es doch "für meine Schuldigkeit, ehrliebende Gemüther "meines guten Namens wegen nicht in Zweifel "zu lassen.
"Sie müssen also wissen, daß ich in einem "Stücke; ich hätte beynahe gesagt, nur in einem "Stücke, aber es war ein sehr wichtiges Stück; "ein ungehorsames Kind gegen die gütigsten El- "tern von der Welt gewesen bin. Denn was "einige Leute Grausamkeit an ihnen nennen,
kommt
„truͤgeriſcher Weiſe entfuͤhret und von ſehr ſchaͤnd- „lichen Leuten entflohen waͤre.
„Dieſe Nachricht hielte ich mich verbunden „ihnen zu geben, damit ſie ſich deſto weniger wun- „dern moͤchten, daß ſie eine junge Frauensper- „ſon, mit Zittern und außer Athem, durch ihren „Laden in ihr Hinterzimmer hineinhuſchen ſahen: „da ich einen ſchlechten Rock uͤber mein eignes „Kleid gezogen hatte, um Zimmer und Schutz „flehete, und nur mein bloßes Wort von mir „gab, daß ſie gut bezahlt werden ſollten, indem „alle meine Habſeligkeiten in ein Schnupftuch „geknuͤpft waren.
„Meine ploͤtzliche Abweſenheit auf drey Ta- „ge und Naͤchte nach einander, als ich in Ver- „haft war, mußte ſie noch mehr in Verwunde- „rung ſetzen. Ob nun gleich dieſer Cavallier, „der vielleicht von dem ſcheuslichſten Theil mei- „ner Begebenheit mehr weiß, als ich ſelbſt, ih- „nen, nach ihrem Geſtaͤndniß Fr. Lovick, entdecket „hat, daß ich nur eine ungluͤckliche, nicht „ſtrafwuͤrdige Perſon ſey: ſo halte ich es doch „fuͤr meine Schuldigkeit, ehrliebende Gemuͤther „meines guten Namens wegen nicht in Zweifel „zu laſſen.
„Sie muͤſſen alſo wiſſen, daß ich in einem „Stuͤcke; ich haͤtte beynahe geſagt, nur in einem „Stuͤcke, aber es war ein ſehr wichtiges Stuͤck; „ein ungehorſames Kind gegen die guͤtigſten El- „tern von der Welt geweſen bin. Denn was „einige Leute Grauſamkeit an ihnen nennen,
kommt
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„truͤgeriſcher Weiſe entfuͤhret und von ſehr ſchaͤnd-
„lichen Leuten entflohen waͤre.
„Dieſe Nachricht hielte ich mich verbunden
„ihnen zu geben, damit ſie ſich deſto weniger wun-
„dern moͤchten, daß ſie eine junge Frauensper-
„ſon, mit Zittern und außer Athem, durch ihren
„Laden in ihr Hinterzimmer hineinhuſchen ſahen:
„da ich einen ſchlechten Rock uͤber mein eignes
„Kleid gezogen hatte, um Zimmer und Schutz
„flehete, und nur mein bloßes Wort von mir
„gab, daß ſie gut bezahlt werden ſollten, indem
„alle meine Habſeligkeiten in ein Schnupftuch
„geknuͤpft waren.
„Meine ploͤtzliche Abweſenheit auf drey Ta-
„ge und Naͤchte nach einander, als ich in Ver-
„haft war, mußte ſie noch mehr in Verwunde-
„rung ſetzen. Ob nun gleich dieſer Cavallier,
„der vielleicht von dem ſcheuslichſten Theil mei-
„ner Begebenheit mehr weiß, als ich ſelbſt, ih-
„nen, nach ihrem Geſtaͤndniß Fr. Lovick, entdecket
„hat, daß ich nur eine ungluͤckliche, nicht
„ſtrafwuͤrdige Perſon ſey: ſo halte ich es doch
„fuͤr meine Schuldigkeit, ehrliebende Gemuͤther
„meines guten Namens wegen nicht in Zweifel
„zu laſſen.
„Sie muͤſſen alſo wiſſen, daß ich in einem
„Stuͤcke; ich haͤtte beynahe geſagt, nur in einem
„Stuͤcke, aber es war ein ſehr wichtiges Stuͤck;
„ein ungehorſames Kind gegen die guͤtigſten El-
„tern von der Welt geweſen bin. Denn was
„einige Leute Grauſamkeit an ihnen nennen,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/452>, abgerufen am 21.11.2024.
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